Erzählungen von Eugenie Kain
Schneckenkönig
Es sind stille, unspektakuläre Geschichten, die Eugenie Kain in ihrem Erzählband präsentiert, Geschichten, die fast alle in Linz spielen. Kain richtet ihr Augenmerk jedoch auf die Peripherie der europäischen Kulturhauptstadt 2009 und ihre Bewohner.
8. April 2017, 21:58
Man kann mancherlei lernen bei der Lektüre von Eugenie Kains neuem Erzählband. Nicht allzu viele Literaturfreunde werden zum Beispiel wissen, was ein "Schneckenkönig" ist. "Das ist eine sehr, sehr seltene Art der Entwicklung", erklärt Eugenie Kain. "Normalerweise winden sich die Schneckenhäuser der Weinbergschnecken nach rechts. Ganz, ganz selten winden sie sich nach links. Und diese Schnecken werden dann Schneckenkönig genannt."
Mit dem Spottnamen "Schneckenkönig" wird einer von Kains Protagonisten bedacht, ein rothaariger Bub aus dem Linzer Arbeitermilieu, ein Kuckuckskind, wie es heißt, einer, dessen Vater, so wird in der Nachbarschaft gemunkelt, der rotschädelige Lokführer von nebenan sein soll.
Ein besonderer Mensch
Der Bub, ein ruhiges, hochbegabtes Kind, wird vom Vater, aber auch von Verwandten und Mitschülern systematisch malträtiert. In der Pubertät beginnt er sich für Schnecken zu interessieren, ein exotisches Hobby, was ihm den alles andere als liebevoll gemeinten Spitznamen "Schneckenkönig" einbringt.
"Das ist ein Solitär", so Eugenie Kain. "Ihm geht es so wie bestimmten seltenen Schnecken: Man steigt drauf, es knirscht ein bisserl, und der Schneck ist tot. Diese Parallele wollte ich schon setzen: dass auch dieser Bub, der Schneckenkönig, nicht wahrgenommen wird in seiner Besonderheit." "Schneckenkönig", die Titelgeschichte, ist einer der stärksten Texte in Eugenie Kains Erzählband.
Leben an der Peripherie
Es sind stille, unspektakuläre Geschichten, die die 49-jährige Autorin ihren Lesern da präsentiert, Geschichten, die bis auf ein, zwei Ausnahmen samt und sonders in Linz spielen. Und das nicht ohne Grund, meint Eugenie Kain: "Ich bin in Linz geboren, war dann 15 Jahre in Wien, bin dann aus familiären Gründen wieder nach Linz zurückgegangen. Und da war das dann eine andere Stadt. Ich habe sie mir neu aneignen müssen. Da habe ich mir die Stadtränder neu angeschaut, und dadurch ist das ein Thema geworden."
Es ist nicht die vom Lentos-Museum und dem schicken Ars Electronica Center geprägte Schauseite der Stadt Linz, die Eugenie Kain interessiert. Sie richtet ihr Augenmerk auf die Peripherie der europäischen Kulturhauptstadt 2009, auf den Tankhafen, die Industriequartiere, die Schrebergartenviertel - und auf die Menschen, die in diesen Vierteln leben, Außenseiter und sozial Benachteiligte, die auch in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs sehen müssen, wo sie bleiben.
Den Dingen ihr Geheimnis lassen
Bei all dem ist Eugenie Kain eine diskrete Erzählerin, eine Erzählerin, die den Dingen ihr Geheimnis lässt. In "Das Leben ein Fest" stimmt die Erzählerin einen Nachruf auf den Kirschbaum ihrer Großmutter an, der einem Neubau weichen muss.
In "Just Another City" zeichnet Kain das Porträt einer krebskranken Frau, die sich ihrem Leiden mit Mut und verzweifeltem Lebenswillen entgegenstemmt. Immer wieder wird die Beziehungslosigkeit der Menschen zum Thema gemacht in Kains Texten.
"Ein Thema in den Erzählungen ist schon das Aneinander Vorbeigehen, das Aneinander-Vorbeireden, das Aneinander-Vorbeileben", meint Kain. "Das interessiert mich schon - dem nachzugehen."
Von den Musen geküsst
Neun Geschichten umfasst Kains Erzählband, nicht alle sind der Autorin gleich gut geraten. Zu den wirklich überzeugenden Geschichten gehört die Erzählung "Können Musen fliegen". Kain schreibt über die leidenschaftliche Liebe zwischen der nicht mehr ganz jungen Freundin eines Tankstellenpächters im Linzer Tankhafen und einem rumänischen Schleppermatrosen. Die Pointe des Texts: Immer wieder mischen sich - auf einer selbstreflexiven Ebene - die Musen der Erzählerin ein, kritisieren dieses und jenes, stellen die Autorin zur Rede, machen Verbesserungsvorschläge. Das ist charmant gemacht - und durchaus selbst erlebt, erklärt Eugenie Kain:
"Na ja, die Musen sekkieren mich manchmal schon sehr. Auf der einen Seite feuern sie mich an, einen sehr hohen Anspruch zu haben, das führt dann dazu, dass ich mich bisweilen verzettle. Auf der anderen Seite küssen sie mich manchmal schon sehr heftig, was zur Folge hat, dass ich keine Luft mehr habe, dass ich mich dann erst wieder erfangen muss."
Diesmal könnte es durchaus dauern, bis sich Eugenie Kain wieder erfängt: Zumindest bei vier, fünf ihrer Erzählungen scheinen sie die Musen kräftig abgebusselt zu haben.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 3. Mai 2009, 18:15 Uhr
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Buch-Tipp
Eugenie Kain, "Schneckenkönig. Erzählungen", Verlag Otto Müller
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Otto Müller Verlag