Kreative Frauen
Die weibliche Seite Mexikos
Diese Namen kennt man überall auf der Welt: Laura Esquivel und ihre fulminante Liebesgeschichte "Bittersüße Schokolade", die kompromisslose Malerin Frida Kahlo und die knapp 90-jährige Sängerin mit der rauchigen Stimme, Chavela Vargas.
8. April 2017, 21:58
Chavela Vargas besingt den Mond.
Vielleicht hat alles mit der kleinen Nonne angefangen, Sor Juana Inés de la Cruz, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte. Sie war schon als Kind außergewöhnlich: Mit drei Jahren lernte sie lesen. Mit fünf Jahren verzichtete sie darauf, Käse zu essen, weil sie gehört hatte, dass Käseessen dumm mache. Mit acht Jahren verfasste sie ein poetisches Werk zu Ehren des Fronleichnamstages, um den Preis, ein Buch, zu gewinnen. Dann, heißt es, beschaffte sie sich Bubenkleidung und schlich sich von zuhause fort, in die Hauptstadt.
Wo sie lebte, wer sie aufnahm, wer ihr Latein beibrachte, das sie mit zehn Jahren perfekt sprach, ist bislang nicht bekannt, sie selbst gab keine Auskunft darüber. Mit 17 Jahren wurde sie bei Hof eingeführt, und die Vizekönigin, die Marquesa de Mancera, war von ihr so begeistert, dass sie das Mädchen bat, als Ehrenjungfrau zu bleiben.
Weltliche Werke, im Kloster geschrieben
Wie ein besonderes Schmuckstück wurde die junge Juana vorgezeigt, denn sie war nicht nur klug, sondern auch schön. Zahllose Kavaliere ergötzten sich am Anblick der jungen Frau, wie sie ihre Werke, kürzere und längere erotische und gelehrte Gedichte, vorlas. Drei Jahre lang blieb sie Hofdame, dann hatte sie die Nase voll von Luxus und Leichtfertigkeit und ging ins Kloster.
Als Schützling der Vizekönigin konnte sie sich weiterhin ihren Studien widmen, Besuch empfangen, und schreiben. Ihr Ruhm als Dichterin sehr weltlicher Werke - "Phönix Mexikos" und "zehnte Muse" wurde sie genannt - verbreitete sich über die ganze damals zivilisierte Welt. Bis es den Oberen ihrer Kirche zu bunt wurde. 1690 erhielt sie den Brief einer angeblichen Mitschwester, Sor Philothea de la Cruz - hinter diesem Pseudonym verbarg sich der Bischof von Puebla - in dem sie aufgefordert wurde, ihren Verstand auf das Studium der heiligen Bücher zu richten. Ihre Antwort war ein offener Brief, eine flammende Verteidigung der Rechte der Frauen, was natürlich noch mehr Aufruhr in der katholischen Hierarchie erzeugte. Schließlich gelobte Sor Juana Inés de la Cruz, kein Wort mehr zu schreiben. Zwei Jahre später starb sie.
Ein Leben in Schmerzen
Zäh sind sie, die kreativen Frauen Mexikos, nach allem, was man von ihrem Leben weiß. Frida Kahlo, die große Malerin, gab sich nicht auf, als sie erfuhr, dass sie nach ihrem schweren Busunfall nie mehr wieder würde gehen können. Im Gegenteil, sie entdeckte an sich ihr Talent als Malerin, das ihr half, einen neuen Sinn in ihrem Leben zu finden. Und später lernte sie auch das Gehen wieder, selbst um den Preis grausamer Schmerzen.
Das Reich der "Rancheras"
Die 1919 geborene Isabel "Chavela" Vargas konnte schon als Sechsjährige mit Pistole und Gewehr umgehen. Es war eine gefährliche Zeit damals, nach der Revolution, und die Rancheros, vor allem die indianischer Abstammung, konnten nicht vorsichtig genug sein. So lernte die kleine Isabel das Kämpfen. Als Kind besiegte sie die Kinderlähmung, und als alte Frau ihre Alkoholsucht. Ihr Leben zwischen diesen beiden großen Kämpfen ist voll von Musik - sie eroberte das männlich beherrschte Reich der Lieder, die "Rancheras" heißen, und wurde zur Legende - und voll von Liebe. Über die Namen, man vermutet sehr berühmte darunter, schweigt sie sich aus.
Aus dem Schatten treten
Mit einem Schock begann das bewusste Leben der Rosario Castellanos: Sie begleitete ihre Mutter zu einem Wahrsager, der ihr prophezeite, dass eines ihrer Kinder noch in diesem Jahr sterben würde. Dass die Mutter in ihrer Gegenwart "Nicht mein Sohn!" aufheulte, traf das Mädchen bis ins Herz und prägte es bis zu seinem Tod, der vielleicht kein Unfall, sondern gut getarnter Selbstmord war.
Ihr schriftstellerisches Werk widmete sie immer wieder den Unterdrückten. Ihr wichtigstes Buch "Das dunkle Lächeln der Catalina Diaz" handelt vom gescheiterten Aufstand der Indios von Chiapas und ihrer Anführerin, der Seherin Catalina Diaz.
Aufmüpfige Mädchen
Die wilden Zeitläufe spülten die zehnjährige Elena Poniatowska an den Strand Mexikos. Sie ist königlicher Abstammung: Der letzte polnische König Stanislaus II. August, der 1772 der ersten Teilung Polens zustimmen und 1795 abdanken musste, war einer ihrer Vorfahren. Ihre mexikanische Mutter und ihr polnischer Vater lebten mit ihr in Paris, bis der Zweite Weltkrieg ausbrach und die Familie nach Mexiko flüchten musste.
Dass sich Elena nicht ganz so entwickelte, wie ihre Eltern es für sich vorgesehen hatten, spiegelt sich in ihrem ersten literarischen Text: Er handelt von einem aufmüpfigen Mädchen, das durch ihre ungehörigen Fragen dauernd auffällt. Fragen leiteten das Leben der Poniatowska: Sie machte sie sich als Journalistin einen Namen. Das Interview mit einer alten Wäscherin wurde zu ihrem viel beachteten Roman "Jesusa - Ein Leben allen zum Trotz”.
Ihre bohrenden Fragen nach dem Massaker von Tlalteloco am 2. Oktober 1968 brachte das beschämende Versagen der Regierung Diaz Ordaz und die Feigheit der Medien ans Licht. Und immer wieder stellt sie Frauenschicksale in den Mittelpunkt ihres literarischen Werks.
Genauso wie Angeles Mastretta, deren literarische Tätigkeit mit der Angst um das Leben ihrer kleinen Tochter begann: Am Krankenbett erzählte sie ihr von allen Frauen, die in ihrem Leben und in der Geschichte Mexikos wichtig waren.
Ihr jüngster Streich: eine Sammlung von Erzählungen über Frauen. 2007 erschien er in Mexiko unter dem Titel "Moridos" und war sofort auf den Bestsellerlisten Mexikos, Argentiniens und Spaniens zu finden, wo er monatelang verblieb. Das Buch ist erst in diesem Jahr in deutscher Sprache erschienen.
Aufbegehrende Frauen
Starke Frauen und Aufbegehren - und die ungewöhnliche Form des "Kochrezept-Romans" - machten Laura Esquivel berühmt. Ihr Roman "Bittersüße Schokolade" erzählt von der unmöglichen Liebe einer jüngeren Schwester zu ihrem Schwager und dem erotischen Hintergrund ihrer Kochkunst.
Nicht weniger beeindruckend ist der Roman "Mexikanische Hochzeit" von Sandra Sabanero: Esperanza findet am Vorabend ihrer Hochzeit eine Handvoll alter Fotos, entdeckt so die Lebensgeschichte der Frauen ihrer Familie, und beschließt, ihre Familie zu verlassen, um nicht in denselben rigiden Verhältnissen unterzugehen.
Service
Sor Juana Inés de la Cruz, "Der Traum", verlag neue kritik
Sor Juana Inés de la Cruz, "Die Antwort an Schwester Philothea", verlag neue kritik
Octavio Paz, "Sor Juana oder Die Fallstricke des Glaubens", Suhrkamp
Barbara Mujica, "Meine Schwester Frida", Fischer TB
Frida Kahlo, "Cartas Apasionadas. Briefe der Leidenschaft", Fretz & Wasmuth
Rosario Castellanos, "Das dunkle Lächeln der Catalina Diaz", Europaverlag
Elena Poniatowska, "Jesusa – Ein Leben allen zum Trotz", Lamuv TB
Elena Poniatowska: Tinissima. Der Lebensroman der Tina Modotti, Suhrkamp
Angeles Mastretta, "Mexikanischer Tango", Suhrkamp
Angeles Mastretta, "Frauen mit großen Augen", Suhrkamp
Angeles Mastretta, "Emilia", Suhrkamp
Angeles Mastretta, "!Ehemänner!", Suhrkamp
Laura Esquivel, "Bittersüße Schokolade", Suhrkamp
Sandra Sabanero, "Mexikanische Hochzeit", Krüger Verlag
Sandra Sabanero
Tropical music - Chavela Vargas