Ohne Stil keine Moral, ohne Moral kein Stil!
Ingrid Caven bei der Viennale
Die Schauspielerin und Sängerin Ingrid Caven gab aus Anlass des Werner-Schroeter-Tributes bei der Viennale am Samstagabend ein Konzert im Wiener Akademietheater. Der Schröter-Film "Tag der Idioten" mit Ingrid Caven steht am 29. Oktober am Viennale-Programm.
8. April 2017, 21:58
Ingrid Caven war aus Anlass des Werner-Schroeter-Tributes Gast der Viennale. Mit "Tag der Idioten" (1981) ist am 29. Oktober 2008 nur ein einziger Film mit ihr im Programm des Festivals. Kein Problem, meint die 70-Jährige im Gespräch mit der APA, schließlich habe sie mit anderen Regisseuren tatsächlich häufiger gedreht als mit Schroeter, "aber Werner war für mich als Sängerin sehr wichtig. Er hat meine erste Bühnenshow in München inszeniert. Mit seiner Unterstützung habe ich Lieder in den verschiedensten Stilen gesungen, vom Kinderlied bis zum Kunstlied, Operette und Schlager, vom Rock n' Roll bis zu eigens für mich geschriebenen Liedern von Peer Raben zu Texten von Fassbinder. Wir haben einen neuen One-Woman-Konzertstil entwickelt."
Diesem Stil ist die charismatische Künstlerin, die mit ihrer markanten rauchigen Stimme mit Edith Piaf und Marlene Dietrich ebenso verglichen wurde wie mit Lotte Lenya und Liza Minelli, treu geblieben.
Am 25. Oktober 2008 gab die Künstlerin im Rahmen der Viennale, begleitet vom Pianisten Jeffrey Cohen, ein Konzert im Wiener Akademietheater. Lieder von Schönberg und Weill standen ebenso auf dem Programm wie von Rainer Werner Fassbinder und dem 1970 in Buenos Aires geborenen und heute in Paris und Berlin lebenden Argentinier Oscar Strasnoy.
Die falsche Diva
Strasnoy bereitet derzeit nach einem Libretto von Hans Magnus Enzensberger auch eine Oper für und über Ingrid Caven vor. "Es singen zwei richtige Opernsängerinnen und eine falsche. Ich bin die falsche", schmunzelt die Sängerin. Das Projekt soll in rund eineinhalb Jahren zur Premiere kommen, "wahrscheinlich in Deutschland, aber es wird sicher auch nach Paris transferiert werden". Dort ist sie nicht nur seit ihren gefeierten Chanson-Abenden im Pariser Vorstadtlokal "Au Pigall's", mit dem sie 1978 einen fulminanten Start in Frankreich hinlegte. "Ich bin nach Paris gegangen, um aus dem Münchner Klüngel rauszukommen. Ich war auch ziemlich drinnen im Alkohol- und Kokainkonsum", bekennt Caven im Gespräch. Ihr Lebensgefährte Jean-Jacques Schuhl gewann im Jahr 2000 mit seinem Roman "Ingrid Caven" den renommierten Prix Goncourt. "Der Roman hat Enzensberger sehr gut gefallen. Er hat ihn für sein Libretto ein bisschen als Vorlage genommen."
Das wilde Leben
Wie sehr ist die Romanfigur Ingrid Caven mit der echten Person ident? "Die Tatsachen in dem Roman stimmen - bis auf eine einzige Sache, in der Objekte von Warhol und Puppen von Fassbinder vorkommen - alle!" Also auch ihr darin geschildertes Zusammentreffen mit Mitgliedern der Baader Meinhof Bande? Sicher, sie habe Gudrun Ensslin und Andreas Baader getroffen, versichert Caven. Sie hätten Kontakt zu Rainer Werner Fassbinder gesucht. "Rainer hatte aber Angst. Wir wussten ja nicht, was sie wollten. Wir dachten, sie wollen vielleicht Geld, oder seinen BMW. Wir hielten es aber auch für möglich, dass sie ihn entführen wollen, denn Rainer war damals bereits eine bekannte Persönlichkeit. Wir sind jedenfalls ein paar Mal sehr schnell verreist..."
Die alten Zeiten
Den neuen Film "Baader Meinhof Komplex" hat sich Caven nicht angesehen. "Mich interessiert das heute nicht mehr. Damals waren wir aber alle politisiert." Das gelte auch für ihre Zusammenarbeit mit Werner Schroeter: "Wir haben versucht, Leben und Arbeit auf der gleichen Ebene zu praktizieren. Wir haben gelebt, geliebt und gehasst. Wir wollten Strukturen verändern, aber es war ganz klar, dass es nicht ohne Stil sein sollte. Ohne Stil keine Moral, ohne Moral kein Stil! Werner kommt ja wie ich von der Musik und der Literatur. Ich habe damals auch sehr viel Theater gemacht mit Werner Schroeter. Wir haben eine Gemeinsamkeit dem Leben, dem Tod und der Kunst gegenüber. Er besucht auch immer wieder meine Konzerte."
Eine wunderbare Beziehung
Obwohl die am 3. August 1938 in Saarbrücken als Ingrid Schmidt geborene Tochter eines Zigarettenhändlers schon Noten lesen konnte, ehe sie lesen lernte, begann ihr Leben keineswegs musikalisch, sondern gar nicht künstlerisch. Nach einem Pädagogikstudium arbeitete sie zunächst als Lehrerin, ehe sie ohne Schauspielstudium für Bühne und Film entdeckt und zur "Fassbinder-Schauspielerin" wurde, die in etlichen seiner Filme mitspielte und 1970 schließlich auch seine Frau wurde. Die Ehe dauerte kaum länger als zwei Jahre. "Fassbinder wollte sich gar nicht scheiden lassen. Aber für mich wurde es eng." Auch nach der Scheidung behielt sie den Familiennamen Fassbinder bei. "Damals kontrollierte man in den Hotels noch die Pässe, wenn man ein gemeinsames Zimmer nehmen wollte. Durch den gleichen Familiennamen konnten wir das auch weiterhin tun, auch wenn wir nicht mehr verheiratet waren", lacht Caven heute und resümiert: "Trotz aller Schwierigkeiten: Es war eine wunderbare Beziehung."
Rund 50 Filme hat Ingrid Caven bisher gedreht, und mit ihren Liedern auch zahlreiche Alben aufgenommen. Dass sie am Samstag die Bühne des Akademietheaters betreten hat, war fast wie eine Rückkehr: 1996 hatte sie im Burgtheater in Paulus Mankers "Dreigroschenoper"-Inszenierung die Spelunken-Jenny gespielt, als Ersatz für die kurzfristig ausgefallene Josefin Platt. "Manker und auch Peymann wussten wohl, dass ich die Jenny schon gespielt hatte. Es musste alles ganz schnell gehen. Aber es war eine interessante Erfahrung. Vielleicht kann ich ja einmal mit einem Konzert auch ans Burgtheater zurückkommen."
Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang, APA
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Viennale - Tag der Idioten