Das Innenleben der Börse
Grundkurs in Wirtschaftslatein
Unbedarfte Käuferinnen und Käufer von Finanzprodukten hatten sich bislang kaum Gedanken gemacht, ob die von ihnen erworbenen Anlageprodukte Aktien enthalten haben. Das hat erst die Krise 2008 geändert. Wie aber funktioniert der Handel an der Börse eigentlich?
8. April 2017, 21:58
Jahrelang kannte die Entwicklung an der Wiener Börse nur eine Richtung: nach oben. Zumindest übers Jahr betrachtet, haben sich die Kurse in Wien für die Anleger meist erfreulich entwickelt. 2008 kam der große Einbruch.
Dieses Schreckensjahr hat vielen bewusst gemacht, dass sie von der Entwicklung an der Börse abhängig sind, ohne dass ihnen das bisher bewusst gewesen wäre. Grund genug, der Frage nachzugehen, wie der Handel an der Wiener Börse eigentlich funktioniert.
Börse-Handel über Computer in Banken
Der Börse-Handel wird seit Jahren weltweit fast nur noch über Computer abgewickelt. Der Vorteil: Es kann ortsunabhängig gehandelt werden, auch internationale Handelsteilnehmer können direkt an die Wiener Börse angebunden werden. Auch wäre eine Abwicklung der großen Zahl an Transaktionen händisch schwer durchführbar.
Den Aktienhandel selbst führen Banken oder Broker aus, wie die Händler genannt werden. Die Börse stellt nur die technischen Handelssysteme zur Verfügung.
Aktienhandel: Wie funktioniert das?
Die Aktienhändler der Banken geben über Computer im so genannten Orderbuch an, zu welchem Preis sie eine Aktie kaufen oder verkaufen wollen. Bei dem Preis, bei dem Käufer und Verkäufer übereinstimmen, bildet der Computer automatisch den Kurs.
Wenn diese Kurse laufend, also jede Sekunde, für eine Aktie gebildet werden, nennt man das Fließhandel. Zu Beginn und zum Schluss jedes Handelstages finden außerdem Auktionen statt: dabei werden so viele Orders wie möglich gesammelt und der Kurs für eine Aktie wird bei dem Wert festgelegt, bei dem der höchste Umsatz zustande kommt.
Spiegel der Zukunftserwartung
Der Aktienkurs eines Unternehmens stellt einerseits den Preis dar, zu dem eine Aktie gekauft oder verkauft werden kann. Gleichzeitig gibt der Aktienkurs auch den Wert eines Unternehmens wieder, und zwar dessen Eigenkapital-Wert. Dieser Börsewert spiegelt die Erwartungen der Investoren über die Zukunft eines Unternehmens wider.
Strenge Regeln für börsenotierte Unternehmen
Damit ein Unternehmen an die Börse gehen kann, muss es gewisse Voraussetzungen erfüllen und strenge Regeln einhalten. So muss ein Unternehmen etwa ausführlich über seine Bilanz und seinen Gewinn Auskunft geben. Die 20 wichtigsten österreichischen Unternehmen, das sind jene Unternehmen, die am meisten gehandelt werden und die den größten Börsewert haben, sind im Austrian Traded Index, kurz ATX zusammengefasst.
ATX als Maßstab für die Börse-Entwicklung
Der ATX ist der Leitindex der Wiener Börse. Er ist gewichtet, zu den größten "Schwergewichten" zählen die Erste Bank, Raiffeisen und die Telekom Austria. Der ATX ist somit sehr Bankenlastig, das heißt, gehen die Aktienkurse der Banken nach oben, gewinnt auch der ATX, umgekehrt, wenn Bank-Aktien stark verlieren, ziehen sie den Index überproportional stark ins Minus.
Der Startwert des ATX wurde 1991 mit 1.000 Punkten festgelegt. Diese Punkte, die seither täglich ausgewiesen werden, geben keinen Wert an, sondern sagen nur aus, ob der ATX steigt oder fällt, das heißt, ob es mehr Käufer oder mehr Verkäufer gibt.
Aktionäre sind die Eigentümer eines Unternehmens
Wer eine Aktie kauft, beteiligt sich damit am Unternehmen, das heißt, er wird Miteigentümer. Damit profitiert er, wenn das Unternehmen Gewinne macht, wenn es allerdings Verluste macht, muss er die ebenfalls mittragen.
Grundsätzlich kann man auf zwei Arten Aktienbesitzer sein, direkt oder indirekt. Direkt wird man Aktionär, indem man selbst Aktien kauft, entweder in einer Bank oder im Internet. Indirekt, indem man etwa eine entsprechende Altersvorsoge oder Investmentfonds hat.
3,5 Millionen Menschen halten Aktien
Nach einer Schätzung des Direktors der Hauptabteilung Statistik in der Nationalbank, Aurel Schubert, haben rund eine halbe Million Österreicherinnen und Österreicher direkt Aktien, indirekt kommen rund drei Millionen Menschen dazu. Insgesamt halten damit etwas mehr als die Hälfte aller Erwachsenen Österreicherinnen und Österreicher Aktien - vielen ist das erst im Zuge der Finanzkrise bewusst geworden, als Aktien stark an Wert verloren haben.
Aktien in Finanzprodukten
Im Wesentlichen sind es vier Bereiche, in denen Aktien eine Rolle spielen, ohne dass das Kundinnen und Kunden auf den ersten Blick auffallen müsste: Altersvorsorge, fondsgebundene Lebensversicherungen, komplexe Finanzprodukte wie Garantieprodukte und so genannte Tilgungsträger bei Krediten.
Zukunftsvorsorge
Pensionskassen müssen mindestens 40 Prozent des Kapitals in Aktien anlegen, die an der Wiener Börse notieren. Grundsätzlich können Aktien den Ertrag erhöhen. Das Problem: kurzfristig schwankt der Wert von Aktien stark, kurz vor Fälligkeit sollte daher vermehrt in Anlageformen mit fixer Verzinsung gewechselt werden, sagt Bernd Lausecker vom Verein für Konsumenteninformation. Wer allerdings eine Betriebspension von einer Pensionskasse bekommt, kann die Veranlagungsform nicht wechseln.
Fondsgebundene Lebensversicherungen
Auch fondsgebundene Lebensversicherungen investieren in Aktien. Hier sollte man schon beim Abschluss bedenken, dass man nicht in fix-verzinste Produkte wechseln kann und die Laufzeit einhalten muss, sonst hat man starke finanzielle Einbußen.
Garantieprodukte
Solche Finanzprodukte mit versprochenen Ertrags-Chancen investieren ebenfalls in Aktien, Fonds und Rohstoffe. Die Entwicklung der Rendite ist damit an deren Wert-Entwicklung gebunden. Der Verein für Konsumenteninformation empfiehlt genau zu lesen, was garantiert wird. Mitunter entfällt eine Garantie nämlich, wenn etwa die Laufzeit nicht eingehalten wird oder sich Aktienkurse anders entwickeln als erwartet.
Tilgungsträger bei Krediten
Fremdwährungskredite werden meist so konstruiert, dass während der Laufzeit nur Zinsen zurückgezahlt werden und erst am Ende der Laufzeit der gesamte Kredit getilgt wird. Dafür wird zumeist angespart, wegen der höheren Rendite enthalten diese Ansparpläne meist Aktien. Grundsätzlich gilt: je länger der Kredit noch läuft, desto weniger ist man von Wert-Schwankungen von Aktien betroffen. Wenn der Kredit nur noch kurz läuft, sollte man eher in fix-verzinste Produkte wechseln, um sein Kapital nicht zu gefährden.
Wertentwicklung von Aktien unsicher
Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sich der Kurs einer Aktie entwickeln wird. Das hängt von der weiteren Entwicklung des jeweiligen Unternehmens ab. Wie sich dessen Gewinnsituation entwickelt, hängt wieder von vielen Faktoren bis hin zur allgemeinen Wirtschaftslage ab.
Börse profitiert in jedem Fall
Die Börse verdient an jeder Transaktion. Das heißt, sie profitiert in jedem Fall, egal, ob Aktien gekauft oder verkauft werden. Laut Michael Buhl, einem der beiden Börse-Vorstände, hat die Wiener Börse im Vorjahr pro Monat im Durchschnitt 14,7 Milliarden Euro umgesetzt, heuer waren es bis November im Schnitt um rund 10 Prozent weniger.
Investoren verlieren 2008 rund 60 Prozent
Die Investoren haben im selben Zeitraum um rund 60 Prozent verloren, der Börsewert der im ATX gelisteten Unternehmen ist von knapp 160 Milliarden Euro auf 54 Milliarden Euro gesunken.
Hör-Tipp
Saldo, Freitag 9. Jänner 2009, 9:45 Uhr
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