Klassik, ganz leicht

Lässige Stücke

Alles lässig! Gibt es in der sogenannten klassischen Musik "lässige" Stücke? Der Fachbegriff der Klassik dafür wäre "leggiero", leicht, lässig - vielleicht auch im Sinne von wechselhaft, wankelmütig, unpünktlich. "Leggiero"-Sätze im Vergleich.

"Leggiero"-Sätze im Vergleich

Alles lässig! Gibt es in der sogenannten klassischen Musik "lässige" Stücke? Der Fachbegriff der Klassik dafür wäre "leggiero", leicht, lässig - vielleicht auch im Sinne von wechselhaft, wankelmütig, unpünktlich.

Besonders häufig verwendet Mendelssohn dieses Begriff "Leggiero" - unangestrengt, lässig und ruhig, manchmal etwas ungenau im Tempo oder verwischt in der Artikulation - so könnte man die Bedeutung hier umschreiben. Ein besonderes Beispiel dazu findet sich in Mendelssohns Oktett für Streicher op. 20. Hier überschreibt er das Scherzo sogar mit Leggierissimo (erster Teil unseres Audios).

Sprechen in musikalischer Harmonie

Aber das Lässige hat in der Musik eine viel ältere Tradition. Lange vor Mendelssohn forderte Giulio Caccini für den neuen einstimmigen, affektgeladenen Gesang in den Vorreden zu seinen beiden Madrigalsammlungen von 1602 und 1614 mit dem Titel "Nuove Musicke" einen "lässigen" Gesang, genauer gesagt: eine vornehme Lässigkeit ("nobile sprezzatura").

Das Anliegen Caccinis war, den Gesang dem Textsinn wieder zu unterstellen, den Text durch den Gesang zu verdeutlichen. Er nennt es "in musikalischer Harmonie zu sprechen". Und ein Mittel dieser neuen Gesangskunst sei jene Lässigkeit/Sprezzatura, ein Begriff, der schon hundert Jahre vor Caccini bei Baldassar Castiglione auftaucht, einem italienischen Autor und Höfling aus Urbino, der für die Kunst des vollendeten Hofmanns und der Hofdame unter anderem auch jene Sprezzatura fordert - soll heißen: "natürlich", "ungezwungen" wirken.

Ungebunden und arios

Caccini schreibt: "Die Lässigkeit des Gesangs ist jene Anmut, welche man dem Gesang mit dem Lauf von mehreren Achteln und Sechzehnteln über verschiedenen Tönen gibt, wodurch man, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt ausgeführt wird, dem Gesang eine gewisse begrenzte Enge und Trockenheit nimmt und ihn anmutig, ungebunden und arios gestaltet"

Also Verzierungen, Umspielungen einer Note oder kleine eingeschobene Läufe machen den Gesang lässig im Sinne von frei, ungezwungen, natürlich. (hören Sie dazu den zweiten Teil unseres Audios).

War Beethoven lässig?

Das Lässige, leggiero, ungezwungene findet sich zwar in der Musikgeschichte verstreut und in sehr unterschiedlichen Bedeutungen, aber es findet sich nicht überall. Beethoven, Mozart oder Johann Sebastian Bach etwa verwenden diesen Begriff oder Vorschriften dieser Art kaum. Im 20. Jahrhundert taucht das "Lässige" - betrachten wir nur die sogenannte "Klassik" - vornehmlich bei französischen Komponisten auf, vor allem dann, wenn kleine Anleihen bei der Tanz- oder Unterhaltungsmusik gemacht werden.

Darius Milhaud zum Beispiel überschreibt den ersten Satz seines ersten Cellokonzerts (1935) mit "Nonchalant", was man durchaus als französische Übersetzung der alten italienischen Sprezzatura verstehen kann: eine vornehme Lässigkeit.

Milhaud spielt hier mit klanglichen Gegensätzen: So ganz und gar nicht lässig lässt er das Solo-Cello beginnen, höchst expressiv und spannungsgeladen, um dann plötzlich in einen lässigen Foxtrott zu fallen (letzter Teil unseres Audios).

Hör-Tipp
Ausgewählt - Abenteuer Interpretation, Mittwoch, 31. Dezember 2008, 10:05 Uhr

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