Vom Weblog zum Buch
Die Leiden einer jungen Kassiererin
In ihrem Weblog wollte sich Anna Sam ihren Frust von der Seele schreiben. Aus dem Blog wurde ein Buch, dieses zum Bestseller. Da jeder Mensch irgendwann im Supermarkt einkauft, findet sich wohl auch jeder Mensch in irgendeiner Form in dem Buch wieder.
8. April 2017, 21:58
Mein Name ist Anna. Ich bin 28 Jahre alt und habe eine Erfahrung hinter mir, die sich als ebenso eigenartig wie banal erwies. Ich habe acht Jahre in einem der großen Supermärkte gearbeitet.
Eigentlich wollte sich Anna Sam nur ihr Studium der Literaturwissenschaften finanzieren, als sie anfing, hinter der Kasse eines Supermarchés zu arbeiten. Aber die triste Joblage macht ihr einen Stich durch die Rechnung und aus dem geplanten Nebenjob wurde eine ganz normale Anstellung.
Mit anderen Augen betrachtet
Um sich ihren Frust von der Seele zu schreiben, begann die Literaturwissenschaftlerin einen Blog im Internet zu verfassen.
Plötzlich sah ich die Menschen, die hinter dem Laufband vorbeidefilierten, mit anderen Augen. Ich betrachtete das Universum des Supermarkts durch eine andere Optik, und entdeckte eine Welt, die sehr viel weniger eintönig ist, als sie mir bislang erschienen war.
Aus dem Blog wurde ein Buch und das schnell zu einem Bestseller in Frankreich. Was wohl nicht nur daran liegt, dass all die Menschen hinter den Kassen diesen Text lesen wollen, sondern auch jene vor den Kassen. Und da jeder im Supermarkt einkauft, wird sich wohl auch jeder in irgendeiner Form in dem Buch wiederfinden - sei es, weil ihm oder ihr der Einkauf von Klopapier ebenso peinlich ist wie den im Buch beschriebenen Kunden; sei es, weil er oder sie auch zu jenen gehört, die kurz vor Ladenschluss noch gemächlich durch den Supermarkt schlendern und gar nicht einsehen wollen, warum sie sich beeilen sollten.
Seltsame Mitmenschen
Am unterhaltsamsten ist Anna Sams Buch dann, wenn sie über seltsame Menschen schreibt. Wie zum Beispiel über jenes Pärchen, das unentwegt heftig und laut schmust.
Während die beiden an der Kasse stehen, hören sie nicht eine Sekunde lang auf, einander zu herzen und zu kosen, und zwar in einer Ungeniertheit. (...) Ihre Kinder, die offensichtlich daran gewöhnt sind, lassen die beiden in Ruhe und kümmern sich um alles. Ich muss allerdings zugeben, dass ich rot wurde. Immerhin kommt es nicht jeden Tag vor, dass die Leidenschaft sich direkt vor der Kasse entzündet.
Begehrlichkeiten
Ein Paar, das das Begehren auf sich richtet, ist aber allemal noch besser als die männlichen Kunden, die ihr Begehren auf die Kassiererin richten. Da gibt es jene, die ganz direkt fragen: "Wollen Sie mit mir ins Bett gehen?", und jene, die 19-mal pro Woche auftauchen mit immer nur einem Artikel und sich nicht trauen, der Frau in die Augen zu schauen. Um dann beim 20. Mal ganz schüchtern zu fragen, ob man sie nicht auf ein Glas Wein einladen dürfe.
Wer dieses Buch gelesen hat, ändert nicht sein Leben, aber vielleicht doch sein Verhalten im Supermarkt, denn man lernt, was Kassiererinnen gar nicht leiden können: Kunden, die nicht grüßen; die während des Zahlens mit dem Handy telefonieren und die Einkäufe nicht richtig aufs Fließband legen. Korrekt ist es, die Waren so aufs Band zu legen, dass die Kassiererin nicht jeden Gegenstand, ob Dosenmilch, Katzenstreu oder fünf Kilo schwere Waschpulverpakete, so lange drehen muss, bis die Seite mit dem Strichcode nach oben zeigt.
Geld stinkt nicht
Aber auch beim Bezahlen gibt es angenehmere und weniger angenehme Kunden. Die weniger angenehmen zahlen nicht nur langsam, sie verstecken ihr Bares auch an den seltsamsten Stellen. Madame Raymond zum Beispiel zieht ihr Geld mit Vorliebe aus ihrem BH, Monsieur Bezaut fischt seinen 50-Euro-Schein aus seinem durchlöcherten Schuh. Und dann gibt es noch Madame Jourdan.
"Einen Augenblick. Ich habe nicht genug Geld hier", sagt sie mit ihrer lieblichen Stimme. "Ich gehe kurz zur Toilette." Einige Minuten später rauscht sie wieder herein und schwenkt triumphierend ihre Geldscheine. Man will sich lieber nicht vorstellen, wo sie diese wohl hervorgezaubert hat. Gleichwohl fasst man sie nur mit Fingerspitzen an. Ja, ja, ich weiß: "Geld stinkt nicht." Vor allem nicht, wenn man Kassiererin ist.
Mit Witz und Esprit
Sehr amüsant beschreibt Anna Sam ihr Leben hinter der Kasse. Schwierige Chefs, die viel zu kurzen Pausen und die seltsamen Tricks der Ladendiebe; all das wird mit Witz und Satire, voller komischer Episoden und gut gelaunter Pointen präsentiert. Manchmal kommt der Text deshalb dann auch zu plump daher. Ein wenig mehr Seriosität, ein wenig mehr Erinnerung an das Literaturstudium hätte dem Buch sicher nicht geschadet.
Ein Name - eine Nummer. Austauschbar. Kassiererin ist kein Job fürs Leben. Die Angestellten kommen und gehen. Sie ähneln sich (...) oder auch nicht.