Das erste Musical
Carmenmania
Musikalische Bearbeitungen sind ein Merkmal für die Vitalität des Ausgangsmaterials, ein Zeichen der Lebensfähigkeit, ein Beweis, dass der Schöpfer des Originals den Geschmacksnerv einer breiten Publikumsschicht getroffen hat. So auch bei "Carmen".
8. April 2017, 21:58
Einige, aber doch nur wenige Werke der Musikgeschichte hatten eine ungewöhnliche Zahl von Bearbeitungen im Kielwasser ihres Erfolges. Manche sagen, sind ihnen zum Opfer gefallen. Doch sind Bearbeitungen - vor allem in großer Zahl und in großer Vielfalt - stets nur ein Merkmal für die Vitalität des melodischen Materials, ein Zeichen der eigenständigen Lebensfähigkeit, ein Beweis, dass der Schöpfer des Originals den Geschmacksnerv einer breiten Publikumsschicht getroffen hat.
Arrangements
Das gilt für Songs der Beatles (von "Yesterday" gibt es mehr als 2.000 unterschiedliche Fassungen) ebenso wie für Orgelwerke von Bach (da hält wohl das Präludium mit Fuge in d-Moll, dessen sich Stokowski am wirksamsten angenommen hat, den Popularitätsrekord), für Mussorgskys "Bilder", die durch Emerson, Lake & Palmer zu einem Pop-Klassiker geworden sind und - was die Opernliteratur betrifft - für Bizets "Carmen".
Schon im Jahrhundert Bizets begannen reisende Virtuosen, Bizets Melodien für die eignen Zwecke - meist als Demonstrationsmöglichkeit ihrer Virtuosität - zu variieren oder potpourriartig zu arrangieren, manchmal sogar zu parodieren.
Metallwarenorchester
Vor allem dann im 20. Jahrhundert. Man denke nur an "Carmen" murdered von Spike Jones, ein viertelstündiges Potpourri durch die Story, musikalisch illustriert durch das typische "Metallwarenorchester".
Hier strömen aus der Fabrik keine Zigarettenarbeiterinnen, sondern die Bubble Gum Girls und Carmen tippt ein "Typewriter Solo for twelve fingers", sicherlich inspiriert von Leroy Andersons damals erfolgreichen "Typewriter Rag".
Carmen Jones
Auf ganz andere Weise amerikanisiert ist das erfolgreiche Broadway Musical "Carmen Jones" von Oscar Hammerstein, das - 1953 uraufgeführt - schließlich durch den Otto Preminger Film aus dem Jahr 1954 mit Harry Belafonte weltbekannt geworden ist.
Hier wird die Musik nicht verballhornt, sondern - die der Carmen - immerhin von Maryline Horne gesungen. Aber die Story spielt in Amerika unter Schwarzen während des Zweiten Weltkriegs. Carmen arbeitet in einer Flugzeugfabrik und verlässt den Korporal Joe wegen des Preisfliegers Husky.
Carmen und Flamenco
Abgesehen von etlichen konventionellen Filmversionen der Oper, gibt es auch die interessante Bearbeitung von Peter Brook ("La tragédie de Carmen"), doch die wohl faszinierendste Carmen-Verfilmung in der Regie von Carlos Saura, konzentriert sich zwar auf den Stoff in seinen Grundzügen, auch auf das melodische Material Bizets in seiner Substanz, verzichtet aber auf eine filmische Nacherzählung, sondern verbindet dokumentarische Studien aus dem Milieu von Tänzern und Musikern mit einer modernen Liebesgeschichte: Das Ganze wird zu einer Mischung eines Carmen Balletts mit Flamenco-Klängen.
Der Choreograf verliebt sich während der Proben in seine Primaballerina. Sauras Bearbeitung macht auch den Vorgang der Bearbeitung selbst zum Thema. Immer wieder geht in Tanzszenen beziehungsweise Proben Bizets Musik in Flamenco-Musik des Gitarristen Paco de Lucia über.
Carmen-Ballett
Ebenso weit weg von der Oper, aber näher an der melodischen Substanz Bizets bleibt das Carmen-Ballett des Russen Rodion Schtschedrins. Er hat die Musik dazu vor etwa vier Jahrzehnten für ein groß besetztes Streichorchester, Pauken und vier Schlagzeuggruppen arrangiert. Das ist eine Klankombination, durch die sich überraschende Effekte erzielen lassen.
Bei der Uraufführung im Jahre 1967 im Moskauer Bolshoi-Theater fand das Werk eine negative Aufnahme durch die sowjetischen Kulturbehörden. "Schon die zweite Aufführung wurde verboten", berichtete der Komponist später, "wobei als Gründe sowohl eine Beleidigung von Bizets Meisterwerk, als auch die sexuelle Freizügigkeit bei der Behandlung der Carmen-Figur genannt wurden. Erst durch eine Intervention Dimitri Schostakowitschs, der sich im Kulturministerium für mich einsetzte, gelangte das Ballett nach und nach in die Theater."
Virtuosenmusik
Aber daneben sollen auch die Virtuosenpiecen nicht vergessen werden, die Paraphrasen und Variationen, die meist berühmte Geiger, oder Pianisten für ihre Auftritte arrangierten.
Etwa die Carmen-Variationen von Vladimir Horowitz, die auch von seinen Nachfolgern gerne gespielt werden, oder die Carmen-Fantasie von Pablo de Sarasate für Violine und Klavier oder Orchester. Für dieselbe Besetzung gibt es auch eine Version von Jenö Hubay und eine des Filmkomponisten Frank Waxman.
Darüber hinaus finden sich auch Bearbeitungen für Gitarren-Quartett, für Flötenensembles, Blechblasgruppen - oder, ganz solistisch - für Akkordeon ebenso, wie für Moog Synthesizer. Durchaus passend für eine Oper, die von David McVicar, dem Carmen-Regisseur in Glyndebourne, als erstes Musical bezeichnet worden ist.
Hör-Tipps
Musikgalerie, Montag, 23. Februar 2009, 10:05 Uhr
Georges Bizet, "Carmen", Samstag, 28. Februar 2009, 19:00 Uhr