Sonia Simmenauer über das "Leben im Quartett"

Faszination Streichquartett

Das Impresariat von Sonia Simmenauer betreut einige der berühmtesten Streichquartette. Über ihre Arbeit hat Simmenauer ein Buch veröffentlicht, das so leidenschaftlich vom "Leben im Quartett" berichtet, wie es nur selten in Musikbüchern vorkommt.

Vier Menschen und vier Instrumente. Das genügt, um seit über 250 Jahren Komponisten, Interpreten und Publikum herauszufordern, zu begeistern, zu verzaubern.

Wer Streichquartett spielt, hat eine Aufgabe, möglicherweise eine Vision. Wirklich Streichquartett spielen zu wollen, sich ihm zu verschreiben, heißt auch, anderes Musizieren zu unterlassen. Wer Streichquartett spielt, verlässt vielleicht den sicheren Boden des Orchesterberufes, ohne den Glanz des Solistendaseins zu erlangen.

Die vier Mitglieder eines Streichquartettes schlüpfen in genau definierte Rollenbilder, von denen es soviel Parodien wie Verklärungen gibt.

So: Erste Geige - Primadonna. Zweite Geige - Kammerzofe der Ersten. Bratsche - Witzfigur ("Wofür halten die Bratscher BSE? Für den Tristanakkord"). Cello - irgendwer muss halt den Grundton spielen, sonst kennt sich ja keiner aus.

Oder so: Erste Violine - himmlischer Gesang, virtuose Anführerin. Zweite Violine - unerlässliche Zwischenstimme, emanzipierte Partnerschaft. Viola - die Taille des Klanges; macht den Akkord erst körperlich. Violoncello - das schönste Fundament, die graue Eminenz.

Faszinierende Möglichkeiten

Jeder Musikfreund hat irgendeine Vorstellung davon, was ein Streichquartett ist: die strengste der Kammermusikgattungen. Die heilige "Vierfalt" der Klassik. Die schönste Form, miteinander zu musizieren. Das Beste, was Beethoven, Schubert etc. hervorgebracht haben.

Was mich am Streichquartett besonders fasziniert, ist die Vielzahl der Möglichkeiten, miteinander zu spielen. Beobachten Sie ein Streichquartett auf der Bühne. Wenn es ein gutes Ensemble ist, werden die Mitglieder ständig den (Sicht-) Kontakt zueinander suchen, mal die Viola zur Primgeige, mal das Violoncello zur Viola. Da ein Solo gegen ein Trio, dort wiederum zwei gegen zwei; eventuell auch alle vier gegeneinander und jeder für sich, und dann auf einmal - als würde ein flatternder Schwarm Vögel abrupt eine gemeinsame Richtung einschlagen - alle miteinander.

Auch die schlichtesten Kompositionen, in denen die Rollen scheinbar klar festgelegt sind, bergen eine Fülle solcher Kombinationen.

Wer Streichquartett auch mit offenen Augen hört, dem wird nie langweilig...

Reibungsflächen

Vielfalt der Kontakte zueinander findet auch im Alltag der vier Menschen statt, wenn auch nicht so konzentriert und intensiv wie auf der Bühne (wo das Werk diese Kontakte ja erst auslöst). Doch ist man einmal auf gemeinsamer Konzerttournee, werden die Konfliktstoffe gewebt, tauchen die Reibungsflächen auf, entstehen andere, unmusikalische Rollenbilder; kurz, es wachsen die Herausforderungen, die mit Musik nichts zu tun haben und sie sogar verdrängen können.

Um solche Dinge kümmert sich Sonia Simmenauer - auch. Ihr Impresariat in Hamburg betreut einige der berühmtesten Streichquartette der Welt. Über ihre Arbeit hat Simmenauer Anfang 2008 ein Buch veröffentlicht, das so leidenschaftlich vom "Leben im Quartett" berichtet, wie es nur selten in Musikbüchern vorkommt.

Sie vermag es, charakteristische und auch heikle Situationen im Leben eines Streichquartettes auf den Punkt zu bringen: "Man trifft sich unvermeidlich schon beim Frühstück, ungeschminkt, übermüdet, schutzlos." Sie traut sich, Fragen zu formulieren, die auf der Hand zu liegen scheinen, die aber in Wirklichkeit so nur selten gestellt werden: "Was passiert, wenn einer geht?"

Ein glühender Fan
Und Sonia Simmenauer schreibt sehr persönlich; in einem Geschäft, in dem vor allem ein kühler Kopf verlangt wird, hat sie sich das Privileg bewahrt, ein glühender Fan geblieben zu sein. "Hierin liegt das wirkliche Phänomen: Wie vier grundverschiedene Menschen dennoch zu einer Einheit mit allen musikalischen und menschlichen Schattierungen zusammenfinden können."

Hör-Tipps
Ö1 extra, Donnerstag, 25. Dezember 2008, 22:05 Uhr

Im Zuge des Haydn-Jahres 2009 werden auf Ö1 im Rahmen von "Apropos Klassik" sämtliche Streichquartette des Komponisten zu hören sein, in den "Klassiknächten" alle Klaviersonaten und Klaviertrios.

Buch-Tipp
Sonia Simmenauer, "Muss es sein - Leben im Quartett", Berenberg Verlag

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