Von Wollmützen und Winterdepressionen
Glücklich ist, wer vergisst
Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist. Der Winter zum Beispiel, oder das Ende des Faschings. Vielleicht gibt es in Österreich aber viel mehr zu vergessen. Die Walzerseligkeit wird sehr überschätzt, daher sollte man sich warm anziehen.
8. April 2017, 21:58
Gab's nicht einmal so etwas wie Frühling? Ist er aus der Mode gekommen? Zu teuer in Zeiten der Wirtschaftskrise? Noch ist ja Fasching, besonders in Kärnten, aber dort heißt er Landtagswahl und ist nicht lustig, wegen zu viel Gedenken und Rekordverkaufszahlen gewisser DVDs.
Der Winter ist tatsächlich belastend, schon allein der frostabweisenden Textilien wegen. Die Straßen sind von Menschen bevölkert, die aussehen, als machten sie Reklame für französische Autoreifen (ist nicht Michelin inzwischen auch Pleite gegangen? Oder wurde nur verkauft?) Wer schwarze Daunenoberbekleidung trägt, wird durch bunte Strickhauben erkennbar, sie sind der letzte Anker der Individualität in der dunklen Masse, aber meist sehr unkleidsam.
Betritt der Mensch ein Gebäude oder ein Verkehrsmittel, ist er, dick vermummt, plötzlich mit tropischen Temperaturen konfrontiert. Unterm Verpackungstextil müsste er eigentlich Sommerkleidung tragen, um in überheizten Kinos, Theatern, Konzertsälen oder Museen nicht ins Schwitzen zu kommen. Ärmellose Ballroben wären das Richtige, aber derart overdressed möchten sich nur wenige zeigen. Die Finanzkrise kann so schlimm nicht sein, wenn genug Geld da ist, um unnötig hohe Heizrechnungen zu zahlen. Die Hitze betäubt die Menschen, viele fallen in Tiefschlaf, sobald sie in die weichen Polstersessel gesunken sind. Viele kulturelle Leistungen branden auf diese Weise an schlummerndem Publikum vorbei.
In der Glücksforschung gibt es den Begriff "Defizit-Fokussierung". Ein sehr einleuchtender Begriff, mit dem ich mich erkannt fühle. Ich könnte doch froh sein, dass die Menschen im Schnee bunte Mützen tragen und dass es in den Räumen noch kuschelig warm ist. Ich könnte froh sein, dass Landtagswahlen in Kärnten abgehalten werden und auf Änderung hoffen. Aber mit meiner Defizit-Fokussierung befinde ich mich in Österreich in bester Gesellschaft, das unerreichbare Ideal Thomas Bernhard immer vor Augen.
Mit einer pessimistischen Sicht haben wir immer gute Karten: Wir erwarten nur das Schlechteste, haben meistens Recht oder werden schlimmstenfalls angenehm überrascht. Wer so denkt, hat keine Winterdepression, er ist einfach grantig oder zornig.
Feiern hilft gegen die Krise, hat UHBP in der Präsidentenloge des Opernballs verkündet. Glücklich ist, wer vergisst, was nicht zu ändern ist. Die lieben Österreicherinnen und Österreicher haben in diesem Jahr einiges zu vergessen: all die Defizite der Krankenkassen und der Fluglinien, die Steuergelder, die zur Rettung der Maroden in für uns undurchschaubare Töpfe wandern. Vergessen wir vor allem die Boni, die aus Steuergeldern den Verursacher der Krise gezahlt werden.
Vergangene Woche brachte ein deutsches Nachrichtenmagazin die Porträts der bestbezahlten Topmanager ("Die Schamlosen"). Endlich einmal war die fehlende Frauenquote ein Grund zur Freude. Sechzehn abgebildeten Topmanager, die Stützen der Gesellschaft, trugen Anzüge in nahezu gleichen Farben, aus leicht glänzenden, dünnen Stoffen - sicher sind auch Konferenzsäle, Chefbüros und Firmenjets überheizt. Unter den Krawatten führte die Farbe Rot vor Blau. Achtmal Punkte vor zweimal Streifenmuster. Das Wichtigste aber war nicht zu erfahren: wo die Herrn ihre Boni angelegt haben, sicher vor der Pleite ihrer Institute und Firmen. Solche Fragen sollten wir vergessen, welche Boni können wir denn schon anlegen? Wir sollten froh sein, wenn wir uns bunte Strickmützen leisten können.