Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung

Das Lächeln der Henker

90 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg sind die Kriegsverbrechen der Habsburger nach wie vor kaum bekannt. Tausende Zivilisten wurden während des Ersten Weltkriegs als angebliche "Spione" am Galgen hingerichtet, wie der Fotohistoriker Anton Holzer beweist.

Im Zentrum des Bildes ist ein aus Balken gezimmerter Galgen zu erkennen. Dahinter steht ein großes Holzfass. Der Mann, der soeben hingerichtet wurde, ist in einen dunklen, vorne offenen Mantel gehüllt. Er trägt eine ärmliche Hose aus gestreiftem Tuch, die um die Hüfte mit einer Schnur zusammengebunden ist. Die Beine sind mit einem Strick gefesselt. Sein Hut liegt neben ihm auf dem Boden. Die kleine Holztreppe, über die er den Galgen besteigen musste, ist schon zur Seite geräumt. Neben dem Toten steht ein Soldat, der ihn mit der Hand berührt. Dahinter gruppieren sich zahlreiche andere Soldaten.

Anton Holzers Buch ist nichts für schwache Nerven. Das weitaus häufigste Foto-Motiv des großformatigen Schwarz-Weiß-Bandes sind gehängte Männer und Frauen in Zivilkleidung, umringt fast immer von Soldaten in k.-und-k.-Uniform. An den Galgen, oft zu mehreren in einer Reihe, hängen Bauern in einfacher bosnischer oder serbischer Arbeitstracht, Taglöhner, aber auch Frauen in normalen Alltagskitteln und Küchenschürzen.

In den üblichen Kriegsbüchern dieser Tage begegnen einem solche Bilder nicht, meint Anton Holzer im Gespräch, "wir haben also ein heroisches Bild des Ersten Welktriegs, und plötzlich taucht ein Foto auf, das diesem heroischen Bild diametral widerspricht. Das Besondere an diesem Bildmaterial ist, dass es auch einen Krieg zeigt, der genauso real war." Am Galgen seien schließlich Zehntausende Menschen umgekommen.

Eine Kleinigkeit genügte

Bis heute gibt es keine verlässlichen Zahlen über die Gesamtzahl der Hinrichtungen. Die Schätzungen schwanken zwischen 11.400 - diese "niedrigste" Einschätzung stammt aus dem Tagebuch des Reichsratsabgeordneten und letzten Finanzministers der Monarchie, Joseph Redlich - und 60.000, einer Angabe, die auf zeitgenössische Abgeordnetenberichte aus Galizien und Serbien zurückgeht. Der österreichische Historiker Hans Hautmann nimmt an, dass zwischen 1914 und 1918 an die 30.000 Ruthenen und ebenso viele Serben unter Berufung auf die "Kriegsnotwehr", das heißt ohne feld- oder standgerichtliche Verfahren hingerichtet worden sind.

Der weitaus größte Teil der Opfer waren unschuldige Zivilisten. Meist waren es Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten, die kollektiv der "Spionage" und der "Unzuverlässigkeit" verdächtigt wurden. Es brauchte nicht viel, um die unerbittliche Maschinerie der Militärjustiz in Gang zu setzen: Ein unbesonnenes Wort, eine missverständliche Geste, der Hinweis eines Denunzianten reichten aus, um die Beschuldigten an den Galgen zu bringen.

Dabei sein und gesehen werden

"Russophilie" war das seltsame Wort für einen der am häufigsten genannten Vorwürfe gegen die einheimische Bevölkerung, zum Beispiel in Ostgalizien oder der Bukowina. Mehr recht als schlecht durch das Attentat von Sarajewo "begründet", verfolgte Österreich-Ungarn auf dem Balkan territoriale Ziele, die es durch Russland bedroht sah. Eine zweideutige Handbewegung eines Einheimischen reichte in dieser Situation, um einen Menschen als "russophil" einzuschätzen- womit sein Todesurteil besiegelt war. Die Fotos von diesen Hinrichtungen waren begehrte Sammelobjekte.

Die Bildermacher waren nicht nur professionelle Kriegsfotografen, sondern auch österreichische Offiziere, die zugleich das Publikum der schaurigen Szenen bildeten:

"Ich würde sagen, das ist ein unglaublicher Voyeurismus", so Holzer. "Nicht nur das Dabei-sein-wollen, sondern auch das Gesehen-werden" war wichtig. Bei fast allen diesen Szenen gibt es auch viele Zuschauer. (...) Wir haben den Eindruck, als ob es keinerlei Scheu gegeben hätte, diese Bilder zu machen und aufzubewahren."

Zwischen trist und volksfestartig

In Erinnerungsmappen von Offizieren fand Anton Holzer ganze Fotoserien, minutiös in die Reihenfolge der einzelnen Hinrichtungsschritte gebracht, und liebevoll eingeklebt zwischen Landschaftsaufnahmen und den Bildern von diversen Offiziersbelustigungen.

Die Stimmung der Hinrichtungsfotos changiert zwischen trist und volksfestartig. Der hämisch triumphierende oder sogar offen lachende Gesichtsausdrucks der an der Hinrichtung beteiligten österreichischen Offiziere veranlasste Karl Kraus in seinen "Letzten Tagen der Menschheit" nicht nur zu dem Ausruf: "Ach, dieses Lächeln im Krieg war erschütternder als das Weinen!", sondern auch zu durchaus dokumentarisch zu nennenden Szenen wie diesen:

Der Hauptmann Prasch steht vor einer Deckung, ganz mit Blut bestrichen, er hält über seinem Kopf einen Kopf, den er auf einen Stock gespießt hat. Er spricht: "Das ist mein erster italienischer Gefangener, mit meinem eigenen Säbel habe ich's getan. Meinen ersten russischen Gefangenen habe ich vorher martern lassen. Am liebsten gehe ich auf Tschechen. Ich bin ein gebürtiger Grazer. Wer mir in Serbien begegnet ist, den habe ich auf der Stelle niedergeknallt. Der Krieg erfordert ein straffes Zusammenfassen der Kräfte.

Stolz auf Schnappschüsse

Für sein Buchcover wählte Anton Holzer dasselbe Bild, das auch Karl Kraus für seine "Letzten Tage der Menschheit" aussuchte: ein bekanntes Foto, aufgenommen nach der Hinrichtung des italienischen Patrioten Cesare Battisti in Trient am 12. Juli 1916. Umringt von feixenden österreichischen Offizieren und sonstigen Biedermännern, die sich drängelnd mit ins Bild rücken, wird Battisti wie ein erlegtes Wild dem Betrachter präsentiert.

Bildpostkarten und private Schnappschüsse dieser Art wurden am Körper getragen und bei vielen Gelegenheiten vorgezeigt. Ein Ritual, dem Elias Canetti in seinem 1960 erschienenen Hauptwerk "Masse und Macht" die magische Kraft der "leiblichen Anwesenheit" des getöteten Gegners zusprach. Dass dieser sogenannte Gegner im Ersten Weltkrieg häufig ein wehrloser Bauer oder Arbeiter war, gereicht den kriegsführenden Mächten und deren ausführenden Offizieren nicht zur Ehre.

Parallelen zu Abu Ghraib

Es wäre zu einfach, nur auf die lange vergangenen Zeiten der k.-&-k.-Monarchie und ihren ebenso glück- wie würdelosen Territorialkrieg zu verweisen. "Pornografie der Gewalt" heißt das letzte Kapitel in Anton Holzers Buch. Darin verweist der Autor auf Parallelen zu den Bildern aus Abu Ghraib, auf denen Kriegsgefangene gefoltert und gedemütigt werden, und die heute in Internet-Tauschbörsen kursieren.

Die Gewalttaten in Abu Ghraib fanden, ebenso wie jene im Ersten Weltkrieg, im Schatten des sogenannten "Großen Krieges" statt. Auch sie richteten sich hauptsächlich gegen Zivilisten. Die interessanteste Parallele liegt aber vermutlich darin, dass in beiden Fällen Bilder eine zentrale Rolle spielten.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Anton Holzer, "Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918", Primus Verlag