Die "Theory Of Mind"

Raben und Krähen

Der Homo Sapiens ist intelligent, von Schimpansen ist bekannt, dass sie zumindest smart sind. Und manche halten dann noch Delfine für Kandidaten für die Auszeichnung "intelligent". Aber Raben und Krähe? Einige aktuelle Forschungsergebnisse verblüffen.

Was ist Intelligenz? Worin besteht das Ich-Bewusstsein? Was ist das Wesen der besonderen mentalen Fähigkeiten des Menschen? - Diese Fragen stellen sich Menschen vermutlich, seit sie existieren. Nachweislich jedenfalls solange es überlieferte schriftliche Dokumente gibt, also sicher seit 5.000 Jahren.

Ein anerkanntes, konsistentes Ergebnis, was der menschliche Geist im Kern nun sei, liegt trotz dieser wahrlich intensiven Bemühungen bislang nicht vor. In den letzten 50 bis 70 Jahren gab es aber einige Anstöße, neue Richtungen, in die man denken konnte.

Der Computer und die Informationsgesellschaft

Erst war es die Erfindung des Computers und mit ihr die Entwicklung der Informationswissenschaft, die als Teilbereich bald die Kognitionsforschung hervor brachte. Das beruht sachlich darauf, dass der Computer bei aller Verschiedenheit dem menschlichen Gehirn jedenfalls in einem Punkt gleicht: Beide sind datenverarbeitende Maschinerien. Und für solche gelten einige fundamentale mathematische Gesetzmäßigkeiten unabänderlich.

Und es beruht darauf, dass man hoffte, dem "Blechtrottel" irgendwie Intelligenz beizubringen. Wenn das bisher auch nicht gelang, so lernten die Forscher beim Versuch doch einiges über Intelligenz.

Spiegelexperimente

Einen zweiten Anstoß, der die Frage nach dem menschliche Geist virulent werden ließ, lieferte die Forschung an Primaten, namentlich die Erkenntnisse Jane Goodalls über das Sozialverhalten der Schimpansen oder die Untersuchungen Roger Fouts zu deren erstaunlicher Sprachkompetenz.

Und nun die Raben und Krähen, die in jüngster Zeit Aufsehen erregten. Die Sache begann mit sogenannten Spiegelexperimenten. Fragestellung: Kann ein Tier sich selbst im Spiegel identifizieren?

An sich ist das einfach zu testen: Man bringt einen Farbklecks in seinem Gesicht oder an seinem Kopf an und setzt es vor einen Spiegel. Versucht das Tier, den Klecks zu entfernen, dann hat es offenbar erkannt, dass das Spielgelbild eine Abbildung seiner selbst ist.

"Ich Bewusstsein" und "Ich-Konzept"

Bis vor wenigen Jahren gab es nur drei Arten, bei denen diese Versuche positiv verliefen: Homo sapiens vulgo Mensch, Schimpanse, Orang-Utan. Als festgestellt wurde, dass es auch auf Raben- und Krähenvögel, und zwar auf eine ganz Reihe dieser "schwärzesten Vögel der Welt" zutrifft, galt das als Sensation.

Um nicht gleich von einem "Ich-Bewusstsein" sprechen zu müssen - das ging den Forschern dann doch zu weit - erfanden sie für diese Fähigkeit das "Ich-Konzept", das die aktuelle Sprechregelung in der Kognitionsbiologie, auch das eine neue Bezeichnung für ein neues Forschungsgebiet, darstellt.

Nüsse knacken

Nachdem man einmal auf die Rabenvögel aufmerksam geworden war, stellten sich bald neue Erkenntnisse ein. Schon länger weiß man, dass Vögel Nüsse, die sie nicht zu knacken vermögen, aus entsprechender Höhe zu Boden fallen lassen, um sie aufzuschlagen.

Die neukaledonische Krähe von der gleichnamigen Inselgruppe im Norden Australiens geht aber um einiges weiter: Sie legt ihre Nüsse an Straßenkreuzungen gezielt vor Autos, die an roten Ampeln warten, und die die Leckerbissen dann durch Überfahren öffnen. Dabei beachten die Vögel offenbar korrekt die Ampelphasen. Der Film dazu geriet auf YouTube zum Hit.

Der Gebrauch von Werkzeugen

Als ein Kriterium für Intelligenz oder für "hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten", wie man sagen sollte, um nicht gleich wieder die Intelligenz des Menschen ins Spiel zu bringen, gilt der Werkzeuggebrauch. Auch hier gehen die Krähenvögel einen Schritt weiter, als man das bis vor Kurzem für möglich gehalten hätte: Sie entfremden Objekte nicht nur für ihre Zwecke, sondern sind darüber hinaus in der Lage, Werkzeuge gezielt "herzustellen".

In einem berühmten Experiment, das man sich auch am Besten auf YouTube ansieht, verbiegt eine Krähe ein Drahtstück zu einem Haken, um damit einen Futtertiegel aus einer Röhre zu ziehen, an den sie sonst nicht heran kommt.

Dafür ist eine Art "planender Voraussicht" notwendig: Das Tier muss über ein mentales Modell der Wirklichkeit verfügen und dieses virtuell manipulieren können, bis der gewünschte Erfolg eintritt, um die erfolgreiche Handlung dann in der wirklichen Wirklichkeit vorzunehmen. Manche Arten aus der Familie der Rabenvögel übertreffen hierin offenbar den Schimpansen.

"Politik bei den Raben"

In andere Experimente ging es um die Fähigkeit von Raben und Krähen, sich in Artgenossen hinein zu versetzen, deren Intentionen und Handlungen zu berechnen. Kognitionsforscher sprechen dabei von einer "Theory Of Mind": Man hat eine Theorie davon, was der andere sieht, und wie er darauf reagieren könnte, um die eigene Strategie entsprechend anzupassen.

In den Versuchen dazu geht’s etwa um das Verstecken von Futter: Ändert ein Vogel seine Versteckstrategie, wenn er bemerkt, dass ihn ein anderer beobachtet? Haben Raben Geheimnisse voreinander? Antwort: Ja, sie haben. Eine Krähe wird aktiv versuchen, ihre Versteckplätze vor anderen Krähen geheim zu halten, wird versuchen, unbeobachtet zu bleiben. Das kann man mit etwas Geduld und einem guten Feldstecher sogar in heimischen Parks beobachten.

Auch derlei traute man bislang ausschließlich Menschen und Schimpansen zu. Die Experimente dazu werden führend auch in Österreich an der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau, Oberösterreich, durchgeführt. Beteiligt daran ist ein junger heimischer Forscher, Thomas Bugnyar. Er geht so weit, von "Raven Politics" - von einer "Politik bei den Raben" - zu sprechen. Soll sagen: Rabenvögel gehen beim Täuschen und Tricksen so weit, dass man bereits von "Politik" sprechen kann.

Letztlich geht’s jenseits der kognitionsbiologischen Fachwelt bei all diesen Experimenten und Versuchen immer um die Frage: Werden wir dabei etwas über uns selbst erfahren? - Die Forschungen sind im Laufen.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 2. Februar bis Donnerstag, 5. Februar 2009, 9:30 Uhr

Links
You Tube - Krähe benutzt Autos als "Nußknacker"
You Tube - Krähe stellt Werkzeug her
Raven Politics