Wie erkläre ich sie meinem Taxifahrer?
Die Kubanische Revolution
Immer noch faszinieren Che Guevara und Fidel Castro weltweit. Wie aber erklärt man als Kubaner Nicht-Kubanern, dass die Kubanische Revolution nicht das Gelbe vom Ei ist? Der in New York lebende Schriftsteller José Manuel Prieto versucht es.
8. April 2017, 21:58
Nicht schon wieder, denkt sich der gebürtige Habanero José Manuel Prieto. Wo auch immer man ihn in einem Taxi nach seiner Heimat fragt, passiert dasselbe: Ah Kuba!, so die Taxifahrer stereotyp, Fidel Castro! Und wie immer kämpft der Autor mit sich, ob er lächeln oder ärgerlich werden soll.
Meistens schweigt er, in einen inneren Monolog verstrickt, den er keinem gutmütigen Taxifahrer je zumuten würde. Er steigt dann aus diesen Taxis, brummt in seiner Ohnmacht, dem komplexen Thema gerecht zu werden, noch einen letzten Satz in sich hinein. Ein Gemurmel, das im Kern enthält, was er dem Taxifahrer gern gesagt hätte.
Der "gewaltige Irrtum"
Beileibe nicht einfach, denke ich, ein viel umfassenderes Phänomen, die Feuersbrunst, die ihren Widerschein noch immer auf jeden einzelnen Tag meines Erwachsenenlebens wirft. Hätte er es verstanden? Was ich ihm hätte sagen, erläutern wollen?
Deshalb hat José Manuel Prieto beschlossen, ihn zwischen zwei Buchdeckel zu packen, diesen seinen Monolog über den "gewaltigen Irrtum", wie er schreibt, die erstaunliche Beliebtheit Fidel Castros und der Kubanischen Revolution, die doch in vieler Hinsicht so schlecht war, wie er im Laufe der 200 Seiten immer wieder betont. Dennoch:
Wer verstünde nicht die große Sympathie, die Solidarität der ganzen Welt, wenn vorher unter dem Joch und jetzt befreit. Ein Ding der Unmöglichkeit, das begriff ich, die Kubanische Revolution um ihren wohlverdienten Ruf zu bringen, und eben daher ihre unermessliche Beliebtheit.
Der Propaganda aufgesessen
Bis in seine frühen Zwanziger war José Manuel Prieto selbst ein glühender Revolutionär. Einer, der der Propaganda, wie er heute sagt, aufgesessen sei, wonach Havanna vor 1959 ein einziges dreckiges US-amerikanisches Stundenhotel gewesen sei, das man gewaltsam zu schließen hatte. Eine Verleumdung, wie er heute sagt, die in der Hitze der Revolution als Entschuldigung ausgestreut wurde, mit der man all die durchschlagenden, prompten Konsequenzen rechtfertigen wollte, ein Schreckensbild, das wirkungsvoll ihre Notwendigkeit unterstreichen sollte. Man denke an die nach dem Sieg am 1. Jänner 1959 erfolgten Erschießungen. Nicht allzu hoch an der Zahl, wie Prieto einräumt.
Und doch wurde eifrig erschossen. Und zwar, wie soll ich es ausdrücken, fröhlich drauflos. Wie viel in den ersten Jahren der gerechtigkeitsliebenden Kubanischen Revolution getötet wurde, ohne es je zu bereuen, ohne je eine Miene zu verziehen. Genau genommen wie das Gesicht des Doktor Guevara auf dem berühmten Foto. Für den, der an die Unvermeidlichkeit der revolutionären Gewalt glaubt, an die heilsame Wirkung des Brenneisens, für den ist es ein hübsches Foto. Doch begreift man sie wie ich als einen Irrtum, den ein Land niemals begehen darf, all die Toten, dann ist sein Blick von erschreckender Härte.
Keine demokratische Angelegenheit
Die Kubanische Revolution war niemals eine demokratische Angelegenheit. Hatte nie eine sein sollen, lautet die zentrale These, auf der José Manuel Prieto seine Gedanken aufbaut. Die Clique um den Künstler der Provokation, das "Genie", wie er den heute schwer kranken Máximo Lider Castro nennt, die bärtigen Revolutionäre waren vom Gedanken besessen, Recht zu haben und zur Bestätigung war da die Begeisterung des Volks. Und wie sollte auch ein Bündel populärer, ja populistischer Maßnahmen nicht Begeisterung hervorrufen? Wie von Zauberhand sinkende Mieten, wie von Zauberhand steigende Löhne.
Dann Jahr um Jahr nichts als tiefstes Elend, unerträglicher Mangel, chronische Unterversorgung, eine unveränderliche Kulisse für eine Bevölkerung, die höchste Not leidet. Genau in der Mitte des Buches trägt ein Kapitel den Titel: "Fidel Castros eklatantes Scheitern".
Herz aus Stein
Jose Manuel Prieto lässt die Erklärung, das US-amerikanische Handels-Embargo trage die Hauptschuld an der kubanischen Misere, selbstredend nicht gelten - auch wenn die Amerikaner es aufheben sollten. Für den seit Jahren in New York lebenden Prieto ist Castro ein Wahnsinniger mit einem Herzen aus Stein, der zusieht, wie sich Tausende zur Flucht ins Meer werfen. Er sei ein Kriegsherr gewesen, muss man heute sagen, der es vorgezogen habe, seine Soldaten zu opfern, anstatt ihnen eine würdige Kapitulation gestatten.
"Aber braucht Kuba eigentlich eine Demokratie?", lautet eine der zahllosen Fragen, die sich der Dissident im Laufe seiner Taxi-Reflexionen stellt.
Ich glaube, so inakzeptabel das für all die klingen mag, die in der Demokratie etwas von Grund auf Gutes sehen, dass es womöglich nicht die Regierungsform ist, die Kuba momentan benötigt. Denn wird sie zur falschen Zeit verabreicht oder einem schwachen Organismus eingeimpft, könnte die Wirkung eine ganz andere sein als erwartet. Ich wünsche sie mir für Kuba, wenn auch erst in ein paar Jahren.
Außerdem berühre es doch seltsam, dass jenes Land, das vor 1959 so viele Jahre auf undemokratische Lösungen für Kuba gesetzt hatte, heute die treibende Kraft hinter einer radikalen Demokratiekur sei. Und mit den Exilxanten, die zwar aus dem verschlafenen Miami eine Metropole gemacht haben, sei sowieso kein Staat zu machen, ist Prieto überzeugt. Ihnen fehle Tiefe und Weitblick, so dass Prieto die Frage stellt:
Diese Leute, die im Grunde weiterhin als Kinder unter Vormundschaft leben, die wollen eine Nation aufbauen, ein Land regieren, wollen die verhassten, vulgären und plumpen Funktionäre der Kubanischen Revolution ersetzen?
Unnötige Revolution
Für Nicht-Kenner der sozialistischen Zuckerinsel sind José Manuel Prietos Kuba-Reflexionen nicht zu empfehlen. Leser, die sich selbst mehr oder weniger kritisch mit Kuba auseinandergesetzt haben, werden einige Erfahrungen oder Vorurteile bestätigt bekommen: Die herrschende Polizei-Repression gegenüber Kubanern, die ein paar Minuten mit Touristen plaudern, die Masse an überqualifizierten Menschen, die ihr Wissen nicht umsetzen können oder dürfen, aber auch die oft zitierte medizinische Versorgung, die beste in ganz Lateinamerika und die im Gegensatz zu anderen Entwicklungsländern fehlenden Hungernden auf den Straßen.
Die Kubanische Revolution hat jedenfalls gesiegt, stellt Prieto nach all dem Gesagten frei von Ironie fest. Denn die Revolutionäre sind es schließlich, die das Land, fortan auch ohne Fidel Castro, voranbringen müssen. Wer auch sonst? Dennoch beantwortet er vorher die Frage, ob die Kubanische Revolution überhaupt nötig war mit einem klaren Nein:
Sie war nicht nötig. In Anbetracht des schwindelerregend hohen Preises, des tiefen Bruchs, der Orientierungslosigkeit, des ungeheuren Trauma, in dem das Land versunken ist und das zu überwinden lange, lang dauern wird.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
José Manuel Prieto, "Die Kubanische Revolution und wie erkläre ich sie meinem Taxifahrer", aus dem Spanischen übersetzt von Susanne Lange, Suhrkamp Verlag
Link
Suhrkamp - José Manuel Prieto