Ironischer Blick auf die Liebe
Die russische Affäre
Mit großem Können zeichnet Michael Wallner in seinem neuen Roman die Atmosphäre im Moskau der 1970er Jahre nach - eine Atmosphäre, in der sich vieles unter der Oberfläche abspielt und in der man ständig auf der Hut vor Spitzeln und Verrätern sein muss.
8. April 2017, 21:58
Michael Wallner erzählt in seinem neuen Roman "Die russische Affäre" eine Geschichte aus der Sowjetunion: Man schreibt das Jahr 1978. Die 29-jährige Anna arbeitet in einem Baukombinat und lebt mit ihrem Sohn Petja und ihrem Vater, einem einstmals berühmten Sowjetlyriker, in einer Ein-Zimmer-Wohnung in Moskau. Ihr Mann Leonid wurde nach Sachalin versetzt und kommt nur selten zu Besuch.
Anna führt noch ein zweites, ein geheimes Leben: Sie hat eine heimliche Affäre mit Alexej Bulyagkow, dem stellvertretenden Forschungsminister, und jede Woche bringt Anton, der Chauffeur, Anna im Schutz der Dunkelheit in eine kleine Wohnung, wo Alexej auf sie wartet.
Sich mit Gegebenheiten arrangieren
Mit großer Kunstfertigkeit gelingt es Michael Wallner, die Atmosphäre im Moskau der 1970er Jahre nachzuzeichnen - eine Atmosphäre, in der sich vieles unter der Oberfläche abspielt und in der man ständig auf der Hut vor Spitzeln und Verrätern sein muss. Dem gegenüber stellt Wallner das Leben, das Anna mit ihrem Sohn und ihrem Vater führt und in dem es vor allem darum geht, den Tagesablauf auf kleinstem Raum zu organisieren:
"Das Interessante für mich daran ist einfach, wie der Mensch sich mit den schwierigsten Gegebenheiten immer wieder arrangiert", sagt Michael Wallner, "einfach weil man ja nicht im großen Blick auf die Sowjetunion oder auf den Kommunismus lebt, sondern von Tag zu Tag, und von Partner zu Partner und von Notwendigkeit zu Notwendigkeit."
Eine Frau in der Zwickmühle
Dann aber bricht die Politik in Annas Leben ein: Oberst Kamarowski von der Staatssicherheit erpresst sie, damit sie Alexej bespitzelt - und sie willigt ein, da sie glaubt, dies sei letztlich nur zum Besten ihres Geliebten.
Er habe eine Frau in der Zwickmühle zeigen wollen, sagt Michael Wallner, "dass da einerseits ein Gefühl für jemanden ist, zum anderen aber, weil das eine prominente Persönlichkeit ist, dieses Gefühl ausgenützt werden kann. Und dass aufgrund einer eigentlich kalkuliert eingesetzten Beziehung wiederum eine Ehe zerbricht. Also in diese Art von Zwiespalt wollte ich die Hauptfigur bringen - unter anderem auch um den Ehemann dann eben in Regionen der Sowjetunion kommen zu lassen, die weitgehend unbekannt sind."
Dem Herzen folgen
Dieser Ehemann Leonid erlebt unterdessen seine eigene Geschichte: Auf der Halbinsel Sachalin lernt er die Ärztin Galina kennen und verliebt sich in sie - und was als Affäre beginnt, wird rasch zu einer ernsthaften Beziehung.
"Das ist im Grunde ein bisschen ein ironischer Blick auf die Liebe", meint Wallner, "weil beide Protagonisten in der Affäre ihre wirkliche Beziehung finden. Im Rückblick hat diese Ehe nicht mehr sehr viele Chancen gehabt, und indem die eine Figur quasi ins Exil geht und die andere Figur irgendwo, wie wir sagen würden, am A... der Welt sich eine neue Existenz aufbaut mit amputiertem Daumen, das zeigt, dass man oft wirklich seinem Herzen folgen kann und dann, à la longue, wird es auch funktionieren."
Mit scharfer Beobachtungsgabe
Wieder einmal stellt Michael Wallner in "Die russische Affäre" sein besonderes Talent unter Beweis: seine Fähigkeit, eine Geschichte zu erzählen, schnörkellos und ohne große Kunstgriffe, dafür stilsicher und mit scharfer Beobachtungsgabe. Fast scheint sein Roman eher in der angelsächsischen Erzähltradition zu stehen, aber in Schubladen lässt Wallner sich ohnehin nur ungern stecken: "Wenn ein Thema genügend Kraft entwickelt, um mich über längere Zeit zu beschäftigen, dann ist die Voraussetzung, dass ich mich dem Thema stelle, eine gute Geschichte."
Und so ist "Die russische Affäre" ein durch und durch erfreuliches Lesevergnügen, ein Roman, der den Leser mitzieht und fesselt und den man am liebsten gar nicht wieder aus der Hand legen mag.
Hinter Michael Wallners Freude am Erzählen, hinter den beiden anrührenden Liebesgeschichten des Buches, steckt aber noch eine andere, tiefere Ebene, denn Wallner wollte auch eine Zeit wieder aufleben lassen, die eigentlich noch nicht lang zurückliegt, aber heute vielfach schon wie eine ferne Vergangenheit betrachtet wird: "Wie bedauerlich es ist, dass Dinge, die erst vor knapp 30 Jahren passiert sind, heute schon so als Geschichte angesehen werden."
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Michael Wallner, "Die russische Affäre", Luchterhand Verlag