Nur ein Spiel? - Teil 3

Rollenspiele

Während in den vergangenen Jahren gewalttätige Burschen immer wieder in die Schlagzeilen der Boulevardpresse gerieten, haben sich nun auch Mädchen diesen Platz erobert. Für Experten sind die Ursachen für die Gewalttätigkeit bei beiden die Gleichen.

Die Gründe für gewalttätiges Verhalten liegen bei Burschen wie bei Mädchen primär in der Familie. Die Angst, minderwertig zu sein und versagt zu haben, auch Schuld an der Trennung der Eltern zu sein, löst Wut und Aggression aus.

Mädchen aber wenden die Aggression oft gegen sich. Sie verweigern die Nahrung, oder sie ritzen sich den Körper. Dieses selbstbeschädigende Verhalten kann lebensbedrohlich werden. Andere Mädchen richten den Zorn nach außen - und werden auffällig.

Theaterspielen als Trainingsprogramm

Vor einigen Monaten erhielt das Kinderschutzzentrum Wien vonseiten des Jugendamtes die Anfrage, ob ein Trainingsprogramm für aggressive Mädchen angeboten würde, erzählt die Leiterin des Kinderschutzzentrums Christina Radner. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Holger Eich entwickelte sie die Idee, eine Theatergruppe für diese Mädchen anzubieten.

Denn: Theater spielen wird auch im therapeutischen Kontext verwendet, mämlich dann, wenn Kinder und Jugendliche grundlegende soziale Kompetenzen noch nicht beherrschen; wenn sie nicht zuhören können, wenn es ihnen unmöglich ist, wahrzunehmen, wie sich ein anderer fühlt, und sie nicht einschätzen können, ob sie einem anderen weh tun oder nicht. Das Rollenspiel ist ein erprobtes Mittel nachzuholen, was diese Kinder in ihrer frühesten Kindheit nicht gelernt haben.

Niemand will Opfer sein

Über die Jugendgerichtshilfe und das Jugendamt schrieb das Kinderschutzzentrum Wien Castings aus. Die Zielgruppe waren Mädchen, die durch ihr gewalttätiges Verhalten aufgefallen waren. Acht Mädchen im Alter von 13 bis 16 gestalten nun dieses Theaterprojekt, das vom Theater der Jugend in Wien unterstützt wird.

Die schwierige Geschichte der Mädchen wurde in der Theatergruppe nicht besprochen. Trotzdem sind ihre persönlichen Erfahrungen präsent, denn allen acht Mädchen gemeinsam ist, dass sie Opfer von häuslicher Gewalt waren. Einige der Mädchen wohnen darum nicht mehr zu Hause, sondern leben in betreuten Wohngemeinschaften. Das Täter-Opfer-Thema ist in der Arbeit in der Theatergruppe allgegenwärtig, erzählt Christina Radner. Nur: Opfer will keines der Mädchen mehr sein. Dieses Wort gilt als Schimpfwort.

"Ihr Grundgefühl ist, nicht gewollt zu sein"

Vor allem in den freien Improvisationen, wenn sich die Mädchen die Themen frei wählen dürfen, spiegelt sich ihre reale Lebenssituation wider. Sowohl künstlerisch überhöht wie realistisch dargestellt. Der Traum vom Superstar, oder der Wunsch nach einer Modelkarriere unterscheidet diese Mädchen jedoch in nichts von einer durchschnittlichen 13- oder 14-Jährigen.

In einem jedoch unterscheiden sie sich von ihren Altersgenossinnen, erklärt Holger Eich: "Diese Jugendlichen wurden vom Elternhaus nie gestützt. Sie haben nie Wertschätzung erfahren. Ihr Grundgefühl ist, nicht gewollt zu sein."

Anforderungen steigen auch für Kinder und Jugendliche

Der Philosoph und Gewaltforscher Klaus Theweleit hat beobachtet, dass die Ausübung der körperlichen Gewalt in den europäischen Gesellschaften während der vergangenen Jahre eher rückläufig ist. Gestiegen hingegen sind die Anforderungen, die an die jungen Menschen gestellt werden.

Den Jugendlichen wird mehr abverlangt. Die Geschlechterrollen werden neu definiert und sie suchen nach Orientierung. Dazu kommt die Bandbreite an Kommunikationsmöglichkeiten, die die neuen Medien bieten.

Die mediale Welt aber verändert nicht nur das Bewusstsein. Medien sind eine eigene Realität, sie greifen in die Welt der Objekte ein, indem sie die Wahrnehmung verändern, sagt Klaus Theweleit. Die Medien eröffnen Welten, auf die Eltern und Lehrer keinen Zugriff mehr haben. Damit sind aber auch die Schonräume für Kinder und Jugendliche verloren gegangen.

Medien und Computerspiele

Die Effekte - vor allem gewalttätiger Computerspiele - wurden in den vergangenen Jahren heftig diskutiert. Die Taten jugendlicher Amokläufer wurden wiederholt mit Computerspielen wie "Counterstrike" oder "American Army" in Verbindung gebracht. Forcieren diese Computerspiele aggressives Verhalten? Oder sind es vor allem gewaltbereite Jugendliche, deren aggressives Verhalten sich durch das Benutzen der Spiele verstärkt?

Um sich in dieser Frage Klarheit zu verschaffen, hat Mario Gollwitzer im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Rezeption und Wirkung gewalthaltiger Computerspiele untersucht. Die aktuellen Ergebnisse liegen nun vor und sind eindeutig. "Inzwischen zweifelt niemand, der zum Thema forscht, dass es negative unerwünschte Effekte gibt, und zwar nachhaltig. Wir haben an den Versuchspersonen noch nach einem Jahr negative Effekte feststellen können - in einer Intensität, wie sie mit der Zugehörigkeit einer Bande oder Gang vergleichbar ist, die eigene soziale Spielregeln festlegt."

Grundsätzlich sind Computerspiele hervorragende Lehrer. Sie sind individuell auf die Fähigkeiten des Spielers angepasst und ihr Belohnungssystem motiviert den Spieler, weiter zu spielen. Es sind die aggressiven und gewalttätigen Inhalte, die diese Spiele zur Gefahr werden lassen. Die einzige Chance, der Gefahr konstruktiv zu begegnen ist, die jungen Menschen in ihrer Medienkompetenz zu schulen.

Mehr zum Thema in oe1.ORF.at
Mobbing
Mobbing und Gewalt unter Jugendlichen

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 30. März bis Donnerstag, 2. April 2009, 9:05 Uhr

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Gemeinsam gegen Gewalt