Seelische Konflikte

Händel und die Psychoanalyse

Was hat Händel mit Zwangsneurosen zu tun? Vier Figuren aus seinen Opern auf der Couch des Psychoanalytikers August Ruhs: Alcina (aus der Oper "Alcina"), Armida (aus der Oper "Rinaldo"), Guido (aus der Oper "Flavio"), Nero (aus der Oper "Agrippina").

Typisch für die Figuren aus Händels Opern ist ihr Hin- und Hergerissensein zwischen Liebe und Hass, oder Wut und Trauer - gegensätzlichen Affekten, die gleich stark in ihnen "toben" und sie zu zerreißen drohen. Liebe und Hass gehören für uns Menschen schon deshalb ursprünglich zusammen so der Psychoanalytiker August Ruhs, weil für den Säugling die Mutter "die Macht der Bedürfnisbefriedigung hat" und als solche ein "ambivalent besetztes Objekt ist", Objekt des Hasses und zugleich der Liebe.

Die Arien Händels zeigen diese Ambivalenz auf drastische Weise: Immer wieder kippt die Sängerin oder der Sänger in ein und derselben Arie von melancholischer Liebe in unbändige Wut und wieder zurück.

Repräsentanten eines ganz allgemeinen Schicksals

Die vier Klienten auf der Couch des Psychoanalytikers sind nicht krank, betont August Ruhs. Man sollte sich davor hüten, Figuren (auf der Theaterbühne oder aus der Literatur) zu pathologisieren. Dennoch sind es Leidenszustände, die diese Figuren quälen, Konflikte, seelische Konflikte, aus denen sie nicht oder nur sehr schwer heraus finden.

Die Analysanden möchte der Psychoanalytiker Ruhs als Repräsentanten eines " ganz allgemeinen menschlichen Schicksals" verstanden wissen. Diese Schicksale sind im Falle von Händels Opern (genauer gesagt: der Libretti dieser Opern, die oftmals auf alten Ritterromanen basieren, wie Torquato Tassos "Gerusaleme liberata" oder Ludovico Ariosts "Orlando furioso") häufig wirkliche seelische Verhängnisse, Wiederholungszwänge basierend auf psychische Mustern.

Unbewusste Kastrationsangst

Da ist etwa Guido aus der Oper "Flavio", der seinem Vater (der beleidigt wurde) und der Familienehre zuliebe ein Duell mit dem Vater seiner Braut bestreiten muss. In einer Arie beklagt er sein Schicksal, seine Zerrissenheit zwischen der Liebe zu seinem eigenen Vater und zu seiner Braut, deren Vater er nun töten muss. Er muss in dieses Duell gehen und verzweifelt gleichzeitig darüber, wie er ohne seine geliebte Gemahlin, die ihm den Verlust ihres Vaters nicht verzeihen wird, dann weiterleben soll.

Flavio ist unfähig, sich zu entscheiden: zwischen der Liebe zu seinem Vater und der zu seiner Frau. Es ist die Geschichte des Mannes, der auf nichts verzichten will und kann; oder, wie es der Psychoanalytiker ausdrückt: das Dilemma des Zwangsneurotikers, sich nicht entscheiden zu können, keinen Verlust hinnehmen zu können, das heißt, so August Ruhs, hier haben wir es zu tun mit "einer unbewussten Kastrationsangst: etwas zu verlieren."

Das Phantasma vom vollkommenen Mann

Noch drastischer liegen die Verhältnisse bei der Zauberin Alcina, die Männer auf ihre Insel lockt und sie dort in Felsen und wilde Tiere verwandelt.

Sie verkörpert, so erklärt August Ruhs, eine Frau, die dem Phantasma folgt, das es den "einen Mann" gibt, der vollkommen ist. Sie folgt damit der patriarchalen Logik, nach der der Mann einen vollkommenen Körper hat und der Frau immer etwas fehlt. Diese Behauptung, die unbewusst im Raum steht, macht sie wütend. Sie rächt sich an den Männern, in dem sie sie verführt, um sie dann fallen zu lassen beziehungsweise in etwas Lebloses (Felsen) zu verwandeln.

Versteinerung als Bild für Depression
Nun verliebt sich Alcina aber selbst in eines ihrer Opfer und alle ihre Zauberkräfte versagen. Völlig gebrochen und ohnmächtig vor Wut wünscht sie sich nun selbst in etwas Lebloses (einen Stein) verwandelt zu werden. Zunächst fühlt sie Wut, dann aber eine Trauer, die zu stark wird und in eine Melancholie übergeht, so Ruhs, sie versteinert, sie wird depressiv.

Wie ist dieser Frau zu helfen? "Man müsste den Grundkonflikt lösen, das heißt ihre unbewussten Fantasien über sich als Frau und über die anderen als Männer, die müsste sie einer Korrektur unterziehen und erkennen: Es gibt nicht den Einen, der vollkommen wäre.

Hör-Tipps
Aus dem Konzertsaal, Brockes-Passion, Freitag, 10. April 2009, 19:30 Uhr

Apropos Klassik, Samstag, 11. April 2009, 15:06 Uhr

Georg Friedrich Händel: "Tamerlano", Samstag, 11. April 2009. 19:30 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Aus dem Konzertsaal, "La Resurrezione", Sonntag, 12. April 2009, 19:30 Uhr

Hörbücher, Montag, 13. April 2009, 18:15 Uhr

"It was with the greatest pleasure...", Ein Abend mit Georg Friedrich Händel, Montag, 13. April 2009, 19:30 Uhr

Georg Friedrich Händel, "Messiah", Dienstag, 14. April 2009, 20:00 Uhr

Zeit-Ton, "Handle with Care", Dienstag, 14. April 2009, 23:03 Uhr

Ausgewählt, Mittwoch, 15. April 2009, 10:05 Uhr

Konzert am Vormittag, Donnerstag, 16. April 2009, 10:05 Uhr

Apropos Klassik, Samstag, 18. April 2009, 15:06 Uhr

Musikgalerie, "Beechams Händel", Montag, 20. April 2009, 10:05 Uhr

CD-Tipp
"Georg Friderich Händels Lebensbeschreibung", vorgelesen von Bernhard Drobig, erhältlich im ORF Shop