Die Männer trinken viel Wodka und sterben früh

Eine verstörte Gesellschaft

Der baltische Staat Litauen nimmt in einigen Statistiken eine wenig erfreuliche Spitzenposition ein: die höchste Selbstmordrate der Welt, viele Alkoholkranke, eine stark schrumpfende Bevölkerung und die niedrigste männliche Lebenserwartung in der EU.

Der baltische Staat Litauen nimmt in einigen Statistiken eine Spitzenposition ein. Doch es handelt sich dabei um eher unerfreuliche Daten. Darauf hat Danutė Gailienė, Sozialpsychologin an der Universität der litauischen Hauptstadt Vilnius, in einem kürzlich erschienenen Buch verwiesen. Da wäre als erstes einmal die Selbstmordrate: Sie hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt und ist nun die höchste der Welt, Litauen hat den langjährigen Rekordhalter Ungarn überholt.

Dann der Alkoholismus: Auch die Zahl der Alkoholkranken ist in den Jahren seit der Unabhängigkeit 1991 stark gestiegen. Das sei vor allem ein Problem der Männer, sagt die Sozialpsychologin: sie reden nicht und trinken stattdessen, meistens Wodka. "Wir haben da eine schreckliche Tradition aus der Sowjetzeit übernommen."

Trinken gegen ein neues Leben

Vor allem auf dem Land sind Alkoholismus und Selbstmorde ein Problem, dort also, wo nach der Auflösung der sowjetischen kollektivierten Landwirtschaft wieder Pferde zur Bodenbearbeitung verwendet werden und wo die kleinen bunten Holzhäuschen oft weniger malerisch sind als windschief, zugig und ungesund.

Alles habe sich für die Menschen dort geändert, sagt Gailienė, sie seien vor Herausforderungen gestanden, auf die sie nicht vorbereitet waren. "Und was haben sie gemacht? Das Übliche: Sie haben mehr getrunken". Die Jungen ziehen in die Stadt, aber die ältere Generation, die ihre besten Jahre unter dem Sowjetregime verbracht hat, die tut sich schwer, sich an ein neues Leben anzupassen: Das Alte ist zerstört, mit den neuen, aus dem Westen importierten Lebensmustern können sie wenig anfangen.

Europas niedrigste Lebenserwartung

Auch in der Statistik der Todesursachen spielen in Litauen Alkohol und Gewalt eine überdurchschnittliche Rolle. Die Lebenserwartung der Männer ist mit 65 Jahren die niedrigste in der EU - litauische Männer leben also um elf Jahre kürzer als ihre Frauen und um zwölf Jahre kürzer als österreichische Männer. Das sind Werte, die eher jenen des benachbarten Russland ähneln als jenen der anderen EU-Staaten.

Auswanderungswelle und Wirtschaftskrise

Auch bei einer anderen Statistik ähnelt Litauen Russland: die Bevölkerung schrumpft. 1992 hatte das Land noch 3,7 Millionen Einwohner, jetzt sind es nur mehr 3,2 Millionen. Die Geburtenrate ist niedrig, und außerdem sind viele Staatsbürger zur Arbeit ins Ausland gegangen: Zehn Prozent der Litauer und Litauerinnen - auch das ist ein Rekord: so viel wie in keinem anderen EU-Land! - sind Arbeitsmigranten und -migrantinnen, sie sind hauptsächlich nach Großbritannien, Spanien oder Irland ausgewandert. Und das sei auch ein Problem für die Familien, sagt Danutė Gailienė: "Die Kinder werden von den Eltern getrennt und bleiben bei den Großeltern, manchmal auch bei den Nachbarn - da spielen sich Familientragödien ab!"

Die Geldüberweisungen der Arbeitsmigranten und -migrantinnen waren in den letzten Jahren für die litauische Wirtschaft wichtig, doch diese Zeit geht jetzt zu Ende. Die Weltwirtschaftskrise hat Irland und Spanien voll erfasst, und das wirkt sich auch auf die dorthin Ausgwanderten aus: Viele von ihnen kehren wieder nach Litauen zurück.

Hör-Tipp
Europa-Journal, Freitag, 13. März 2009, 18:20

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