Die Zukunft der Musikverbreitung
Mit dem Pyjama ins Konzert
Am 6. Jänner 2009 ging in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker zum ersten Mal der Vorhang hoch. Das Orchester gab unter der Leitung von Sir Simon Rattle sein Live-Debut im Internet. An die 1.500 Menschen waren dabei.
8. April 2017, 21:58
Wer sich ein Konzert der Berliner Philharmoniker ansehen will, muss seit Anfang des Jahres 2009 nicht mehr zwangsläufig an der Abendkasse Schlange stehen oder sich in Schale werfen. Klassikfans können die Konzerte des weltberühmten Orchesters gemütlich zuhause vom Sofa aus mit verfolgen. Für den ersten digitalen Konzertsaal der Welt zeichnen hochauflösende Kameras sämtliche Auftritte der Berliner Philharmoniker auf und verbreiten sie gegen eine Gebühr live über das Web.
"Als mir die Musiker zum ersten Mal von der Idee der Digital Concert Hall erzählten, erschien mir das völlig einleuchtend, dass der Trend in diese Richtung geht. Wir haben in den letzten Jahren bereits viel darüber nachgedacht, wie wir Kunst direkt zu den Menschen nach Hause bringen können. Als wir Ketten wir Tower Records und Blockbuster Video den Bach runtergehen sahen, haben wir uns noch mehr darüber den Kopf zerbrochen, wie die Zukunft der Musikverbreitung aussehen kann", sagt der Chefdirigent der Wiener Philharmoniker Sir Simon Rattle.
Idee kam während Konzerttournee
Trotzdem kostete es den Initiator des digitalen Konzertsaals, den Solocellisten der Berliner Philharmoniker Olaf Maninger, drei Jahre harte Arbeit, um seine Partner und Kollegen von der Idee zu überzeugen und sie schließlich auch umzusetzen. Die Idee war ihm übrigens während einer Konzerttournee in Südasien gekommen, sagt Olaf Maninger: "Wir haben eine Aufführung in der Symphony Hall in Taiwan gespielt, und das Konzert auf einem riesigen Videoscreen auf dem Vorplatz gezeigt. Da waren 30.000 fast nur junge Leute, die sich das Konzert angeschaut haben. Wir haben gemerkt, dass der Bedarf an klassischer Musik offensichtlich größer ist, als die 2.200 Sitzplätze die wir in den verschiedenen Konzertsälen anbieten können."
Unrasiertes Kinn in Großaufnahme
Fünf ferngesteuerte Kameras im analogen Konzertsaal, sorgen dafür, dass dem Zuschauer vor dem Bildschirm kein Bogenstrich entgeht. Eine technische Herausforderung ist die Live-Übertragung des High-Definition-Bildes, sagt Sir Simon Rattle. Und obwohl er von den technischen Möglichkeiten fasziniert ist, tauchen für die Musiker ganz neue Probleme auf, meint er lachend.
"Eines der Dinge, die mich total begeistern ist die Qualität der Bild- und Tonaufnahmen. Da werden winzige Details plötzlich sichtbar. Dinge, die vorher keine Rolle gespielt haben, etwa ein unrasiertes Kinn oder eine rote Nase, sieht man da auf einmal in Großaufnahme. Doch das ist nicht so wichtig. Wichtig ist, dass wir die technischen Möglichkeiten ausschöpfen, sie weiterentwickeln und ihnen nicht hinterher rennen."
Kein Gratis-Service
Kostenlos ist das neue Service der Berliner Philharmoniker allerdings nicht. Zum Reinschnuppern gibt es eine Konzertkarte für 9,99 Euro. Ein Saisonabo, das 30 Konzerte inkludiert, kostet 149 Euro. Dafür hat man auch auf das Archiv des digitalen Konzertsaals Zugriff. Der Start war durchaus erfolgreich. Mehr als 1.700 Abos wurden bereits verkauft.
Hör-Tipp
Digital.Leben, Dienstag, 19. Mai 2009, 16:55 Uhr
Link
Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker