Musikalische Liebeserklärungen an Rio de Janeiro

Cidade Maravilhosa

Trotz aller Probleme ist Rio bis heute die "Cidade Maravilhosa", die wundervolle Stadt, die alle unweigerlich in ihren Bann zieht. Und über keine andere Stadt gibt es eine derartige Fülle musikalischer Hommagen wie über Rio de Janeiro.

Wer über den Atlantik kommend im Flugzeug nach Rio de Janeiro sitzt, erlebt einen faszinierenden Landeanflug auf den Flughafen Galeao. Linkerhand reihen sich nach Südwesten hin die Buchten von Botafogo, Copacabana, Ipanema, Leblon und Barra da Tijuca mit ihren weiß leuchtenden Stränden und Hochhäusern. Gleich dahinter türmen sich die steilen Hügel mit atlantischem Urwald oder die dicht gedrängten Häuser der alten Favelas. Immer wieder ragen riesige Granitfelsen in die Höhe, unter ihnen der berühmte Zuckerhut. Rechterhand öffnet sich die verzweigte Bucht von Guanabara mit der Nachbarstadt Niterói auf der anderen Seite des Wassers. Und über all dem breitet der Cristo Redentor auf dem 700 Meter hohen Corcovado seine schützenden Arme aus.

A.C. Jobim International Airport
Diesen Landeanflug auf den Flughafen seiner Heimatstadt hat Antonio Carlos Jobim im Lied "Samba do Aviao" festgehalten. Heute trägt der Flughafen den Namen "Galeao - Antonio Carlos Jobim International Airport". Rio ehrte damit einen der bedeutendsten Söhne der Stadt. Jobim seinerseits hatte Rio in zahlreichen weiteren Liedern gewürdigt ("Garota de Ipanema", "Corcovado", "O morro nao tem vez", "Descendo o Morro", "Ela é Carioca" etc.) und seiner Heimatstadt sogar eine "Sinfonia do Rio de Janeiro" gewidmet.

Viele der Liedtexte stammen aus der Feder von Vinícius de Moraes, dem kongenialen Partner Jobims, der Rio genauso liebte, umso mehr als er einen Großteil seines Lebens als Diplomat im Ausland verbrachte oder - in der Zeit der Militärdiktatur - im Exil verbringen musste.

Viel besungene Metropole der Gegensätze
Bei kaum einer anderen Metropole liegen die Gegensätze so nah beieinander wie bei Rio de Janeiro: Urwald und Beton, Straßenhölle und Traumstrände, Luxus und Elend. Und über kaum eine andere Stadt gibt es so viele musikalische Liebeserklärungen und Hommagen wie über Rio, nicht einmal Paris oder New York können da mithalten. Die Themenpalette reicht von den hübschen Mädchen an den Stränden über einzelne Stadtteile bis hin zum Leben in den Favelas.

Es ist anscheinend leicht, Rio zu besingen, handelt es sich doch um die "Cidade Maravilhosa", die wundervolle Stadt, eine Millionen-Metropole, die alle in ihren Bann zieht, ob Bewohner oder Besucher, arm oder reich, schwarz oder weiß. Trotzdem sind viele der Lieder über Rio nicht nur dümmliche Romantik, sie greifen oft auch die weniger schillernden Seiten der Stadt auf.

O Morro
"O Morro" (der Hügel) ist in Rio Synonym für Favela. Denn auf den Hügeln der Stadt entstanden die ältesten Armensiedlungen Brasiliens, und man könnte fast sagen, dass die Armen die schönsten Wohngegenden von Rio okkupiert haben, wäre da nicht zum Beispiel der Regen, der immer wieder ganze Hänge mit den Hütten darauf herunterspülte. Der Samba wurde in Bahia geboren; in den Favelas auf den Hügeln von Rio wurde er großgezogen. Und er hat sich beim "Morro" mit unzähligen Liedern dafür bedankt.

Baracken aus Zinkblech ohne Dach, ohne Farbe,
oben am Hügel.
Da gibt es keine Wolkenkratzer,
denn wer am Hügel wohnt,
lebt sowieso schon nahe genug am Himmel!

(Herivelto Martins - "Ave Maria No Morro")

Aus den meisten Zinkblechhütten der "Morros" sind inzwischen mehrstöckige, gemauerte Häuser geworden. Straßen gibt es in diesen anarchisch gewachsenen Wohngegenden auf den steilen Hängen der Hügel bis heute nicht, doch die altehrwürdigen Favelas von Rio sind vielfach zu fast normalen Vierteln geworden, während an den Rändern der Stadt die neuen Slums wuchern.

Der lachende Jännerfluss
Als die Portugiesen um 1500 der brasilianischen Atlantikküste entlang nach Süden segelten und in der verzweigten Bucht von Guanabara vor Anker gingen, wähnten sie sich in der Mündung eines riesigen Flusses. Und weil gerade Jänner war und die Portugiesen bei Namensgebungen in ihren Kolonien selten besonders kreativ waren, nannten sie den vermeintlichen Fluss einfach "Jännerfluss". Der Name ist geblieben.

Das Wort "Rio" bedeutet in Portugiesisch aber nicht nur "Fluss", sondern ist auch die 1. Person Singular des Verbs "lachen". Auch damit spielt ein Lied, und zwar "Vide Gal" von Carlinhos Brown, ein Stück, in dem die Stadt selbst zu Wort kommt und erzählt: "Rio prá nao chorar!" ("Ich lache um nicht zu weinen"). Ein raffinierter Text über Rio, an dessen Ende auch die Doppelbedeutung von "Morro" (1. "Hügel/Favela", 2. "Ich sterbe") anklingt: Morro de Amar…

Die eifersüchtige, hässliche Schwester
1763 löste Rio de Janeiro das im Norden gelegene Salvador da Bahia als Hauptstadt ab, bis dann 1960 Präsident Juscelino Kubitschek die jetzige Hauptstadt Brasília einweihte, die inmitten des brasilianischen Hochlands aus dem Boden gestampft wurde. Rio ist die elegante Kulturhauptstadt Brasiliens geblieben, während im Südosten Sao Paulo rasant zur wirtschaftlichen Hauptstadt heranwuchs.

Sao Paulo ist keine Cidade Maravilhosa. Die geschäftige 20-Millionen-Metropole ist den Musikern des Landes kaum eine Erwähnung wert. Nur Caetano Veloso, der Superstar der Música Popular Brasileira, der auch eine ganze Reihe von Songs für und über Rio verfasst hat, bemerkte die Eifersucht der fleißigen, aber hässlichen Schwester und hat ihr mit "Sampa" eines seiner schönsten Lieder gewidmet:

Als ich Dir ins Auge blickte, sah ich mein eigenes Gesicht nicht.
Und ich bezeichnete das, was ich sah,
aufgrund meines schlechten Geschmacks
als schlechten Geschmack.
Narziss findet alles hässlich, was kein Spiegel ist!

Hör-Tipp
Spielräume, Sonntag, 22. Februar 2009, 17:30 Uhr