Wie prekär ist die Lage in Bosnien-Herzegowina?

In weiter Ferne so nah

In unseren Breiten hört und liest man in letzter Zeit wenig über die politische und wirtschaftliche Lage in Bosnien-Herzegowina. Fast scheint es, als gäbe es nichts zu berichten. Ein jüngst in der "New York Times" publizierter Artikel spricht allerdings eine andere Sprache.

Unter dem dramatisch klingenden Titel "Fears of New Ethnic Conflict in Bosnia" analysierte am 13. Dezember dieses Jahres der Journalist Dan Bilefsky in der "New York Times" die aktuelle Lage in Bosnien-Herzegowina. Bilefsky stellt in seinem ausführlichen Artikel die prekäre Situation dar, in der sich das noch immer vom Krieg gezeichnete Land auch nach 13 Jahren Frieden befindet.

Man spüre in Bosnien ("poor and divided" - "arm und geteilt") die wachsende Angst, so Bilefsky, weil das Land wieder in eine Krise rutsche. Zum ersten Mal seit Jahren spricht man im geteilten Bosnien wieder über die Möglichkeit eines neuen Krieges.

Ein offener Brief

Aus europäischer Sicht ist interessant, dass eine US-Zeitung das Thema aufgreift, während man hier, in der unmittelbaren Nachbarschaft Bosnien-Herzegowinas, kaum Dramatisches vernehmen kann.

Bilefsky zitiert einen offenen Brief des amerikanische Diplomaten Richard C. Holbrooke, der 1995 das Friedensabkommen von Dayton ausgehandelt hat. Er und der irische Ex-Premier Paddy Ashdown haben den offenen Brief an mehrere Zeitungen versandt. Darin warnen sie: "Es ist die Zeit gekommen, dass wir unsere Aufmerksamkeit wieder nach Bosnien richten, wenn wir verhindern möchten, dass dort die Dinge sehr schnell schlimmer werden."

Byzantinische Strukturen

Die ethnische Trennung beginnt schon in Kindergärten und Schulen, wo die Kinder nach verschiedenen, national differenzierten Lehrplänen unterrichtet werden. Diese Trennung ist in allen Facetten des Lebens präsent.

Bilefsky hat das Regierungssystem Bosnien-Herzegowinas mit seinen Dutzenden Ministern und einem Verwaltungsapparat, der die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aufsagt, mit dem alten Byzanz vergleichen. Dieser schwere Apparat ist ein uneffektives Organ, das nicht im Stande ist, die wichtigsten Probleme des Landes zu lösen, ganz im Gegenteil. Man hört immer öfter Stimmen von allen Seiten, die wieder nach einer Teilung von Bosnien-Herzegowina rufen.

Gleichzeitig will die Wirtschaft nicht und nicht in Gang kommen. Die Auswirkungen der Weltfinanzkrise sind in Bosnien-Herzegowina nur deshalb so wenig zu spüren, weil die Lage schon davor erbärmlich war.

Nach Recherchen von Dan Bilefsky hat Bosnien-Herzegowina seit Ende des Krieges 1995 mehr als 18 Milliarden US Dollar als Hilfe aus dem Ausland erhalten. Seine Sicherheit wurde in der gleichen Zeit zuerst durch Truppen der UNO und jetzt durch die Friedenstruppe der Europäischen Union bewahrt. Im Moment ist diese Einheit 2.000 Mann stark.

Das Erbe von Präsident Bill Clinton
Eine Erklärung des verstärkten US-Interesses an der Region liegt vermutlich im Regierungswechsel in den USA. Nach der Wahl haben führende Politiker in Bosnien-Herzegowina die Hoffnung geäußert, dass der neue US-Präsident, Barack Obama, mehr Engagement in ihren Angelegenheiten zeigen werde, als Präsident Bush. Seine multikulturelle Herkunft prädestiniere ihn in ihren Augen für eine Vermittlungsmission in diesem ethnisch so komplizierten Raum.

Die neue Außenministerin, Hillary Clinton, könnte versuchen, das Dayton-Abkommen, das unter der Regierung ihres Mannes, Bill Clinton, ausgerufen wurde, zu retten.

In Bosnien-Herzegowina selbst haben die Medien über den offenen Brief von Richard Holbrooke nicht viel berichtet. Einige brachten mehr oder weniger getreue Übersetzungen, aber zu dramatisch haben sie die ganze Geschichte nicht genommen. Der Brief von Holbrooke und Ashdown endet jedenfalls mit der Warnung "Man muss etwas gegen die Entwicklung der Situation in Bosnien unternehmen, weil beim nächsten Mal der Preis für unser Nichtstun vorhersehbar ist."

Links
New York Times - Fears of New Ethnic Conflict in Bosnia
Project Syndicate - Sleepwalking in the Balkans (by Richard Holbrooke and Paddy Ashdown]