Begründer der "Reinen Rechtslehre"
Hans Kelsen
Hans Kelsen gilt als Vater unserer Bundesverfassung und seine Theorie der "Reinen Rechtslehre" sorgt nach wie vor für Diskussionen. Das Leben und Werk dieses bedeutenden Rechtswissenschaftlers ist untrennbar mit Österreichs Geschichte verbunden.
8. April 2017, 21:58
Hans Kelsen ist als Rechtstheoretiker und Verfasser vielbeachteter Beiträge zum Staats-, Verfassungs- und Völkerrecht international bekannt geworden. Gebürtig aus Prag, begann seine wissenschaftliche Karriere in Wien, wo er aufgewachsen war und studiert hatte. Hier erlebte er einige der einschneidendsten politischen und gesellschaftlichen Umbrüche, die ihn und seine Arbeit stark beeinflussen sollten.
Besonders prägend für Kelsens staatstheoretische Überlegungen war die Habsburgermonarchie. Dieses Konglomerat aus Völkern verschiedenster Herkunft, Sprache, Religion und Geschichte führte für ihn alle herkömmlichen Ideologien, die für die Existenz eines Staates ins Treffen geführt wurden, insbesondere den Nationalismus, ad absurdum. Für ihn war ein Staat lediglich eine Rechtsgemeinschaft, jede mythologisierende Überhöhung des Begriffes lehnte er dezidiert ab.
Die "Reinheit" der Rechtslehre
Auf Basis dieser Überlegungen entwickelte Kelsen seine Theorie der "Reinen Rechtslehre", die er nicht nur am Öffentlichen und am Strafrecht, sondern auch am Privatrecht durchexerzierte. Er forderte, dass das Recht von allen nichtjuristischen Elementen wie Psychologie, Ethik, Moral oder Politik befreit werden sollte - eine Position, die dem zeitgenössischen Verständnis gänzlich zuwider lief und, neben begeisterter Zustimmung, massive Kritik hervorrief.
Ideologiekritiker und Demokrat
Kelsen sorgte aber nicht nur mit seinen rechtstheoretischen Arbeiten für Aufsehen, sondern auch mit seiner Ideologiekritik, unter anderem am Marxismus, den er als "gefährliche Utopie" beschrieb; und - vor allem - mit seinen fundamentalen Überlegungen zur Demokratie.
Kelsen war ein Verfechter der repräsentativen Demokratie und damit auch des Parteiensystems und des Parlamentarismus. Nicht zuletzt deshalb bat ihn der sozialdemokratische Staatskanzler der Ersten Republik, Karl Renner, an der Ausarbeitung einer Bundesverfassung mitzuwirken, die 1920 in Kraft trat. In ihrer Klarheit ist sie von Kelsens Reiner Rechtslehre geprägt, in ihren Grundzügen gültig ist sie bis heute.
1919 wurde der Universitätsprofessor Kelsen Mitglied des Verfassungsgerichtshofes (VfGH). Als Verfassungsrichter wurde er unter anderem wegen seiner liberalen Haltung zur Ehescheidung von konservativer Seite heftig kritisiert, die ihm immer wieder seine Nähe zur Sozialdemokratie vorwarf. 1930, als der Verfassungsgerichtshof zum Zweck einer so genannten "Entpolitisierung" umgestaltet wurde, verlor auch Kelsen sein Amt. Eine Neuwahl in den VfGH, die ihm die Sozialdemokraten in Aussicht gestellt hatten, lehnte ab, weil er nicht für eine Partei kandidieren wollte.
Odyssee ins Ungewisse
Kelsen verließ Österreich Richtung Deutschland, wo er eine Professur an der Universität Köln annahm. 1933 holen ihn die politischen Ereignisse erneut ein: Hitler ergreift die Macht, Kelsen verliert wegen seiner jüdischen Herkunft seine Arbeit und muss fliehen - zunächst nach Genf und Prag, dann weiter in die USA, wo er 1942, über sechzig Jahr alt, neu beginnen muss.
Kelsen wurde schließlich Professor an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Seine alte Heimat Österreich besuchte er nach dem Zweiten Weltkrieg nur mehr für kurze Aufenthalte. 1973, im Alter von 92 Jahren, starb er in Orinda, nahe Berkeley.
In Österreich und in Deutschland ist Kelsens Werk in seinem gesamten Umfang erst in den vergangenen Jahren wiederentdeckt worden, an einer Gesamtausgabe seiner Schriften wird gearbeitet.
Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 27. April 2009, 19:05 Uhr
Links
Hans Kelsen-Institut
aeiou - Hans Kelsen
Universität Wien - Biografischer Versuch über Hans Kelsen
Universität Wien - Internationale Tagung zum Leben und Wirken von Hans Kelsen