Von urbanen Arche Noah's und ländlichen Lebensräumen

Wie wohnen im 21. Jahrhundert?

Die Gesellschafts- und Familienformen haben sich in den letzten 80 Jahren rapide verändert und es entwickelten sich neue Formen des Zusammenlebens und Wohnens. Längst organisieren sich nicht nur Studentinnen gemeinschaftlich in alternativen Wohnformen.

Der Soziologe Jens Dangschat über neue Formen des Glücks

Trotz gesellschaftlicher und demografischer Umbrüche und Veränderungen bleiben die menschlichen Grundbedürfnisse in Bezug auf Wohnen gleich, erklärt Raimund Gutmann vom Wohnbund. Er betreut Bauträger und Architekturbüros in Bezug auf innovative Wohnformen.

Die Veränderung der Familienstrukturen, die Alterung der Gesellschaft und verstärke Wanderbewegungen innerhalb Europas fordern neue Wohnmodelle. Das klassische Einfamilienhaus betrachtet der Sozialwissenschaftler als nicht mehr zeitgemäß.

Die Haushaltsstrukturen am Land, an der Peripherie und in urbanen Ballungszentren gleichen sich an. Flexiblere Innenräume und stabile Außenhüllen werden die Wohnbauten der Zukunft bestimmen. Die Kombination von Arbeit, Sozialleben und Konsum bedeutet eine Verschmelzung von Arbeitsplatz und Lebensraum.

Themenwohnen

Im Bereich des Wohnbaus werden themenbezogene Schwerpunkte wichtiger: Geschlechtsspezifische Bauten, generationsübergreifendes Wohnen, aber auch Themenprojekte für Fahrradfahrer setzen Akzente für die Zukunft. Gemeinsame Interessen der Bewohner und Bewohnerinnen sind aber nur ein Faktor für das schwer planbare, funktionierende Zusammenleben in einem Wohnprojekt: Neben ökologischen Aspekten ist längerfristige Leistbarkeit relevant und die Vorrausetzung, dass die Wohnräume auch an zukünftige Lebensbedürfnisse angepasst werden können.

Der Architekt der Zukunft

Mindestens genauso wichtig wie technische Fragen sind soziale Aspekte. Gesucht sind neue Formen des Zusammenlebens. Das Berufsbild des Architekten verändert sich in Richtung "soziale Architektur“. Wohngemeinschaftsmodelle sowie Wohn- und Baugruppen die selbst Initiative ergreifen werden immer bedeutender.

Die Initiatoren sind gleichzeitig Bauträger, Bauherren und Hausverwaltung, oder die Initiatoren suchen sich einen aufgeschlossen Bauträger, der den Bau betreut. Diese Form des Wohnbaus, auch "Partizipativer Wohnbau" genannt, also das Miteinbeziehen der zukünftigen Bewohnerinnen in die Planung und das Bauen, hat in Österreich eine lange Tradition.

Einer der wichtigsten Vertreter ist der Architekt Ottokar Uhl. Dessen Konzepte "Wohnen Morgen" in Hollabrunn aus dem Jahre 1968, "Wohnen mit Kindern" in Hollabrunn aus dem Jahr 1984, und das 1990 eröffnete Wohnheim der Gemeinschaft "BROT" in der Geblerstraße in Wien sind international vielbeachtete Wohnmodelle.

Die Sargfabrik in Wien

Ein weiteres Beispiel für eine partizipative Wohnform ist die international bekannte Sargfabrik in Wien Penzing. Zu Beginn der 1980er Jahre schloss sich eine Gruppe von Menschen zusammen, die selbst bauen wollten, anstatt hohe Ablösen oder Mieten zu zahlen. Der Bau wurde 1994 begonnen und 1996 fertiggestellt. Heute leben 160 Personen auf dem Grundstück einer ehemaligen Sargfabrik.

Neben einem Dachgarten schaffen Gemeinschaftseinrichtungen wie ein Restaurant, ein Kulturhaus, ein Kindergarten und ein 24-Stunden Badehaus eine einzigartige kollektive Lebensform. Durch eine Widmung als Wohnheim konnten öffentliche Förderungen beansprucht werden. Im Jahr 2000 eröffnete ein Nachfolgeprojekt mit dem Namen "Miss Sargfabrik" in unmittelbarer Nähe des Wohnheims. Derzeit wird nach einem Grundstück für einen dritten Wohnkomplex gesucht.

Ländliche Lebensräume

Auch am Land liegen die Alternativen in verdichteten Wohnformen. Reihenhausgruppen, Baugemeinschaften, Gemeinschaftsprojekte, aber auch kommunenartige Wohngemeinschaften sind innovative Möglichkeiten. Im skandinavischen Raum und in den USA entwickelte sich seit den 1960er Jahren das Konzept der Co-Housing-Siedlungen. Dabei wird versucht, die Privatsphäre mit den Vorzügen einer Gemeinschaft zu verbinden.

In Gänserndorf-Süd, 20 km nordöstlich von Wien, steht seit Sommer 2005 ein Wohnprojekt in Niedrigenergiebauweise mit dem Namen "Lebensraum". 32 Wohneinheiten bilden Österreichs erste Co-Housing-Siedlung.

Neben einem Veranstaltungsraum für Vorträge und Konzerte gibt es im "Lebensraum" einen gemeinsamen Waschraum mit drei großen Waschmaschinen und zwei Trocknern. Wichtiges verbindendes Ritual der Lebensgemeinschaft ist das von Montag bis Donnerstag stattfindende gemeinsame Abendessen.

Eine Hausordnung oder ein Regelwerk für richtiges Verhalten im gemeinschaftlichen Wohnprojekt entwickelt sich erst langsam. Gemeinsamer Besitz bedeutet gemeinsame Wartung. Abmachungen, die schon am Anfang getroffen werden sollten, werden jetzt mühsam entwickelt, erklärt der "Lebensraum"-Bewohner Andreas Schelakovsky. Er geht davon aus, dass soziales Leben nicht architektonisch planbar ist.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 26. Jänner bis Donnerstag, 29. Jänner 2009, 9:30 Uhr

Buch-Tipps
Roland Burgard, Hersg., "Standards der Zukunft / Wohnbau neu gedacht", Verlag: Springer Wien NewYork

Willy Boesinger, Hersg., "Le Corbusier", Verlag für Architektur Artemis Zürich

Steffan Lamm, Thomas Steinfeld, "Das Kollektivhaus / Utopie und Wirklichkeit eines Wohnexperiments", Verlag: S.Fischer

Günther Uhlig, "Kollektivmodell Einküchenhaus“, Verlag: anabas

Oliver Esler, Michael Rieper und Künstlerhaus Wien, Hersg., "Wohnmodelle - Experiment und Alltag", Verlag: Folio Verlag

Martin Treberspurg, Hrsg., "solarCity Linz Pichling", Verlag: Springer Wien NewYork

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