Die friedliche Revolution von 1989

Der Weg zum Mauerfall

Heuer jährt sich die friedliche Revolution in der DDR zum 20. Mal - die einzige erfolgreiche Revolution der deutschen Geschichte. Ein Zentrum des Umbruchs war Leipzig, wo es am 9. Oktober 1989 zur entscheidenden Machtprobe zwischen Staat und Opposition kam.

In der Nacht des 9. November 1989 feierten die Deutschen in Ost und West die Öffnung der Berliner Mauer. Die Grenzöffnung, die den Fall des Eisernen Vorhangs und letztlich den Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums in Osteuropa einleitete, überraschte zwar die Betroffenen und auch so manche Regierung - sie hatte aber eine lange Vorgeschichte.

Kirchen als Keimzellen der Opposition

Schon seit Jahren formierte sich Opposition gegen die kommunistische Diktatur in der DDR, die vom Staat einmal stärker, einmal weniger stark unterdrückt wurde. Besonders schwer hatten es kritische Marxisten, die lediglich eine Reform der DDR anstrebten, sie zu einem "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" führen wollten. Sie wurden ausgebürgert, wie der Liedermacher Wolf Biermann, erhielten Berufsverbot wie der Physiker Robert Havemann oder kamen im schlimmsten Fall zusätzlich ins Gefängnis wie der Philosoph und Soziologe Rudolf Bahro.

Andere Oppositionelle formierten sich in den 1980er Jahren außerhalb des kommunistischen Einflussbereichs. Sie fanden Schutz bei den Kirchen, besonders den evangelischen. Die Kirchen waren deswegen für nichtchristliche Regimekritiker attraktiv, weil sie in wichtigen Bereichen ähnliche Ziele vertraten, erläutert der Historiker Ilko Sascha Kowalczuk. Die Kirchen waren blockübergreifend in der Friedensarbeit engagiert und wurden so zu "Keimzellen für oppositionelle Friedensgruppen".

Kanonenrohre mit Friedenstauben

In den 1980er Jahren unterwanderten die Kirchen sozusagen auch staatliche Kundgebungen, wie die Olof-Palme Friedensmärsche, die sich eigentlich gegen die NATO-Nachrüstung richteten, bei denen aber auch Transparente gegen die Wehrpflicht in der DDR und für mehr Umweltschutz mitgeführt wurden. Reinhard Höppner, damals Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Sachsen und später SPD-Politiker, nahm im September 1987 am Friedensmarsch teil. Er schildert, wie auf einer schmalen Straße Panzer entgegenkamen. Die Panzer näherten sich immer mehr, die Demonstranten zogen dennoch weiter - und dann, im letzten Augenblick, drehten die Panzer ab und fuhren seitlich in die Felder. "Das war für uns wie ein Sieg", erzählt Höppner, "Friedenskämpfer haben Vorfahrt vor Panzern. Wo erlebt man das schon? Es waren auch Kinder beim Friedensmarsch dabei. Die klebten Friedenstauben auf die Kanonenrohre und die Panzerfahrer guckten raus und lächelten zu dem Ganzen."

Die BRD als Retterin vor dem Staatsbankrott

Dass die DDR ihre Abgrenzung damals ein wenig lockerte, habe schlichtweg ökonomische Gründe gehabt, erklärt Höppner, denn die DDR war pleite. Es war klar, dass man Geld aus dem Westen brauchte. "Die Bundesrepublik hilft aber nur, wenn man menschliche Erleichterungen dafür eintauschen würde. Das heißt, größere Reisefreiheit und weniger Abgrenzung war nahezu unvermeidlich", sagt Höppner. In den 1980er Jahren Zeit erhielt die DDR Milliardenkredite aus der Bundesrepublik und wurde wirtschaftlich völlig von Bonn abhängig. Die Bundesrepublik als Geldgeberin der DDR, so wurde es in den ostdeutschen Medien natürlich nicht dargestellt - in der Bevölkerung, die ja allabendlich die Nachrichten im Westfernsehen verfolgte, aber durchaus wahrgenommen.

Die Sehnsucht nach dem Westen

Unter den DDR-Bürgern und -Bürgerinnen wächst die Sehnsucht nach dem goldenen Westen. Diese Sehnsucht, sei die gefährlichste Gegenkraft für das SED-Regime gewesen, stärker als jede Opposition, ist der Historiker Ilko Sascha Kowalczuk überzeugt. Immer mehr Menschen stellten Ausreiseanträge, flüchteten oder kehrten von Reisen nicht mehr zurück. Dass darunter viele gut Ausgebildete waren, Ärzte zum Beispiel oder Techniker, war für die DDR besonders schmerzlich.

Seit Mitte der 1980er Jahre entstand im Ausland eine neue Hoffnung für die Opposition und eine neue Gefahr für die kommunistische Führung der DDR, die allerdings nicht aus dem Westen, sondern aus dem Osten kam: die Reformpolitik des neuen sowjetischen Parteichefs Gorbatschow.

Wahlfälschung fliegt auf

Im Mai 1989 gelang der Opposition bei der Kommunalwahl ein unerwarteter Erfolg - natürlich nicht bei den Stimmen, denn zugelassen waren ja nur die kommunistischen Kandidaten. Aber sie konnte erstmals nachweisen, dass die Wahl gefälscht worden war. "Die Wahlen mussten öffentlich ausgezählt werden, das stand im Wahlgesetz", erzählt Reinhard Höppner. Leute aus oppositionellen Gruppen verteilten sich daraufhin auf mehrere Wahllokale und begannen, die "Nein"-Stimmen zu zählen. Und sie zählten schon allein in diesen wenigen Lokalen deutlich mehr, als am nächsten Tag in der Zeitung als Gesamtergebnis stand. "Das war natürlich eine mächtige Blamage" sagt Höppner. Die Wahlfälschung wurde in der ganzen DDR durch das Westfernsehen rasch bekannt und schwächte die Position der SED weiter.

Friedensgebete und Demonstrationen

Im Lauf des Jahres kam es in den größeren DDR-Städten zunehmend zu regimekritischen Kundgebungen. In Leipzig war die Nikolaikirche zum Zentrum der Opposition geworden. Dort fand jeden Montag mit immer größerem Zulauf das Friedensgebet statt. Gegen die Demonstranten vor der Kirche wurde brutal vorgegangen. Anfang Oktober spitzte sich die Lage zu. Am 7. Oktober, einem Samstag, feierte die DDR ihr 40-jähriges Bestehen mit pompösen Veranstaltungen und einem großen Defilee in Berlin. Für Montag, den 9. Oktober, war in der Nikolaikirche das nächste Friedensgebet mit der erwarteten anschließenden Demonstration geplant.

Schon in der Früh herrschte in Leipzig Hochspannung. Spezialeinheiten der Armee zogen zusammen, in den Spitälern wurden Betten freigemacht und Blutkonserven bereitgestellt. Alles deutete darauf hin, dass die Staatsmacht nun mit militärischer Gewalt gegen die Oppositionellen vorgehen würde. "Die Leute wurden davor gewarnt, in die Innenstadt zu gehen", erzählt Christian Führer, der damalige Pfarrer der Nikolaikirche, "und dann passierte das Wunderbare: Die Leute kamen in solchen Scharen, wie nie zuvor."

Kein Einsatzbefehl

Insgesamt kamen an diesem 9. Oktober 70.000 Menschen in die Leipziger Innenstadt. Sie zogen im Anschluss an die Gebete in mehreren Kirchen friedlich durch das Zentrum - und die Spezialeinheiten griffen nicht ein. Wieso, das ist bis heute nicht restlos geklärt. Die Polizei war jedenfalls von der Masse der Demonstranten und Demonstrantinnen überrascht und Egon Krenz, damals im Zentralkomitee für Sicherheitsfragen zuständig, gab offenbar keinen Einsatzbefehl.

Danach überstürzten sich die Ereignisse. Staats- und Parteichef Erich Honecker wird abgesetzt und von Krenz abgelöst. Am 9. November 1989, genau einen Monat nach der Leipziger Demonstration, kommt es zu dem Ereignis, das damals kaum jemand für möglich gehalten hätte: Günter Schabowski, der Berliner SED-Chef und quasi Sprecher der DDR-Führung, gibt in einer Pressekonferenz am Schluss und en passent die Grenzöffnung bekannt. Der Zug der Geschichte lief nun unaufhaltsam in Richtung deutscher Einheit.

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Journal Panorama, Montag, 6. April 2009, 18:25 Uhr

Buch-Tipps
Ilko Sascha Kowalczuk, "Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR", Beck Verlag

Reinhold Höppner, "Wunder muss man ausprobieren. Der Weg zur deutschen Einheit", Aufbau Verlag

Jutta Voigt, "Westbesuch. Vom Leben in den Zeiten der Sehnsucht", Aufbau Verlag

Übersicht

  • Wendejahr 1989