Eine Theorie verändert die Welt
Eine große narzisstische Kränkung
1859 veröffentlichte Charles Darwin mit "Die Entstehung der Arten" seine Evolutionstheorie. Die darin formulierten Thesen stellten das wissenschaftliche Weltbild auf den Kopf. Nichts war mehr geschaffen, sondern Ergebnis eines Entwicklungsprozesses.
8. April 2017, 21:58
Mit der Veröffentlichung seiner Evolutionstheorie stellte Charles Darwin das wissenschaftliche Weltbild auf den Kopf. Auf einmal war nichts mehr geschaffen, sondern Ergebnis eines langen, nie abgeschlossenen Entwicklungsprozesses. Der Mensch eingeschlossen.
Mit dieser Verbannung von seinem als gottgegeben erachteten Platz als Krone der Schöpfung fügte Darwin dem Menschen die zweite große narzisstische Kränkung nach Nikolaus Kopernilkus zu, der die Erde aus dem Mittelpunkt der Welt verdrängte.
Das zumindest befand der Darwin-Anhänger Sigmund Freud ein paar Jahrzehnte später, und fügte gleich auch noch die dritte Kränkung hinzu, indem er dem Menschen absprach, Herr im eigenen Haus zu sein.
Alles begann mit einer Einladung
Von all dem war noch keine Rede, als sich dem Charles Darwin im Alter von 22 Jahren die Chance seines Lebens bot - und er griff zu: Er war eingeladen, als Gentleman-Begleiter dem nur vier Jahre älteren Kapitän Robert FitzRoy auf seiner Weltumseglung zur Vermessung der Küsten der Südhemisphäre Gesellschaft zu leisten.
Als die H.M.S. Beagle Anfang 1832 nach einigen Verzögerungen endlich in See stach, hatte Darwin noch keine genaue Vorstellung davon, was er auf der für zwei Jahre anberaumten Reise tun würde.
"Don Carlos Darwin, naturalista"
Staunend und überwältigt von all dem Neuen, dem er begegnete, erwachte spätestens nach der Ankunft in Südamerika die Sammellust in ihm. Das einzige, was er dabei verlor, war sein Pass. In Argentinien erhielt er ein neues Dokument und schickte fortan als "Don Carlos Darwin, naturalista" beinahe monatlich Kisten voller getrockneter Pflanzen, fossiler Muscheln und Knochen, präparierter und eingelegter Tiere nach Hause.
Ein Beispiel für abertausende: kleine Vögel von den Galapagosinseln, die sich vor allem durch ihre Schnabelform unterschieden. Sie sollten später als wesentlicher Beleg für die Veränderlichkeit der Arten unter verschiedenen Umweltbedingungen gelten und so als "Darwinfinken" berühmte Zeugen der Evolutionstheorie werden.
Rückkehr nach fünf Jahren
Als Darwin nach fünf statt der geplanten zwei Jahre Reise nach England zurückkehrte, hatte er von Brasilien über Argentinien, die Falklandinseln, Chile, Peru, die Galapagosinseln, Tahiti, Australien und Südafrika nicht nur die halbe Welt gesehen und Proben aller Art gesammelt, sondern auf tausenden Tagebuchseiten auch all jene Beobachtungen notiert, die ihn den Rest seines Lebens beschäftigen sollten.
Bald danach waren die Grundzüge seiner Theorie zur Abstammung der Arten notiert - mit ihrer Veröffentlichung sollte er aber noch gut zwanzig Jahre zuwarten.
Nie wieder reisen
Für wenige Jahre ließ er sich nach seiner Rückkehr in London nieder, brachte höchst erfolgreich einen Reisebericht auf den Markt - und machte sich daran, häuslich zu werden. Er heiratete seine Cousine, gründete eine Familie und zog aufs Land.
Von Down Haus südlich von London, wo er ab 1842 mit Frau und stetig wachsender Kinderschar (insgesamt waren es zehn) lebte, bewegte er sich nur mehr weg, wenn es wirklich gar nicht zu vermeiden war. Die Insel verließ er nie wieder, Kontinentaleuropa hat er nie betreten.
Allerdings blieb er mit dem Rest der (Wissenschafts-)Welt in regem Briefkontakt – bis in die entlegensten Winkel des großen British Empire. Während er auf diesem Wege immer weitere Beweise für seine noch geheime Haupttheorie sammelte, versuchte er mit einer akribisch genauen Arbeit über die Rankenfußkrebse seine Akzeptanz als ernsthafter Biologe zu sichern. Mit Erfolg.
Er galt sowohl als geachteter Geologe als auch Biologe, als er 1859 schließlich endlich "Die Entstehung der Arten" veröffentlichte.
Mit oder gegen Darwin
Dass dieses Werk Wellen weit über die Naturwissenschaft hinausschlagen würde, war sofort klar. Inwieweit Darwin die gesellschaftliche Tragweite seiner Theorie vorausahnte, darüber lässt sich nur spekulieren.
Sicher ist, ob Vertreter von Sozialdarwinismus und Soziobiologie, Rassenhygiene und Eugenik, Kreationismus und Intelligent Design - sie alle argumentierten und argumentieren in irgendeiner Weise mit oder gegen Darwin. Das Anreizpotential der Evolutionstheorie ist bis heute nicht erschöpft.
Charles Darwin hat eine Geschichte des Lebens geschrieben, die keines Gottes mehr bedarf. Mit der Kirche hat er trotzdem noch zu Lebzeiten seinen Frieden geschlossen. Oder sie mit ihm. Sonst wäre Darwin, als er 1882 starb, wohl kaum in einem großen Staatsbegräbnis in der Westminster Abbey beigesetzt worden - gleich neben Isaac Newton.
Hör-Tipps
Radiokolleg, Montag 12. Jänner bis Donnerstag, 15. Jänner 2009, 9:05 Uhr
Alle Sendungen zu "Projekt Darwin" der kommenden und vergangenen 35 Tage finden Sie in oe1.ORF.at
Tipp
Mit Darwin beschäftigt sich auch die aktuelle Ausgabe des "profil": Der unvollendete Mensch - 150 Jahre nach Darwins Theorie - Start einer neuen, vom Menschen gesteuerten Evolution. Experten debattieren, ob der Mensch die frühvollendete Krone der Schöpfung repräsentiert. Doch die Stammesgeschichte des Menschen geht weiter. Nur anders, als man denken mag. Inzwischen dirigiert der Mensch sein evolutionäres Schicksal längst selbst: durch Präimplantationsdiagnostik, Gentherapie und die fortschreitende Verschmelzung von Gehirn und Computer.
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profil - Darwin