Kreativ, eigenverantwortlich und mobil

Das Versprechen der "kreativen Ökonomie"

Die "Creative Industries" werden gerne als wirtschaftspolitisches Hoffungsgebiet gehandelt und als Beschäftigungssektor mit großem Wachstumspotenzial beschworen. Viele Jobs in diesem Bereich sind aber mit prekären Arbeitsverhältnissen verbunden.

Seit den späten 1990er Jahren werden die so genannten "Creative Industries" gerne als wirtschaftliches Hoffungsgebiet und als Beschäftigungssektor mit großem Wachstumspotenzial beschworen. Vorreiter dieser Politik war das Vereinigte Königreich, wo Tony Blair und New Labour unter dem Motto "Cool Britannia" die kreative Szene Londons zum Erfolgsmodell erklärten.

Zu den Branchen, die an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und Wirtschaft arbeiten, werden u. a. Multimedia, Werbung, Musik, Internet, Medien, Film, Software, Grafik, Design, Mode und Architektur gezählt.

Die Stadt Wien verweist auf rund 18.000 Unternehmen im Bereich der Kreativwirtschaft, wobei knapp die Hälfte so genannte "Ein-Personen-Unternehmen" sind. Insgesamt sind in Wien mehr als 100.000 Menschen damit beschäftigt, kulturelle Güter und Dienstleistungen zu produzieren, zu vermarkten bzw. medial zu verbreiten. In London gelten die "Creative Industries" sogar als drittgrößter Arbeitsmarkt.

Innovative Branchen als Wirtschaftsmodelle

Städte mit einem hohen Maß an Toleranz und Offenheit sind Nährboden für kreative Milieus, die nicht nur weitere Kreative anziehen, sondern auch als wichtiger Standortfaktor bei der Ansiedlung von Unternehmen wirken, so etwa die zentrale These des amerikanischen Soziologen Richard Florida in seinem Bestseller The Rise of the Creative Class.

Flexibilität, flache Hierarchien und mehr Selbstbestimmung kennzeichnen diese innovativen Branchen, die immer öfter als Modell für die gesamte Wirtschaft herangezogen werden.

"Alle" sollen kreativ arbeiten, eigenverantwortlich und mobil, so das neue Paradigma, das die Politikwissenschaftlerin Monika Mokre kritisiert: "Das wohlfahrtsstaatliche Modell der 1970er Jahre wird durch das Bild des Einzelunternehmers, der Ich-AG, abgelöst. Der Creative Entrepreneur übernimmt Vorbildfunktion für das neue neoliberale Gesellschaftsmodell."

Die "Creative Class"

Monika Mokre von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat die Arbeitsbedingungen der "Creative Class" untersucht und beschreibt die Verhältnisse als prekär. "Die Arbeitszeiten sind ungeregelt, was zur Vermischung von Privat- und Berufsleben führt und trotz hohem Ausbildungsniveau ist das Einkommen aus den meist atypischen Beschäftigungsverhältnissen gering."

Dennoch: Die Vorstellung aus dem Hobby einen Beruf zu machen und die Hoffnung ökonomisch zu reüssieren, machen diese Berufsbilder vor allem für junge Menschen attraktiv. Soziale Unsicherheiten werden in Kauf genommen und erst mit fortschreitendem Alter und Familie, vor allem für Frauen, zum Problem.

Do-it-Yourself-Kreativität

Mit der kreativen Klasse als "The Class of the New" hat sich auch der Londoner Politologe und Historiker Richard Barbrook beschäftigt.

Was den Ruf Londons als Kulturmetropole ausmacht, seien nicht seine Museen oder Theater, sondern die Trendsetter der verschiedenen Sub- und Jugendkulturen. Bewegungen, die von der Straße kommen, von den Mods bis zu Jungle oder Drum & Bass, prägen seit den 1950er Jahren das lebendige Image der britischen Hauptstadt.

"Es ist diese Do-it-Yourself-Kreativität, die neue Stile in der Musik, in der Mode, im Design oder in der Kunst hervorbringt und die dann von der Kreativwirtschaft aufgegriffen und in alle Welt verkauft werden", so Richard Barbrook.

Das Jahr der "Kreativität und Innovation"

Kreative und neue Ideen entstehen nicht, weil die Gedanken um Gewinnmaximierung kreisen. Für die meisten Menschen ist kreatives Schaffen ein Bedürfnis, sie schreiben, basteln, fotografieren, komponieren und musizieren, alleine und mit anderen, weil sie sich ausdrücken und ihr eigenes menschliches Potenzial weiterentwickeln wollen.

Dass gerade 2009 von der Europäischen Union zum Jahr der "Kreativität und Innovation" ausgerufen wurde, hält Christoph Thun-Hohenstein, Geschäftsführer der Wiener Fördereinrichtung "departure", die Unternehmen bei der wirtschaftlichen Umsetzung von kreativen Ideen unterstützt, für einen glücklichen Zufall: "Das war nicht so geplant, aber das Timing ist nicht schlecht, denn gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise steigt die Bedeutung der Kreativität und Innovation".

Mehr zu Creative Cities in oe1.ORF.at
Vom Aufstieg der kreativen Klasse
Der Wandel des Begriffes Arbeit
Neustart statt Depression

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 23. März bis Donnerstag, 26. März 2009, 9:05 Uhr

Buch-Tipps
Richard Florida, "The Rise of the Creative Class: And How It's Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life", Basic Books

Eichmann, Hubert; Schiffbänker Helene (Hg.), " Nachhaltige Arbeit in der Wiener Kreativwirtschaft? Architektur-Design-Film-Internet-Werbung", Wien: Lit Verlag

Richard Florida, "Who's your city?: How the creative economy is making where to live the most important decision of your life", New York: Basic Books.

Veranstaltungs-Tipp
Im Rahmen des Ö1 Symposiums "Creative Cities. Das Versprechen der kreativen Ökonomie" diskutieren internationale Experten die Rolle der "Creative Class" und das Paradigma des ökonomischen Nutzens. Dienstag 31. März 2009, Beginn 14:00 Uhr, Radiokulturhaus Wien, Eintritt frei.

Mehr zum Ö1 Symposium "Creative Cities" in RadioKulturhaus.ORF.at