Gedichte von Evelyn Schlag

Sprache von einem anderen Holz

Evelyn Schlags "Sprache von einem anderen Holz" fließt in ausschwingenden Langzeilen und verknappt sich gelegentlich zu prägnanten Kurzversen. Beeindruckend ist das formale Inventar, das von streng fünfzeiligen Strophen bis zu freien Gebilden reicht.

Vor 20 Jahren hatte Evelyn Schlag mit dem Band "Ortswechsel des Herzens" ihren Durchbruch als Lyrikerin. Eine eigene Sprache, die Genauigkeit der Form und die Fähigkeit, Zyklen zu bilden, ließen damals aufhorchen. Die seither erschienenen Gedichtbände "Der Schnabelberg", "Das Talent meiner Frau" und "Brauchst du den Schlaf dieser Nacht" machen deutlich: Im Werk dieser Autorin ist Lyrik kein Nebenprodukt, sondern ebenso wichtig wie die Romane; die Abfolge ihrer Buchpublikationen legt nahe, dass es in ihrer Arbeit starke Lyrikphasen ebenso gibt wie Perioden der Prosa.

Jedenfalls ist Evelyn Schlag die bedeutendste österreichische Lyrikerin ihrer Generation, und ein neuer Gedichtband von ihr ist alle Aufmerksamkeit wert.

Poetische Reaktionen auf Kunst

"Sprache aus einem anderen Holz": Schon der Titel des neuen Lyrikbandes macht programmatisch deutlich, dass hier eine von der Alltagssprache abweichende, eigene Sprache am Werk sein will. Was da in 13 Abteilungen vorliegt, zwingt zum genauen und mehrmaligen Lesen und ist oft nicht übersetzbar in eine Sprache außerhalb dieser Gedichte. Ihre erste Abteilung, "Juwelen Brasiliens" versammelt poetische Reaktionen auf bildende Kunst: auf "Fallingwater", ein Meisterwerk des Architekten Frank Lloyd Wright, auf ein Ölbild von Correggio oder auf Egon Schieles Malweise, die in Liebesgesten lebendig wird.

Dem folgt der neunteilige Zyklus "Europäische Kolonien", durchgehende Reflexionen auf die Natur, sowie eine der hermetischsten und gleichzeitig klangschönsten Abteilungen dieses Bandes. Im zweiten Gedicht wird eine naturwissenschaftliche Information über den Taubenflug als Fremdkörper in eine Landschaft eingetragen, die nur noch in ein "paar Details" eine konventionelle und vertraute ist.

Grundthema Liebe

Die Natur ist auch in dem Zyklus "Zögernde Fernsicht" präsent, der ein Grundthema der Lyrik wie auch der Prosa von Evelyn Schlag anklingen lässt: die Liebe. "Wir suchen uns neue Kontur" ist vielleicht sein Schlüsselwort, und es gilt gerade auch für die Sprache und Bildwelt dieser Gedichte und für den Zyklus "Schukran Dimaschq", der ebenso in einen intimen Dialog führt und oft rätselhaft bleibt.

Diese Rätselhaftigkeit hat etwas Attraktiv-Geheimnisvolles und lebt zugleich von der produktiven Irritation, die einem beim Lesen allenthalben bewusst macht, dass man in einen intimen Dialog nicht von außen eindringen kann, auch und gerade nicht durch ein sogenanntes "Verstehen".

Anspielungen auf andere Dichterinnen

Ähnliches gilt für den Zyklus "Sweepgeräusch". "Ich möchte dass wir die Strophe finden auf der wir / uns fortsetzen lassen", beginnt eines seiner neun Gedichte.

Das fünfteilige "St. Petersburg Poem" führt einen Dialog mit der Stadt, die mit Dostojewskij die "erfundenste Stadt" genannt wird; das Ich, das hier spricht, imaginiert St. Petersburg als einen Mann; dass Städte oft als Frauen vorgestellt werden, ist vielleicht dem in der Literatur noch immer vorherrschenden männlichen Blick geschuldet.

Mehrfach spielt Evelyn Schlags neuer Gedichtband auch auf Leben und Werk anderer Dichterinnen an: Der St.-Petersburg-Zyklus führt an das Grab der großen russischen Dichterin Anna Achmatowa und der Titel "Liegt Böhmen am Meer" formuliert einen der bekanntesten Gedichttitel von Ingeborg Bachmann in eine Frage um. Nähe und deutliche Abgrenzung zu Ingeborg Bachmann, mit der sich Evelyn Schlag auch in einem Essay auseinandergesetzt hat, werden an mehreren Stellen dieses Gedichtbandes deutlich.

Abgrenzung zu Gott

Nicht beim Namen genannt und dennoch präsent ist Christine Lavant in Schlags Zyklus "Conditio divina". Man muss ihn ein Stück weit lesen, bis klar wird, dass das Wort Du, mit dem er beginnt, an Gott gerichtet ist, der konsequent nicht genannt wird. Die zornig-intensive Gottes-Anrede in den Lavant-Gedichten ist bei Evelyn Schlag einer distanzierenden Abgrenzung gewichen.

Von der religiösen Tradition des Gebetes, die bei Christine Lavant poetisch produktiv geworden ist, ist bei Evelyn Schlag vor allem eines geblieben: der unausrottbare "Drang der Anrede umgeben von Evolution", wie es im letzten Gedicht des Zyklus "Conditio divina" heißt; er endet mit der Feststellung: "alias Gott wir warten auf dein I'm desperate."

Eine besondere Sprache

Der "Drang zur Anrede" prägt Evelyn Schlags gesamten Gedichtband, doch außer in diesem Zyklus ist es immer ein geliebtes Du, in dessen Anrede sich die Welt spiegelt. "Weltversessene Augen", wie es in dem Gedicht "Transalpin" heißt, sind in dieser Lyrik am Werk; "Transalpin" ist ein Zug-Gedicht, das die fragmentierten Wahrnehmungen einer Fahrt reflektiert.

Landschaften von England, Italien und vor allem von Amerika, die Stadt St. Petersburg, Kunstwerke von Dürer bis zum russischen Maler Ilya Repin haben in Evelyn Schlags Gedichte Eingang gefunden. Aber nicht von diesen Stoffen leben sie, sondern von ihrer "Sprache von einem anderen Holz", die in weit ausschwingenden Langzeilen fließt und sich gelegentlich zu prägnanten Kurzversen verknappt.

Großes Repertoire an Tönen

Schlag verweigert sich eingängigen Hammersätzen, die für ein Zitat leicht aus ihrem Zusammenhang zu reißen sind, aber sie hat ein großes Repertoire von Tönen und Stilebenen - vom schnoddrigen Fußballjargon, in dem zwei Frauen über Männer sprechen, über die leisen Töne einer Liebe, bis hin zur hymnischen Anrede einer Stadt. Ebenso beeindruckend ist das formale Inventar dieser Gedichte, das von streng fünfzeiligen Strophen bis zu sehr freien Gebilden reicht.

Im Abschnitt "Patriotismus" pflegt Evelyn Schlag auch einen bänkelsängerischen Umgang mit dem Reim; das allerdings ist stellenweise wenig überzeugend: Da gibt es - im wörtlichen Sinn - etliche Ungereimtheiten, und vor allem wird einiges zusammengereimt, was klanglich nicht zueinander passt. Doch abgesehen davon lohnt es sich, in den 140 Seiten dieses Gedichtbandes lange und mehrmals zu lesen. Dabei wird man immer wieder etwas Neues entdecken. Und manche Stelle wird ein dunkles Rätsel bleiben.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 22. Februar 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Evelyn Schlag, "Sprache von einem anderen Holz. Gedichte", Paul Zsolnay Verlag