... und das liebe ich
Ich bin voller Hass...
Am 20. April 1999 töteten die beiden Schüler der Columbine Highschool Eric Harris und Dylan Klebold zwölf Mitschüler, einen Lehrer und schließlich sich selbst. Aus den Ermittlungsakten hat Joachim Gaertner einen dokumentarischen Roman verfasst.
8. April 2017, 21:58
"Ich hoffe, unsere Videos werden eines Tages überall auf der Welt gezeigt", sagt Eric. "Wenn unser Meisterwerk vollbracht ist, und jeder wissen will, warum wir es getan haben", ergänzt Dylan. "Sie werden einen Film aus unserer Geschichte machen", glaubt Eric. "Ich weiß, wir werden viele Nachahmer haben, weil wir so verdammt gottähnlich sind", meint Dylan. "Wir haben menschliche Körper, aber wir haben uns eine Stufe höher entwickelt als ihr verfickte menschliche Scheiße." "Wer soll den Film über uns machen", fragt Eric. "Steven Spielberg oder Quentin Tarantino?"
Dieses Gespräch haben Dylan Klebold und Eric Harris, Absolventen der Columbine Highschool in Littleton, Colorado, mit der Videokamera festgehalten - und "Basement Tape" genannt. Es wird später das Beweisstück Nr. 265 in einer an Beweisstücken reichen Ermittlung, bei der es weniger um das "wer", als um das "warum" ging, denn wer die 13 Schüler und Lehrer der Columbine School im April vor zehn Jahren abgeknallt und mehr als 20 weitere verletzt hatte, war klar. Warum aber Eric Harris und Dylan Klebold dieses Blutbad anrichteten, das schrie nach Erklärung.
Eine Art Popstar
"Sie kannten sich gut aus in der Welt der Popkultur und haben auch ihre Fantasiewelt aus Hass, Gewalt, Rachefantasien aufgebaut, aus Bruchstücken der Popkultur, aus Filmen, Videospielen, Computerspielen, aus der Literatur", sagt Joachim Gaertner. "Diese Aussicht, eine Art Popstar zu werden mit einer möglichst aufsehenerregenden, möglichst spektakulären Tat, die die Welt wahrnehmen muss, diese Aussicht hatte für sie etwas Faszinierendes und hat offensichtlich auch für Nachahmungstäter etwas Faszinierendes."
Joachim Gaertner hat das Beweisstück Nr. 265, Harris' und Klebolds erstes "Basement Tape", abgedruckt in seinem Buch über das Columbine Massaker 1999. Aus unzähligen Ermittlungsakten - Tagebuchaufzeichnungen, Schulaufsätzen, Videotranskriptionen, Interneteinträgen, Interview- und Vernehmungsprotokollen, Liebesbriefen und Einkaufsbelegen - hat Gaertner eine knapp 200-seitige O-Ton-Sammlung gefiltert, einen, so ihr Untertitel, "dokumentarischen Roman".
Rache- und Machtfantasien
Die Vorstellungs- und Gedankenwelt von Eric Harris und Dylan Klebold war geprägt von Rache- und Machtfantasien. Schon mit 14 verglich sich Eric mit dem Gott Zeus. "Zeus und ich werden leicht zornig und bestrafen Menschen auf außergewöhnliche Weise", schreibt er. Er mixt Sozialdarwinismus mit Nazismus, Verbalerotik mit Gossensprache, schwadroniert von "natürlicher Selektion" und den "Natural Born Killers", fantasiert von "Napalm in den Fenstern der Wolkenkratzer" oder davon, "ein paar schwache Erstklässler" zu packen und auseinanderzureißen "wie ein verdammter Wolf".
"Waffen in Schulen sind ein wachsendes gesellschaftliches Problem", verlautbart er in einem Schulaufsatz. "Metalldetektoren und mehr Polizeibeamte wären ein guter Anfang für den Kampf gegen Waffen in Schulen", schreibt er in seiner mit 69 von 75 möglichen Punkten ausgezeichneten Arbeit. Eric liebt Techno, Waffen, Filme und Computerspiele und hasst Homosexuelle, Rapper und alles Modische, die "mitläufer, hohlköpfe, loser, idioten".
Die hasst auch Dylan, doch er hasst auch sich selbst. "Meine Existenz ist scheiße" notiert er mit 15, ein Introvertierter, Unglücklicher, sich nach Liebe Sehnender. "Ich will sterben. So sehr. So traurig, verzweifelt, unrettbar einsam fühle ich mich..."
"Ich bin das Gesetz", sagt Eric. "Ich bin Gott", sagt Dylan. "Die Zombies werden bezahlen für ihre Arroganz, Hass, Angst, Verrat & Misstrauen. Wir werden frei sein."
Gute Schüler aus dem Mittelstand
"Ich glaube, was viele dieser Täter gemeinsam haben, ist, dass sie die Welt als etwas Feindliches erleben", meint Gaertner. "Sie fühlen sich ausgeschlossen von allem, und sie haben ein großes Bedürfnis nach Rache. (...) Was für Probleme sie haben, dass sie mit der Welt nicht zurechtkommen - das jemandem ins Gesicht zu sagen, das schafft keiner dieser Täter offensichtlich."
Wie viele andere Amokläufer, so werden auch Eric Harris und Dylan Klebold als gute, eher unauffällige Schüler beschrieben. Dylans Vater war Geophysiker, die Mutter arbeitete mit Behinderten. Erics Vater war früher Air-Force-Pilot und musste mit der Familie oft umziehen, worunter der Junge offenbar litt. Eric und Dylan fühlten sich an der Columbine Highschool von einer Gruppe von Sportlertypen, den sogenannten "Jocks", schikaniert. Sie versuchten sich zu wehren - und schlossen sich der "Trenchcoat-Mafia" an, ihr Markenzeichen: schwarze lange Mäntel. Aus Schulfrust wurde Zerstörungslust, sie wuchs sich aus zu irren Rache- und Vernichtungsfantasien.
"Sie waren sicher sehr unterschiedlich. Vermutlich gerade deswegen waren sie ein sehr gut funktionierendes Paar", so Gaertner. "Eric wird beschrieben als der klassische Psychopath, als jemand, der sich nicht in andere Menschen und ihre Gefühle hineinversetzen kann, kein Mitleid empfindet mit anderen. Während Dylan eher der depressiv-selbstmordgefährdete Jugendliche war."
Bruchstückhafte Innenansichten
Was macht Menschen zu Amokläufern, Schüler, die als nett und intelligent geschildert werden, zu Killermaschinen? Hätte man sie stoppen können? Hätte man die Tragödien kommen sehen müssen? Joachim Gaertners Buch lässt es offen. Seine - geschickt arrangierte - Textsammlung liefert keine schlüssigen Psychogramme, sondern bruchstückhafte Innenansichten zweier Jugendlicher, deren Welt in vielem nicht anders ist als die anderer - Tarantino-Filme und Rammstein-Musik, Autos und Alkohol - und die doch völlig aus den Fugen gerät, weil ein von Minderwertigkeitskomplexen geplagtes Selbstwertgefühl sich in übersteigerte Rollenbilder, Überlegenheits- und Gewaltvorstellungen flüchtete - und schließlich in das Verlangen nach dem ultimativen Kick, der in der Fantasiewelt nicht zu haben war...
Das Columbine-Attentat jedenfalls war ein Attentat mit Initialwirkung, seither stieg die Zahl der Amokläufe, verübt von frustrierten Kleinstadtschülern aus gut situierten Mittelstandsfamilien, rapide an.
Ein Zwei-Mann-Krieg gegen alle anderen
Das von Eric Harris und Dylan Klebold ersehnte Massaker ("die letzte Schlacht", wie es von ihnen auch genannt wurde) wurde monatelang geplant. "Unsere Aktion ist ein Zwei-Mann-Krieg gegen alle anderen", verkünden die beiden auf einem Video, auf dem sie sich auch bei ihren Eltern entschuldigen: "Es tut mir leid. Das wird sie zerreißen. Sie werden nie darüber hinwegkommen", sagt Eric. Und: "Es gibt nichts, was ihr hättet tun können, um das zu verhindern."
"Ich glaube, es waren weniger Erkenntnisse, es war eher die Komplexität dieser Persönlichkeiten, die ich da kennengelernt habe", so Gaertner. "Was sind das für Leute, die zum Teil ähnliche Fantasien haben wie ich oder viele andere Menschen auch, die dann aber auf einen Weg kommen, den man nicht mehr nachvollziehen kann? Es war zum Teil Erschrecken darüber, was da stand."
Die Columbine-Tragödie markierte eine neue Dimension der Gewalt - und wohl auch des Medienhypes. Eine Fülle von Berichten, Reportagen, Gerüchten und Legenden kam in Umlauf, Romane kamen heraus, Musik, Filme und nicht zuletzt auch ein Computer-Spiel, das "Super Columbine Massacre". "Die Medien und wir, die Polizei, haben Eric Harris und Dylan Klebold so berühmt gemacht", sagte der Sheriff von Jefferson County, Ted Mink, in einem Interview mit Joachim Gaertner. "Wir haben sie zu Stars gemacht. Und das war es, was sie immer wollten."