Verschwörungstheorien und Recherchefehler
Das musikalische Opfer
Ein Buch mit vielversprechender Aufmachung: Johann Sebastian Bachs "Musicalisches Opfer" steht im Mittelpunkt, eine Komposition, die auf dem "Königlichen Thema" Friedrich des Zweiten aufgebaut ist. Der Autor ist einer der prominentesten Journalisten.
8. April 2017, 21:58
Eine schöne bibliophile Aufmachung, ein flüssiger Stil, eine gute Übersetzung - das ist vielversprechend, wenn man ein Buch in die Hand nimmt, und weckt positive Erwartungen. Johann Sebastian Bachs "Musicalisches Opfer" steht im Mittelpunkt, es ist bekanntlich eine Komposition, die auf dem "Königlichen Thema" des Musik liebenden Monarchen Friedrich II. aufgebaut ist.
Der Autor ist einer der prominentesten lebenden Journalisten: James R. Gaines, US-Amerikaner und langjähriger Chefredakteur und Herausgeber von "Life Magazine" und "Time".
Grundverschiedene Weltsicht
Ein interessantes Thema, die geistige Welt der so verschiedenen Persönlichkeiten zu vergleichen, die da am Abend des 7. Mai 1747 in Potsdam zusammen - oder präziser formuliert - aufeinander trafen: Johann Sebastian Bach, damals der "alte" Bach genannt, und König Friedrich II. von Preußen, später der "alte Fritz" genannt.
Die beiden trennte nicht nur eine Generation, sondern auch ihre grundverschiedene Weltsicht. Und so ist es ein reizvolles Unterfangen, an Hand der Familienhistorie der Bachs und der Hohenzollern das geistige Umfeld zu rekonstruieren, das diese beiden Männer prägte. Es ist auch absolut reizvoll, zu zeigen, dass Friedrichs Ideale, die Aufklärung und der Empirismus, auf die Zerstörung der Bachschen Ideale aus waren. Die alte Ordnung von der Harmonie der göttlichen und weltlichen Sphären, die Einheit von Glauben und Wissen, wurde in jenen Jahren und Jahrzehnten von ihnen weitgehend abgelöst. Allerdings nur, um alsbald selber ihrer endlichen Gültigkeit überführt zu werden... Und es ist interessant, die Ahnengeschichte wie die Lebensgeschichte der beiden kaptitelweise abwechselnd und somit parallel zu behandeln.
Manifeste Verschwörungstheorie
Doch leider liegt dem Buch eine manifeste Verschwörungstheorie zugrunde, für die Autor James Gaines den Komponisten Arnold Schönberg einspannt, dem er vorsichtshalber gleich das Prädikat des "bedeutendsten Kontrapunktikers des 20. Jahrhunderts" überstülpt:
Als Bach die dreistimmigen Fuge beendet hatte, (...) fragte Friedrich ihn, ob er (..) .eine sechsstimmige machen könne. Bach (...) gab zu bedenken, (...) er müsse die Sache auf dem Papier ausarbeiten und werde sie Friedrich später übersenden. (...) Aus Bachs Leben ist keine andere Gelegenheit überliefert, bei der er eine solche Niederlage hatte hinnehmen müssen. (...) Der Wunsch, Bach in Verlegenheit zu stürzen, könnte der eigentliche Grund für die Einladung an den Hof Friedrichs gewesen sein. Zweihundert Jahre später sah Arnold Schönberg in der unheimlichen Kompliziertheit des Königlichen Themas ein Indiz für die böswillige Absicht, Bach zu demütigen, ihn auf seinem eigenen Feld zu schlagen. Und ausgehend von der Annahme, dass Friedrich nie und nimmer imstande gewesen sei, selbst ein Thema von so tückischer Schwierigkeit zu ersinnen, gelangte Schönberg zu der noch düsteren Schlussfolgerung, es könne von niemand anderem als von Bachs Sohn Carl stammen, dem einzigen an Friedrichs Hof, dessen Kenntnis des Kontrapunkts ausreichte, seinen Vater zu übertrumpfen. "Ob eigene Bosheit ihn verleitete oder ob der 'Spaß' vom König bestellt war, lässt sich vermutlich nur psychologisch nachweisen", schrieb Schönberg.
Bachsohn als Bosnigl?
Da haben wir halt den bedeutendsten Kontrapunktiker des 20. Jahrhunderts, der den einzigen, der seinen Vater in der Kenntnis des Kontrapunkts übertrumpfen konnte, als Bosnigl ausfindig macht. Auch wenn es auf der nächsten Seite unseres Buches schon wieder heißt, dass der alte Bach der "größte Meister des Kontrapunkts aller Zeiten" war.
Na ja, um Superlative und griffige Formulierungen ist der Autor von Berufs wegen nicht verlegen. So macht er für den Ablasshandel in Deutschland zu Luthers Zeiten die Honorare Michelangelos für den Bau der Peterskirche in Rom verantwortlich. Dass der greise Michelangelo die Bauleitung erst dreißig Jahre nach Luthers Aufschrei in Wittenberg übernahm, und das nur unter der ausdrücklichen Bedingung, keinerlei Lohn dafür annehmen zu wollen, muss ja nicht jeder Leser auswendig wissen. Er muss sich auch nicht über Behauptungen wundern, wie dass die von Bach sehr geschätzte Orgel der Hamburger Katharinenkirche nach seinen Angaben "15 Meter hohe Pfeifen" hatte, oder dass zu Buxtehudes Zeit "alle deutschen Komponisten...unter dem Einfluss der Niederländer" standen. Ach ja, und Vivaldi komponierte bekanntlich deshalb "Solopartien (...) von schwindelerregender Virtuosität", weil die Dogen von Venedig "keine reale Macht" hatten; in anderen Weltgegenden hätte man ihn deshalb "für umstürzlerisch gehalten".
Die Fugen-Frage
Zurück zu Bachs Schaffen: Nach Gaines findet sich "im ganzen Wohltemperierten Klavier...nur eine Fuge mit fünf Stimmen", wobei der Autor leider nicht angibt, ob er die in cis-Moll oder die in b-Moll meint, und schließlich zu dem ziemlich genial formulierten allgemeinen Hinweis gelangt: "Meistens wird Musik ja besser, wenn man sie mit geschlossenen Augen hört."
Und stimuliert durch richtiges Hörverhalten gelangt man dann zur der epochalen Schlussfolgerung im letzten Kapitel:
Noch heute lässt sich die Unterhaltung bei jeder Dinnerparty leicht in Schwung bringen, indem man die These in den Raum stellt, Bach sei bedeutender als Mozart. Aber so ist es nun mal: Hören Sie der Musik Bachs eine Weile wirklich zu, und Sie werden bemerken - den meisten Werken Mozarts, so hinreißend und herrlich sie daherkommen, fehlt etwas.
Sehr lobenswert ist die ausführliche Danksagung des Autors am Ende des Buches: Gaines dankt den vielen Bach- und Friedrich-Forschern, den zahlreichen Bibliotheken, den Lektorinnen und Lektoren und Korrekturlesern, nicht ohne sie "von jeglicher Verantwortung für etwaige Irrtümer" freizusprechen, die ihm "bei der Darstellung von Tatsachen unterlaufen sein mögen".
Hör-Tipp
Apropos Musik. Das Magazin, Sonntag, 2. November 2008, 15:06 Uhr
Buch-Tipp
James R. Gaines, "Das musikalische Opfer. Johann Sebastian Bach trifft Friedrich den Großen am Abend der Aufklärung", aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser, Eichborn