Die Österreicher und ihr Landsmann
Unser Hitler
Dieses Buch des Historikers Günter Steinbach und des Ö1 Redakteurs Martin Haidinger untersucht die Frage, warum so viele Österreicher den Anschluss wollten. Und warum so viele - vor allem Jugendliche - Nationalsozialisten wurden.
8. April 2017, 21:58
"Unser Hitler" - der Titel des Buches provoziert. Klingt ein bisschen wie "unser Hans Moser", "unser Wolfgang Amadeus", "unser Hansee". Aber wie sehr ist der aus Braunau am Inn gebürtige Massenmörder tatsächlich "Unser Hitler"? Günther Steinbach, einer der beiden Autoren des Buchs, verweist darauf, dass Adolf Hitler, zumindest auf anekdotischer Ebene, tatsächlich ein typischer Österreicher gewesen ist.
"Er war höflich, hat den Damen die Hand geküsst, hatte Charme, wenn er wollte", sagt Günther Steinbach. "Außerdem war er ein schlampiger Österreicher, er hatte Schwierigkeiten, seinen Tag zu strukturieren, er hatte kein Gefühl für die Zeit. Und er hat in seiner Hassliebe für Österreich Dinge getan, die immer wieder auf seine österreichischen Wurzeln hinweisen."
"Es besteht kein Zweifel daran, dass Hitler das alte Österreich, den Kaiserstaat, abgrundtief gehasst hat", ergänzt Co-Autor Martin Haidinger. Das hat auch persönliche Gründe, er ist als Schüler in Linz und Steyr gescheitert, er hat, was sattsam bekannt ist, als Akademiestudent in Wien nicht reüssiert. Österreich hat ihn glatt abrutschen lassen, und da scheint es psychologisch durchaus nachvollziehbar, dass er sich an seiner alten Heimat irgendwie gerächt hat." Das ist die eine Seite.
Vor allem für Jugendliche attraktiv
Haidinger und Steinbach zeichnen in ihrem Buch aber auch detailliert nach, warum viele Österreicher den Österreich-Hasser Hitler so inbrünstig geliebt haben. Günther Steinbach skizziert in einem knapp 100-seitigen Essay, auf welche sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Kontinuitäten sich der Nationalsozialismus stützen konnte, von der Reichsidee des Mittelalters über die nationalistischen Konzeptionen der Romantik bis hin zu den antisemitischen Massenbewegungen katholischer und deutschnationaler Provenienz.
Martin Haidinger wiederum geht der Frage nach, warum der Nationalsozialismus der 1930er Jahre vor allem auf Jugendliche so überaus attraktiv gewirkt hat: "Die Nationalsozialisten haben in Österreich zu Beginn der 1930er Jahre eine frustrierte Masse vorgefunden. Und die war nun einmal sehr stark von jungen Menschen dominiert, die in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit keine Perspektive für sich gesehen haben. Dazu kamen die anderen politischen Ideen, die damals herumgegeistert sind und die kaum einen Ausweg versprochen haben, schon gar nicht die eher rückwärtsgewandte Ideologie des Ständestaates. Vorm Kommunismus hat man sich eher gefürchtet, und die Sozialdemokratie, die vom Dollfuß-Regime zerschlagen wurde, hat auch nicht wirklich Durchschlagskraft bewiesen, sie wirkte eher zauderhaft und zögerlich. Und da sind die Nazis in ein Vakuum vorgestoßen, das den jungen Menschen damals imponiert hat."
Viele Zeitzeugenberichte
Die Jugend, darauf hat schon Sebastian Haffner hingewiesen, ist immer der verführbarste Teil einer Gesellschaft. Martin Haidinger und Günther Steinbach warten in ihrem Hitler-Buch nicht mit sensationellen Enthüllungen auf, das war auch nicht zu erwarten. "Unser Hitler" ist ein eingängig geschriebenes Werk mit populärwissenschaftlichem Anspruch, ein Buch für das breite Publikum, Fachhistoriker werden in dem Band wenig umwerfend Neues finden.
Eine Ausnahme bilden vielleicht die Zeitzeugenberichte, die Martin Haidinger in engagierter Kleinarbeit zusammengetragen hat. "Hier sind neue Zeitzeugen, hier sind Zeitzeugen, die sich teilweise noch nie geäußert haben, und sie erzählen, wie sie Nationalsozialisten geworden sind, als junge Menschen", so Haidinger. "Der meiner Meinung nach wichtigste Zeitzeuge, Werner Dreher, schildert sogar, wie er als Angehöriger der illegalen Hitlerjugend an Sprengstoffanschlägen, an Terroraktionen in Österreich beteiligt war."
Unterschiedliche Zahlen
Haidinger und Steinbach gehen in ihrem Buch auch der Frage nach, ob unter den führenden Verbrechern des Dritten Reichs tatsächlich überdurchschnittlich viele Österreicher gewesen sind, wie immer wieder behauptet wird. Ihre Antwort: eher nein.
"Das Problem ist, dass es keine gesicherten Zahlen gibt", so Haidinger, "weil sich die Historiker so lange wechselseitig zitiert haben, bis die Zahlen entweder eingeschweißt waren oder unrichtig geworden sind. Was sich unterm Strich sagen lässt, ist: Die Österreicher nahmen ungefähr jenen Anteil an führenden Positionen im Dritten Reich ein, wie es in etwa ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprochen hat. Man muss natürlich immer die Frage stellen: Von welchem Zeitpunkt sprechen wir? Von 1938? Von 1945? Das sind ganz unterschiedliche Zahlen. Wo die Österreicher tatsächlich überrepräsentiert waren, das ist ihr Anteil an den KZ-Wachmannschaften."
Und das hat vor allem damit zu tun, dass man Österreicher im Dritten Reich bevorzugt in den Ländern Ostmitteleuropas eingesetzt hat, weil man ihnen in Berlin aufgrund ihrer k.-und-k.-Tradition einen gewissen "Erfahrungsvorsprung" zugeschrieben hat.
Wiederholung nicht zu erwarten
Bleibt die alte Brechtsche Frage, wie fruchtbar der Schoß noch sei, aus dem der Nazispuk gekrochen ist, in Österreich und anderswo? Anders gefragt: Muss man eine Wiederkehr der alten Gespenster - vielleicht in neuer, fadenscheiniger Kostümierung - fürchten?
"Also, ich glaube, dass wir das nicht zu befürchten haben", meint Günther Steinbach. "Die Verhältnisse, unter denen der Nationalsozialismus aufgekommen ist, waren so spezifische, und die Rahmenbedingungen sind jetzt so anders, dass man das heute nicht befürchten muss. Es fängt damit an, dass ein solcher Kasperl wie Hitler heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken würde."
Heute gibt's andere Kasperl, die politische Münze aus den Hassgefühlen, Ängsten und Ressentiments der Menschen zu schlagen versuchen. Die historischen Kontinuitäten zum Alldeutschtum Schönerers und zu gewissen Traditionen, aus denen sich der mörderische Nationalismus der Nazis speisten, sind evident.
Das Buch von Martin Haidinger und Günther Steinbach gibt übrigens auch eine gute Schullektüre ab. Vielleicht empfiehlt es sich als Lesestoff, bevor die nächsten Schulklassen aus Graz, Linz oder Wien zur Bildungsreise nach Auschwitz aufbrechen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Martin Haidinger und Günther Steinbach, "Unser Hitler. Die Österreicher und ihr Landsmann", Ecowin Verlag