Migrationskultur

Wenn Migration zum Trauma wird

Migration gilt als eines der wichtigsten Kennzeichen für das Europa des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. In Österreich wie auch in Deutschland hat etwa jeder fünfte Einwohner direkte oder indirekte Migrationserfahrungen.

Wielant Machleidt über afrikanische Rituale

Die meisten Einwohner Europas machen ihre Migrationserfahrungen im großen Feld der Arbeitsmigration, aber es gibt auch immer mehr Flüchtlinge, aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen.

Vielfach sind psychische Probleme eine Begleiterscheinung der Migration. Das kann von einer extremen Traumatisierung von Flüchtlingen bis zu Alltagsproblemen beim Verständnis der neuen kulturellen Umgebung reichen.

Nur die Übersetzung der Sprache reicht nicht

Bei einer psychiatrischen Behandlung von Zuwanderern, die in einem völlig anderen kulturellen Umfeld sozialisiert wurden, reicht es nicht, die gesprochenen Worte zu übersetzen. Man müsse die Kultur der Herkunftsländer kennen, und diese ebenfalls in der Behandlung einfließen lassen, sind die Experten überzeugt, etwa um zu wissen, wie die Verwandtschaft in den medizinischen Prozess eingebunden wird.

In Ländern des Nahen Ostens gilt der Besuch eines Kranken als verpflichtend, möglichst viele Besucher sollten den Kranken umgeben. Im Westen wird eine große Zahl an Krankenbesuchern häufig jedoch als Belastung für den Patienten und das Spitalspersonal gesehen. Diese kulturellen Missverständnisse sind häufig und überschatten vielfach den Spitalsalltag.

Zwischen den Kulturen vermitteln

In einer globalisierten Welt ist es notwendiger denn je, der kulturellen Vielfalt auch in der Medizin ihren Stellenwert einzuräumen. Dazu ist es aber auch notwendig, über andere als die im Westen entwickelten Therapiemethoden Bescheid zu wissen.

Hier kommt die Ethnomedizin zum Zug, also das Wissen um traditionelle Heilungsmethoden in fremden Kulturen. Der Psychiater oder Psychotherapeut müsse verschiedene Kulturen kennenlernen und zwischen diesen vermitteln können, sagt Wielant Machleidt, Professor für Psychiatrie an der medizinischen Hochschule in Hannover.

Er hat in Deutschland die klassische Ausbildung als Mediziner und Psychiater durchlaufen und ist anschließend für einige Jahre nach Malawi in Südostafrika gegangen, um andere Methoden der psychiatrischen Praxis kennenzulernen.

Nach seinen Forschungen in Afrika ist Wielandt Machleidt wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Viele Erkenntnisse, die er in Afrika gewonnen hat, hat er dann in seiner therapeutischen Arbeit in Deutschland eingesetzt.

Medizinisches Wissen allein, ist zu wenig

Traumatische Erlebnisse sind häufig die Begleiterscheinungen von Flucht und Migration. Neben den fachmedizinischen Kenntnissen sind die kulturellen Kenntnisse über die Herkunftsregionen der Patienten von größter Bedeutung. Auch ethnologisch sollte er geschult sein.

Zusätzlich muss der Arzt auch zeitgeschichtliches Wissen haben. Also auch wissen, welche dramatischen Ereignisse am Balkan stattgefunden haben, um alle möglichen Szenarien in der Therapie mitdenken zu können.

Eine Brücke bauen zwischen alter und neuer Heimat, das will die transkulturelle Psychiatrie. Der Arzt wird neben seinen Aufgaben als Mediziner auch zum kulturellen Übersetzer.

Die "transkulturelle Psychiatrie" ist ein komplexes, interdisziplinäres Feld, in dem Psychiater und Ethologen, Pädagogen und Flüchtlingsbetreuer, Übersetzer und Psychotherapeuten, Traumatologen und Sozialarbeiter, Seelsorger und Krankenpfleger zusammenarbeiten.

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Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 6. Oktober 2008, 19:05 Uhr