Von Sibelius empfohlen
Einojuhani Rautavaara wird 80
Für Wladimir Ashenkazy war er 1999 "der führende Komponist der Welt"; eine englische CD-Fachzeitschrift bezeichnete ihn als "Finnlands bedeutendste musikalische Stimme." Einojuhani Rautavaara, Doyen der finnischen Komponisten, feiert 80. Geburtstag.
8. April 2017, 21:58
Auf seiner imposanten Werkliste finden sich acht Sinfonien, Orchesterwerke, Instrumentalkonzerte, Kammermusik (unter anderen vier Streichquartette und ein Streichquintett), Werke für Soloinstrumente, Orchesterlieder, Liederzyklen, Chorwerke und Opern, darunter so erfolgreiche wie "Thomas", "Vincent", "Alexis Kivi", "Das Sonnenhaus" und 2003 "Rasputin." Sein erster großer Erfolg war das strawinskyneske "A Requiem in Our Time" (1953).
Nach dem Studium der Musikwissenschaft (Universität Helsinki) und der Komposition (Sibelius Akademie) folgte 1955 ein informeller Studienaufenthalt in Wien. Auf Empfehlung des 90-jährigen Jean Sibelius erhielt er ein Stipendium für die Ferienkurse in Tanglewood, USA, wo er zunächst bei Roger Sessions und Aaron Copland, dann an der New Yorker "Juilliard School of Music" studiert. 1957 geht er nach Ascona zu Wladimir Vogel, dessen "etwas pedantische Unterweisung in Schönbergs Zwölftonkomposition genau das war, was ich damals brauchte." 1958 folgt, "zur Abrundung", Rudolf Petzold in Köln.
Seiner Autobiographie, "Omakuva" (1989), lässt der seit 1984 in zweiter Ehe mit der 25 Jahre jüngeren Sängerin Sini Koivisto Verheiratete 2001 ein Buch folgen, das aus den jeweils wechselnden Perspektiven des in Finnland berühmten Paares nicht nur die Geschichte ihrer ungewöhnlichen Ehe, sondern auch Bedingungen schöpferischer Arbeit beleuchtet. Der internationale Durchbruch gelang mit "Vincent" und, medienwirksamer, der 7. Sinfonie "Angel of Light". Die CD verkaufte sich 1996 mehr als 20.000 Mal.
Notwendige stilistische Eskapaden
Im zu einem der erfolgreichsten Kompositionen der letzten 40 Jahre gewordenen "Cantus arcticus" kommen einander Natur(laute) und Kunst(klänge), tierische und menschliche Sphäre nahe. Als Kontrapunkt zum vom Tonband zugespielten Gesang der Vögel erklingt "eigentlich recht einfache Musik" (Rautavaara). Der ungezähmten Wildheit stellte Rautavaara 1971 einen mit wohligen Harmonien gesättigten Klang an die Seite, der von heiter gelassenem Gleichmut, von Sehnsucht nach dem Natürlichen und Urvertrauen sowohl in die Natur als auch in die Erneuerungsfähigkeit der Musik kündete. Inhalt und Ausdrucksmittel waren damals paradox avantgardistisch.
Sein Weg führte ihn vom angepassten Neoklassizismus (Strawinsky, Roger Sessions, später Bartók) über "tonale Atonalität" beziehungsweise Dodekaphonie zur avantgardistischen Neoromantik. Diese "stilistischen Eskapaden" seien nötig gewesen, "weil ich meine Sprache bilden wollte. Ich musste alles an Musik des 20. Jahrhunderts kennen lernen." Trotzdem ist seine Handschrift selbst in der streng seriell strukturierten 4. Sinfonie "Arabescata" (1962) erkennbar. Erst in den letzten Jahren, sagte er mir 2000 in einem Interview, "fühle ich, dass ich nicht nur weiß, was ich schreiben will, sondern es auch kann."
Vom Klangingenieur zum Gärtner
Noch bis in die 80er Jahre ist er sich "wie ein Ingenieur" vorgekommen. Er wollte dann doch "lieber Gärtner sein, organischen Entwicklungen folgen, als vorfabriziertes Material nach Plan zusammensetzen." Epigonale Stilmischung? Nein, er habe "seine Fähigkeit zur Synthese" entwickelt. Er riskierte, dass diverse, auch gegensätzliche, Stile beziehungsweise Kompositionstechniken zum Bruch mit diversen Systemtabus führen würden. Tabus in der Kunst "zeugen oft von Kurzsichtigkeit, das ist eine Form des Rassismus."
Früh empfand er das ehemals geltende Verbot von zum Beispiel Dreiklängen und Konsonanz als "schon ein wenig komisch. Wer mit der Zeit geht, ist dazu verurteilt, hinter ihr zu bleiben. So schnell kann man gar nicht schauen und aus den radikalsten Modernisten sind die rabiatesten Konservativen geworden. Es nützt auch nichts, hochnäsig zu sagen: Wenn meine Kunst nicht im Einklang mit der Zeit ist, so ist das die Schuld der Zeit." Lieber wäre ihm, seine Musik "wäre zeitlos als im Gleichklang mit der Zeit."
Der nach einem Aortariss vor vier Jahren in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkte Komponist - "Ärzte gaben mir zwischen einem Jahr und zehn Jahren" - arbeitet an einer Oper über Federico García Lorca und hat Aufträge zu einem Cello-, einem Schlagzeugkonzert beziehungsweise einer katholischen Messe angenommen. In seinen besten Werken gelingt es Rautavaara "einen erschrockenen Raum" zu schaffen, "wagende erste Musik" zu schreiben, die die "dürre Erstarrung" durchdringt, von der R.M. Rilke spricht (den Rautavaara liebt); dann gerät "das Leere in jene Schwingung ..., die uns jetzt hinreißt und tröstet und hilft."
Hör-Tipp
Zeit-Ton, Mittwoch, 8. Oktober 2008, 23:05
Veranstaltungs-Tipps
"Schönberg und der Norden", Ensemble Wiener Collage, Donnerstag, 9. Oktober 2008, 19:30 Uhr
Mitteleuropäisches Kammerorchester, Freitag, 10. Oktober 2008, 19:30 Uhr
Symposium "Nordischer Expressionismus und die Wiener Schule", Freitag 10. und Samstag, 11. Oktober 2008
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