Das blutige Ende der chinesischen Demokratiebewegung

Tiananmen 1989

Es begann alles wie ein friedliches Volksfest, als im Mai 1989 in Peking die Studenten auf die Straße gingen. Wenige Wochen später setzten die Regierungspanzer der aufkeimenden Demokratiebewegung ein Ende. ORF-Redakteur Helmut Opletal war damals mit dabei.

Eigentlich kam alles ganz anders als geplant. Im April 1989 hatte mir die chinesische Botschaft in Wien ein Journalistenvisum ausgestellt, um aus Peking über den historischen Besuch des sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow zu berichten, mit dem der langjährige ideologische Streit zwischen den kommunistischen Großmächten beendet werden sollte. Als journalistischen Höhepunkt, so hatte mir der sowjetische Presseattaché in Aussicht gestellt, sollte ich auch als einer der ersten westlichen Journalisten die Grenzstädte Aihui und Blagoweschtschensk am Ussuri-Fluss besuchen, wo sich inzwischen ein reger Handels- und Freundschaftsverkehr entwickelt hatte.

Doch, wie gesagt, das war nur der Plan. Als Ende April, nach dem Tod des reformorientierten KP-Generalsekretärs Hu Yaobang, am Rande der Trauerfeiern immer mehr Studenten für Bürgerrechte und Demokratie demonstrierten, wurde in unserer Redaktion beschlossen, dass ich schon ein paar Tage früher nach Peking fliegen sollte. Am 1. Mai kam ich an, und in den Tagen danach erlebte ich eine Studentenbewegung, wie ich sie aus meiner eigenen Zeit an Pekinger Hochschulen nie zu denken gewagt hätte.

Studentenrevolte statt Revolutionsmusik

Studentenführer hatten sich an der altehrwürdigen Beida (Peking-Universität) des Lautsprechersystems bemächtigt, das ursprünglich dazu gedient hatte, von früh bis spät Revolutionsmusik und Parteipropaganda auf dem Campus zu verbreiten. Nun wurden unglaubliche Dinge wie Pressefreiheit und ein Ende des kommunistischen Ein-Parteien-Staates gefordert. Täglich gab es Kundgebungen, Studenten und Professoren diskutierten bis in die Nacht hinein voller Leidenschaft über Marktwirtschaft, Mao und die Welt.

Für den 4. Mai, den traditionellen Gedenktag der chinesischen Studentenrevolte von 1919, wurde ein Sternmarsch der Hochschüler und Hochschülerinnen zum Tiananmen-Platz angekündigt. Es war der erste heiße Frühsommertag. Zehntausende machten sich im Universitätsviertel im Nordwesten Pekings mit Plakaten und Transparenten auf den Weg ins 20 Kilometer entfernte Zentrum.

Volksfestcharakter zu Beginn

Noch glich alles eher einem Volksfest als einer politischen Rebellion, die die Staatsmacht in Frage stellte. Man sang Spottlieder auf die korrupte Funktionärskaste, aber auch die "Internationale", um die kommunistische Führung an ihre einstigen Ideale zu erinnern. Aus den Wohnblocks winkten die Menschen zu, viele formten mit den gespreizten Zeige- und Mittelfingern das Victory-Zeichen, das zum Symbol der Studentenproteste geworden war.

Die Polizei hatte offenbar Order, sich zurückzuhalten. Nur der Tiananmen-Platz wurde über Lautsprecher zur Sperrzone erklärt, doch vergeblich. Die Studenten nahmen den riesigen Platz vor dem Eingang zum alten Kaiserpalast (Tian‘anmen, das "Tor zum himmlischen Frieden") in ihren Besitz. Ich war mit meinem ORF-Mikrofon die ganze Strecke mitmarschiert, euphorisiert von dem Gefühl, dass hier Geschichte geschrieben wurde, noch nichts ahnend von der Tragödie, die folgen sollte.

500.000 demonstrieren gegen KP-Spitze

Als in der nächsten Woche zwar täglich kleinere oder größere Kundgebungen stattfanden, die Lage aber ruhig blieb, beschloss ich, wie ursprünglich geplant, für drei oder vier Tage nach Nordostchina zu fliegen, um meinen Bericht über die neue chinesisch-sowjetische Freundschaft an der Grenze aufzunehmen.

Doch im Taxi auf dem Weg zum Flughafen wurde rasch klar, dass der Volksaufstand auf einen neuen Höhepunkt zusteuerte: Zehntausende, und längst nicht nur mehr Studenten, waren mit Transparenten Richtung Stadtzentrum unterwegs, immer öfter sah man auch Parolen gegen die obersten KP-Führer. Trotz der aufwändigen Sondergenehmigungen, die ich für meine Reise erhalten hatte, beschloss ich umzudrehen.

Am Nachmittag demonstrierte dann eine halbe Million Menschen für Menschenrechte und Demokratie, selbst Abordnungen von Staatsmedien, KP-Organisationen und Polizeischülern hatten sich der Bewegung angeschlossen.

Blutbad am Platz des Himmlischen Friedens

Was folgte, ist bekannt: Die Studenten auf dem Tiananmen-Platz riefen einen unbefristeten Hungerstreik aus. Der sowjetische Ehrengast Michail Gorbatschow musste durch einen Hintereingang zum Staatsbankett in die Große Volkshalle geführt werden. Am 19. Mai verhängte die kommunistische Führung den Ausnahmezustand über Peking, Parteichef Zhao Ziyang, der Sympathien für die Studenten gezeigt hatte, wurde entmachtet.

Die ersten Militäreinheiten, die nach Peking beordert waren, konnten noch durch Barrikaden und Menschenketten gestoppt werden. Doch in der Nacht vom 3. zum 4. Juni schossen sich die Soldaten den Weg frei. Der Platz wurde geräumt, die riesige "Göttin der Demokratie" aus Gips und Polystyrol, die Studenten der Kunstakademie direkt gegenüber dem Mao-Porträt am Kaiserpalst aufgestellt hatten, wurde von Panzern niedergewalzt. Zwischen 400 und 3.000 Tote hat der Militäreinsatz nach verschiedenen Quellen gefordert, eine genaue Zahl gibt es jedoch bis heute nicht.

Trauer und Schweigemärsche in Wien

Ich selbst habe die blutige Niederschlagung nicht mehr miterlebt. Mein Visum war abgelaufen, ich kam Anfang Juni nach Wien zurück, interviewte über Telefon österreichische Studenten, die in Peking geblieben waren, war bei den Trauer- und Schweigemärschen in der Wiener Innenstadt und vor der chinesischen Botschaft dabei.

Aus vielen zum Teil noch unveröffentlichten Tonaufnahmen und Interviews dieser vier Wochen in Peking, entstand zehn Jahre später, zum Jahrestag, die Sendung "Tiananmen 1989 - Chinas gescheiterte Demokratisierung".

Hör-Tipp
Journal Panorama, Dienstag, 19. Mai 2009, 18:25 Uhr

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