Ein Schädelraub

Haydns Kopf

Am 1. Juni 1809 wird Joseph Haydn beigesetzt. Joseph Karl Rosenbaum, ein Anhänger der Schädellehre Franz Galls, beschließt, sich Haydns Kopf anzueignen. Er will überprüfen, ob sich das Genie tatsächlich in der Schläfenregion lokalisieren lässt.

Eisenstadt, Schloss Esterházy, anno 1820: Nach einer Aufführung von Haydns Oratorium "Die Schöpfung" im Konzertsaal des Schlosses lädt Fürst Nikolaus Esterházy zu einem Bankett ein. Der englische Prinz Friedrich von Cambridge - ein glühender Verehrer der Musik Haydns - bringt einen Trinkspruch auf den Gastgeber aus: "Wie glücklich ist der Mann, der diesen Haydn im Leben besessen hat und noch im Besitze seiner irdischen Reste ist!"

Die enthusiastischen Worte erinnern Fürst Esterházy, dass er seinen ehemaligen Hofkompositeur gleich nach dessen Tod vor elf Jahren nach Eisenstadt überführen lassen wollte. Doch die politischen Ereignisse hatten das verhindert. Als Haydn am 31. Mai 1809 in Wien starb, war die Kaiserstadt durch napoleonische Truppen besetzt. Daher fand das Begräbnis gleich am nächsten Tag in aller Stille statt. Kaum ein Dutzend Trauergäste gaben dem toten Musikgenie das letzte Geleit, obwohl sich Haydn testamentarisch ein Begräbnis Erster Klasse verfügt hatte.

Exhumierung

Die Zeiten waren turbulent und Fürst Esterházy ein vielbeschäftigter Mann. Erst die Napoleonischen Kriege, dann der Wiener Kongress, Empfänge in seinem Wiener Stadtpalais für den Adel und die Diplomaten Europas... Schließlich hat der Fürst über all dem auf sein Vorhaben vergessen.

An Haydn durch den Trinkspruch erinnert, ordnet Fürst Esterházy dessen sofortige Exhumierung an. Die Nachricht, dass Haydns Grab in Anwesenheit von Fürst Esterházy geöffnet werden soll, macht schnell die Runde. Zwei Bürger verfolgen das Ereignis mit besonderem Interesse: Josef Carl Rosenbaum, ehemals Sekretär von Fürst Esterházy, jetzt wohlhabender Hausbesitzer in Wien, und sein Freund, Gefängnisdirektor Johann Nepomuk Peter.

Beide amüsiert der Gedanke, dass der Fürst bei der Exhumierung eine große Überraschung erleben wird. Am 30. Oktober 1820 macht sich Totengräber Jakob Demuth an die Arbeit - und die Überraschung ist tatsächlich groß: "Mittags zwei Uhr ließ Fürst Esterházy Haydns Leichnam im Hundsthurmer Kirchhof ausgraben. Da fand man selben: ohne Kopf! Nur die Perücke!", notiert Rosenbaum in sein Tagebuch. Und Johann Nepomuk Peter ergänzt in seinen Aufzeichnungen: "Das war ein elektrischer Schlag für den hohen Fürsten."

Genie in der Schläfenregion

Erbost über die Leichenschändung schaltet Fürst Esterházy sofort die Polizei ein. Und Fürst Metternichs gefürchteter Beamtenapparat macht sich sofort auf die Suche nach Haydns Kopf. Die Spur führt rasch in die Kreise der Anhänger der Schädellehre des Anatomen Dr. Franz Joseph Gall, der das musikalische Genie in der Schläfenregion lokalisierte. Und bald geraten Rosenbaum und Peter - beide glühende Anhänger der "Gall'schen Schädellehre" ins Visier der Kriminalisten.

Sie hatten gleich nach Haydns Beerdigung den Totengräber Jakob Demuth bestochen, das Grab zu öffnen und den Kopf vom Rumpf der Leiche zu trennen. Im Allgemeinen Krankenhaus in Wien wird Haydns Schädel präpariert, danach in einem hölzernen Ziergehäuse aufbewahrt.

Kriminalkomödie

Die polizeilichen Ermittlungen nehmen bald die Züge einer Kriminalkomödie an, wie die Tagebücher und Aufzeichnungen der beiden gutbürgerlichen Wiener Kopfjäger Rosenbaum und Peter enthüllen. Der erste Totenkopf, der Fürst Esterházy als Haydns Schädel übergeben wird, ist der eines jungen Mannes, wie ein Anatom feststellt. Danach erhält der Fürst von Rosenbaum den Kopf eines Greises mit der schriftlichen Versicherung, dass dieser der echte Haydn-Schädel sei. Fürst Esterházy lässt diesen Kopf eines Unbekannten in aller Stille mit Haydns Gebeinen in der Gruft der Eisenstädter Bergkirche bestatten.

Der echte Haydn-Schädel ging durch zahlreiche Hände, ehe er bei der "Gesellschaft der Musikfreunde" landete. Am 5. Juni 1954, nach 145 Jahren, kehrte die Musikreliquie nach Eisenstadt zurück. Das Burgenland bereitete Joseph Haydns Schädel einen triumphalen Empfang. In einem Festakt legt ihn schließlich der Bildhauer Gustinus Ambrosi mit großer Geste in der Bergkirche in Eisenstadt zu den Gebeinen des Komponisten.

Hör-Tipp
Hörbilder, 30.  Mai 2009, 9:05 Uhr

Mehr zu Haydn örtlich in oe1.ORF.at

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