Ein Leben als Einbrecher

Lauf, Ernst, lauf!

"Andere hatten Frauen - ich ging einbrechen." 1.000, 2.000, 3.000 Einbrüche. So genau weiß das Ernst Walter Stummer nicht mehr. 20 Mal ist er im Laufe seines Lebens im Gefängnis gelandet. Das erste Mal 1958. Das vorläufig letzte Mal 2002.

Am 3. April 2008 habe ich Ernst Walter Stummer kennengelernt. Ich war darauf nicht vorbereitet. Warum auch. Ich war noch nie zuvor einem Einbrecher begegnet, und schon gar nicht Ernst Walter Stummer. Ich hatte nichts in der Hand. Nur einen Artikel von ihm aus der Obdachlosenzeitung "Augustin". Darin beschrieb er die Maßnahmen des Arbeitsmarktservice, ihn jobfit zu halten - ihn, den bald 70-jährigen Rückfallstäter, der insgesamt 30 Jahre seines Lebens als Einbrecher hinter Gittern verbracht hatte. Wegen "Vermögens- und Aggressionsdelikten", wie Einbruch im Juristendeutsch heißt.

Er lebt gerade seinen ganz persönlichen Rekord, denn noch nie zuvor war er so lange in Freiheit wie jetzt. Fünf Jahre am Stück ohne Zelleninnenansicht.

Alltagsnotizen und Erinnerungen

Aus dem Artikel im "Augustin" habe ich erfahren, dass Ernst Walter Stummer ein 100-seitiges Manuskript besitzt, an dem ein Verlag Interesse gezeigt hat. Arbeitstitel: "Der Einbrecherkönig". Doch bis heute verstehe ich nicht, was es mit den 100 Seiten auf sich hat. Ich habe sie nie gesehen. Es gibt sie nicht, nicht so, wie ich sie mir vorgestellt habe.

Es gibt nur eine Reisetasche, die er mir eines Tages im Radio vorbeigebracht hat. Darin Ordner, Klarsichthüllen und Flügelmappen. Voll mit handgeschriebenen, auf Zettel gefetzten Alltagsnotizen, detailverliebten Lebenserinnerungen in dicht und kleinst beschriebenen DIN-A5-Heften, Anfängen von bereits in den Computer getippten Einbruchsgeschichten, Zeitungsauschnitten von den 1960er Jahren bis heute, Korrespondenzen mit seinem Anwalt und Briefen an Freunde und an die Familie aus der Haft.

"Spinnst? Wer isn 70?"

Zu Beginn waren wir per Sie, dann begannen wir zwischen Du und Sie zu wechseln und irgendwann wurde es unmöglich, die förmliche Barriere aufrecht zu erhalten.

Als ich ihn am 23. September angerufen und ihm zum 70. Geburtstag gratuliert habe, wollte er davon überhaupt nichts wissen. "Spinnst? Wer isn 70? Hast net rechnen glernt?" Als ich ihn dann gefragt habe, was er am Abend machen würde, meinte er, er wollte seine Ex-Frau Maribelle zum Chinesen einladen. Die könnte aber nicht und so würde er in den SPÖ-Pensionistenklub seines Bezirks, in Wien Döbling, gehen. Das hat mich überrascht. Erstens weil er an Gesellschaft mit Gleichaltrigen wenig Interesse zeigt, zweitens weil er enttäuscht über die fehlende Sozialpolitik der Partei ist, die er 1958 zum ersten Mal gewählt hat, und drittens, weil er die Pensionisten um etwas beneidet, was er nicht hat, nämlich eine Pension. Obwohl er insgesamt 30 Jahre in Haft gearbeitet hat, sagt er. Doch bei Gefängnisarbeit handelt es sich um eine "Pflicht ex lege", heißt es aus dem Justizministerium.

Kein Pensionsanspruch

Auch in anderen EU-Staaten begründeten die Haftjahre keinen Pensionsanspruch. Dank seines Anwalts hat Stummer es jedoch geschafft, eine Klage gegen die Republik Österreich beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg einzubringen. Der Anwalt argumentiert mit der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes, da Haftinsassen nicht, wie in der sonstigen Arbeitswelt üblich, binnen sechs Monaten nach Beginn der Beschäftigung zur Pensionspflichtversicherung angemeldet würden. Das sei konventionswidrig. Das Urteil soll noch in diesem Jahr fallen. Sollte das Verfahren im Sinne Stummers ausgehen, hätte das Auswirkungen auf alle EU-Staaten.

Service

Ernst Walter Stummer, "Der Einbrecherkönig", Verlag V. F. Sammler