Wichtige DVD-Edition
Der Opernregisseur Walter Felsenstein
Er gilt längst als Legende: der 1901 in Wien geborene und 1975 in Berlin verstorbene Regisseur und Intendant Walter Felsenstein. Nun ist eine herausragende DVD-Edition erschienen, die seinen visuellen Nachlass erstmals öffentlich zugänglich macht.
8. April 2017, 21:58
Das wirkliche musikalische Theatererlebnis kann vom Regisseur nur angeregt und durch Kunstgriffe der Inszenierung lediglich unterstützt werden. Getragen wird es ausschließlich vom musizierenden und darstellenden Menschen. Wenn ich Regie führe, musiziere ich mit meinen Sängern (…) Das Musizieren und Singen auf der Bühne zu einer glaubwürdigen, überzeugenden, wahrhaftigen und unentbehrlichen menschlichen Äußerung zu machen - das ist die Kardinalaufgabe.
(Walter Felsenstein, 1961)
Er gilt längst als Legende: der 1901 in Wien geborene und 1975 in Berlin verstorbene Regisseur und Intendant Walter Felsenstein. Als er 1947 die "Komische Oper" in (Ost-)Berlin gründete, lag bereits ein Vierteljahrhundert Theatererfahrung hinter ihm: als Schauspieler, vor allem aber als Regisseur. Das Ideal hingegen existierte bislang nur in seiner Fantasie. Es Wirklichkeit werden zu lassen, dem galt sein unbedingter Wille, wenn ihm in seinem Innersten auch stets bewusst gewesen sein mag, dass eine vollständige Erfüllung seiner Ansprüche Illusion bleiben musste. So wurde der Weg also zum Ziel.
Keimzelle des "Regietheaters"
Wenn heute die "Komische Oper" von Berlin, die er bis zu seinem Tod geleitet hat, als Keimzelle des "Regietheaters" gilt, mag das viele vielleicht verstören, denen dieser Begriff in den letzten Jahrzehnten zu einem Reizwort geworden ist. Dennoch war Felsenstein das genaue Gegenteil davon, was eitle Selbstdarstellerinnen und Selbstdarsteller der Regiezunft uns heute oft vor Augen führen.
In einem Referat zur Ausbildung von Musiktheater-Regisseurinnen und -Regisseuren im Jahr 1971 beschäftigte er sich intensiv mit dem Verhältnis Regisseur-Publikum und verlangte von den Regie-Aspiranten dezidiert "die Fähigkeit, sich jederzeit in die Lage des mit dem Werk und der Aufführung unbekannten Zuschauers zu versetzen und mit allen der musizierenden Bühne verfügbaren Mitteln die Verständlichkeit des Werkes, die Verständlichkeit der Konzeption zu sichern (…) Ich kann nur von der Direktive in meiner Arbeit ausgehen, nämlich dass allein die Partitur und die darin enthaltenen Intentionen des Komponisten auf eine unmissverständliche Art mitgeteilt werden und bin zu willkürlichen Bearbeitungen, Aktualisierungen und werkfremden Experimenten nicht bereit."
Herausragende DVD-Edition
War das Wirken Felsensteins bisher hauptsächlich durch seinen ziemlich umfangreichen schriftlichen Nachlass nachvollziehbar und waren Filmdokumente seines Wirkens mehr oder weniger nur als private Video-Kopien greifbar, ist nun nach Überwindung langwieriger technischer und rechtlicher Probleme eine herausragende DVD-Edition erschienen, die seinen gesamten visuellen Nachlass erstmals öffentlich zugänglich macht.
Das sind nicht nur die echten Verfilmungen seiner Regiearbeiten an der "Komischen Oper" ("Das schlaue Füchslein", "Othello", "Hoffmanns Erzählungen", "Ritter Blaubart"), sondern ebenso zwei Live-Mitschnitte ("Don Giovanni" und "Die Hochzeit des Figaro") sowie sein 1956 in Wien produzierter "Fidelio"-Film. Dazu kommt noch sorgfältig ausgewähltes Bonus-Material in Form von "Wochenschau"-Beiträgen und Interviews, sowie ein großzügiger Bildband und Handschriften-Faksimiles.
Strenges Ensemblesystem
Gesungen wurde bei Felsenstein ausschließlich und aus tiefer Überzeugung stets in deutscher Sprache, wobei er vor allem auf sinngerechte und partiturgetreue Übersetzungen größten Wert gelegt hat. Die meisten Textfassungen in seinen Inszenierungen stammten von ihm selbst und gaben einzelnen Figuren plötzlich ganz neues Gewicht, wobei er manches allerdings auch allzu wörtlich nehmen konnte, was fallweise den musikalischen Fluss vielleicht etwas behindert hat. Auch Abendgäste kamen dadurch an der Komischen Oper nicht in Frage, doch das war in seinem strengen Ensemblesystem ohnehin verpönt.
Überhaupt war ihm sein Ensemble heilig, er liebte seine Sängerinnen und Sänger und sah in ihnen keineswegs nur billiges Stimmmaterial, das man budgetschonend innerhalb des Spielplanes hin- und herschieben konnte. Und diese Liebe beruhte durchaus auf Gegenseitigkeit. Das Felsenstein-Ensemble galt als verschworene Gemeinschaft, die ihrem Chef bereitwillig folgte und kaum Strapazen scheute, um seinen hoch gestellten Erwartungen zu entsprechen. Die Arbeit ging dabei auch nach der Premiere weiter. Immer wieder machte er seine Künstlerinnen und Künstler in sogenannten Kritik-Briefen auf diverse Details aufmerksam, sparte dabei aber auch nie mit Lob und Anerkennung.
Aktueller denn je
Mehr als drei Jahrzehnte nach seinem Tod ist Walter Felsenstein heute aktueller denn je. Wer immer sich professionell oder auch nur zum Vergnügen mit "Oper" beschäftigt - der laut Goethe wahrhaftigsten, weil unwahrscheinlichsten Kunstform - sollte zumindest eine der Felsenstein-Arbeiten gesehen haben.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Dienstag, 7. Oktober 2008, 15:05 Uhr
Buch-Tipp
Aksinia Raphael (Hg.), "Werkstatt Musiktheater: Walter Felsenstein in Bildern von Clemens Kohl", Henschel-Verlag
DVD-Tipp
Walter Felsenstein Edition, Arthaus Musik
Link
Arthaus Musik - Walter Felsenstein Edition