Keine obskure Geheimdienstpraxis
Gehirnwäsche
Der britische Autor und Dokumentarfilmer Dominic Streatfeild hat ein ebenso informatives wie schockierendes Buch über die psychischen und physischen Manipulationspraktiken geschrieben, die letztlich nur ein anderes Wort sind für: Folter.
8. April 2017, 21:58
Es waren Bilder, die um die Welt gingen: In Guantanamo sah man Gefangene, die in viel zu großen Overalls herumtaumelten. Gefesselt waren sie und ihre Gesichter von Kapuzen verdeckt. Die Inhaftierten sollten permanentem Stress ausgesetzt sein, die Orientierung verlieren und so gebrochen werden. Die Bilder verstörten die Öffentlichkeit nachhaltig.
Die Regel, nicht die Ausnahme
Guantanamo sei aber keineswegs die Ausnahme, schreibt Dominic Streatfeild in seinem Buch. Hier wurde nur sichtbar, was seit Jahrzehnten als Standardverfahren bei Verhören gilt: andauernde Beschallung mit sehr lauter Musik, Schlafentzug, Kälte und Hitze, am besten beides in kurzer Abfolge. Schmutzige Zellen, die Anwesenheit von Nagetieren und Ungeziefer, dazu fade, geschmacklose Mahlzeiten, damit die Leute gar nichts haben, worauf sie sich freuen können.
Der beste Stressfaktor ist Angst. Deshalb dürfen militärisch oder geheimdienstlich Verhörte nie mit ihren Kameraden sprechen, um sich zu entspannen oder zu erfahren, was vor sich geht. Angst ist auch ein guter Grund, ihnen Kapuzen überzuziehen: Blind zu sein ist beängstigend. Zu aller Zeit sollten sich die Gefangenen in ihren Zellen darüber Sorgen machen, was als Nächstes mit ihnen geschehen wird.
Absurde Selbstanklagen
Eines der effektivsten Mittel besteht darin, dass der Inhaftierte sich selbst Schmerzen zufügt. Gefangene stundenlang in einer Ecke stehen lassen oder lange in der Hocke mit den Händen auf dem Kopf. Hat man die Leute lange genug bearbeitet, desensibilisiert und schlussendlich gebrochen, dann kann man von ihnen alles haben. Sogar die absurdesten Selbstanklagen.
Die Moskauer Schauprozesse von 1936 bis 1938 sind ein gutes Beispiel. Viele Angeklagte erklärten gleich zu Beginn, ihre Verbrechen seien derart abscheulich, dass sie gar kein Recht hätten, sich zu verteidigen. Und obwohl es keine Beweise gab, denunzierten sich die Beschuldigten wechselseitig und jeder sich selbst. Dass sie alle die Höchststrafe für ihre abscheulichen Vergehen verlangten, versteht sich von selbst.
Falsche Geständnisse
In den 1950er Jahren mehrten sich die Auftritte von Menschen, die mit starrem Blick die absurdesten politischen Vergehen beichteten. 1952 und 1953 erklärten gefangene amerikanische Soldaten, dass die USA in Korea Biowaffen eingesetzt hätten. Kanister mit Keimen wären über Städten abgeworfen worden. Namen, technische Details, Datumsangaben. Es gab ausreichend Informationen, um die Menschen von dem Vorwurf der bakteriologischen Kriegsführung zu überzeugen. Radio Moskau griff die Story sofort auf und der gesamte Ostblock fing an, dem Westen Kriegsverbrechen vorzuwerfen. Der Haken an der Geschichte: Die Geständnisse waren allesamt falsch.
Drei Jahre zuvor hatte schon der Auftritt des ungarischen Kardinals Jozsef Mindszenty, der als Symbolfigur für den Widerstand gegen den Kommunismus galt, für Unbehagen gesorgt. Zu Weihnachten 1948 wurde er gefangen genommen und als man ihm fünf Wochen später den Prozess machte, war er nicht mehr wiederzuerkennen. Seine Bewegungen waren unkoordiniert. Er sprach monoton und mechanisch, so als hätte er seine Aussagen auswendig gelernt.
Schlimmer noch als sein Erscheinungsbild war indes, was er von sich gab. Während Mindszenty ins Ungefähre starrte, gestand er, den Raub der ungarischen Kronjuwelen eingefädelt zu haben, mit dem ausdrücklichen Zweck, Otto von Habsburg zum Kaiser von Osteuropa zu krönen. Er gab zu, sich zum Sturz der kommunistischen Regierung verschworen und den Dritten Weltkrieg geplant zu haben.
Manipulierte Öffentlichkeit
Dominic Streatfeild hat in seinem Buch die verschiedensten Fälle von Gehirnwäsche zusammengetragen. Über die Auswüchse des Sektenunwesens der 1970er Jahre schreibt der Autor ebenso wie über die Angst vor satanistischen Kulten in den 1980er Jahren.
Eines der schrecklichsten Beispiele, wie religiöser Wahn und der damit einhergehende Realitätsverlust eine Gemeinschaft zerstören können, ist der Fall von Paul Ingram. Im Zuge einer religiösen Veranstaltung beschuldigte ihn seine Tochter 1988 der Vergewaltigung. Ingram, selbst äußerst religiös, steigerte sich im Laufe der Zeit in eine wahre Geständnisorgie: Ja, er habe seine Töchter missbraucht, seine Söhne auch dazu. Darüber hinaus beschuldigte er noch die gesamte Polizeidienststelle, ihm dabei geholfen zu haben. Babys hätten sie getötet, vom Satan seien sie befallen, und gesuchte Massenmörder seien er und sein Kumpel noch obendrein. Das Schlimme: Die Polizei glaubte dem Spuk. Auch deswegen, weil zu dieser Zeit in Amerika die Angst vor satanischen Umtrieben weit verbreitet war. Unschuldige saßen ein halbes Jahr in Untersuchungshaft, Existenzen wurden zerstört und Ingram selbst verbrachte 14 Jahre hinter Gittern.
Streatfeilds gesammelte Beispiele zeigen, wie leicht die Öffentlichkeit manipuliert werden kann. Bestätigt das Geständnis tiefliegende Ängste der Gemeinschaft, dann ist sie gewillt, selbst den größten Humbug zu glauben. Auch das eine Form der Gehirnwäsche, jene, die uns am meisten Angst einjagen sollte.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Dominic Streatfeild, "Gehirnwäsche", aus dem Englischen übersetzt von Andreas Simon dos Santos, Verlag Zweitausendundeins
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Zweitausendeins - Gehirnwäsche