Die Wiederentdeckung der Karen Dalton

Später Ruhm

Vor 15 Jahren starb, nach einem jahrzehntelangen Kampf mit Drogen und Alkohol, die amerikanische Blues- und Folksängerin Karen Dalton. Mit ihr verlor die Welt eine bemerkenswerte Künstlerin - ohne je von ihr gehört zu haben.

Karen Dalton: "Something On Your Mind"

Als die amerikanische Blues- und Folksängerin Karen Dalton 1993 in New York praktisch mittellos und von der Welt vergessen stirbt, hinterlässt sie nur ein schmales, praktisch unbekannt gebliebenes Werk. Die beiden Alben "It's So Hard To Tell (Who's Going To Love You The Best)" (1969) und "In My Own Time" (1971) stießen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung auf keine nennenswerte Resonanz und gerieten rasch in Vergessenheit.

Jahre nach Daltons Tod werden die Alben wieder veröffentlich - und die Musikwelt schwärmt unter anderem von der "besten Sängerin, von der noch nie jemand etwas gehört hat."

Zur richtigen Zeit

Als die kaum 20-jährige Folksängerin Karen Dalton aus ihrer Heimat Oklahoma mit ihrer Gitarre und einem Banjo im Gepäck im New Yorker Künstlerviertel Greenwich Village ankam, war sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Das Village war ein idealer Nährboden für die Karrieren vieler junger Musiker, deren Repertoire aus alten Bluessongs und Traditionals bestand, die diese in einen urbanen Kontext stellten: das "Folk Revival".

Bob Dylan, damals noch genauso unbekannt wie Karen Dalton, erklärt sie in seiner Autobiografie "Chronicles, Vol. 1" zu seiner Lieblingssängerin aus jener Zeit. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Dalton anders war. Sie musste den Blues nicht, so wie viele, imitierten. Sie lebte ihn. "Sie war der real deal", wie es Joe Loop, Freund und Mentor, nüchtern feststellt.

"In her own time"

Karen Dalton wollte zwar Karriere machen, scheiterte aber an sich selbst. Dalton hatte größte Probleme damit, ihre Musik öffentlich vorzutragen. Es war sogar schwierig, sie für Aufnahmen in ein Tonstudio zu bringen.

Die Legende will es, dass ihr erstes Album "It's So Hard To Tell" das Ergebnis einer privaten Jamsession war, bei der der Produzent Nick Venet, einer der Entdecker der Beach Boys, heimlich die Bandmaschine mitlaufen ließ.

Auch die Aufnahmen zu ihrem zweiten Album - nicht ohne Grund "In My Own Time" betitelt - gestalteten sich kompliziert und langwierig. Die Tournee, die zur Promotion des Albums angesetzt wurde, platzte bereits am ersten Abend, da Dalton, gelähmt vor Lampenfieber, nicht einmal die Garderobe verlassen konnte.

"Im Musikgeschäft musst du in der Lage sein, dein Produkt zu bewerben," meint der Produzent von "In My Own Time", der Bassist Harvey Brooks. "Karen bekam ihr Leben nicht in den Griff. Manche Menschen geben zwar, aber sie kriegen nichts zurück. Es brach ihr das Herz."

Als "In My Own Time" durchfällt, zieht sich Dalton verbittert zurück. In ihrem Leben gewinnen Alkohol und Drogen die Überhand, sie verbringt einige Jahre obdachlos auf der Straße und stirbt 1993, nur 55 Jahre alt, an Aids.

Späte Entdeckung

Es bleibt der Nachwelt vorbehalten, Karen Dalton zu würdigen: Ihr Vermögen, fremde Songs so zu interpretieren, als wären sie Geschichten aus ihrem Leben, ihre Fähigkeit, damit tiefe Wahrheiten zu vermitteln und ihre außergewöhnliche Stimme, die einer ihrer Verehrer, Nick Cave, als "in eine Million Scherben zersplittert" beschreibt.

Die LP "In My Own Time" kann man als Daltons Hauptwerk bezeichnen. Vor kurzem sind allerdings zwei CDs erschienen, die Anfang der 1960er Jahre von Joe Loop, einem Freund Daltons, mit einem geliehenen Tonbandgerät aufgenommen wurden. "Cotton Eyed Joe", 2007 veröffentlicht, ist der Mitschnitt eines Konzerts in Loops kleinem Studentenlokal in Boulder, Colorado.

Bei "Green Rocky Road" (2008) handelt es sich um ein Demo-Band, aufgenommen in dem Haus, das Dalton in ihrer Zeit in Boulder bewohnte. Die Intimität und Direktheit dieser Aufnahmen führen uns, vielleicht gerade wegen ihrer technischen Mangelhaftigkeit, so nahe wie möglich an eine der großen vergessenen Stimmen der Popgeschichte heran.

Hör-Tipp
Spielräume, Sonntag, 28. Dezember 2008, 17:30 Uhr

Links
allmusic - Biografie und kommentierte Diskographie
PopMatters - Interview mit Joe Loop
Delmore Recordings - Karen Dalton