Übersetzungsfehler

Der Kampf ums Dasein

Der "Kampf ums Dasein" ist im deutschen einer der Schlüsselbegriffe der Evolutionstheorie. Mit dieser oft fehlinterpretierten martialischen Übersetzung war schon Charles Darwin selbst nicht glücklich, wie ein bisher unveröffentlichter Brief zeigt.

Wenn eine Pflanze am Rande der Wüste alles versucht, mit dem vorhandenen Wasser auszukommen, dann kämpft sie ums Überleben. Das ist eines der ersten Beispiele, die Charles Darwin anführt, als er in seiner "Entstehung der Arten" die Rolle des "Struggle for Existence" in der Evolution beschreibt.

Das Beispiel hat wenig gemein mit der brutalen, kämpferischen Natur, in der nur der Stärkste überlebt, die oft mit der deutschen Version des "Struggle for Existence", des "Kampfes ums Dasein" assoziiert wird. Gerade der martialische Unterton dieser Übersetzung hat im Lauf der Geschichte aber zu vielen Fehlinterpretationen und Missverständnissen rund um die Evolutionstheorie geführt.

Nicht "Kampf ums Dasein", sondern "Ringen ums Überleben"

Im Herbst 2008 versammelte die Literaturwissenschaftlerin Julia Voss Ausschnitte aus den wichtigsten Werken des Naturforschers und einigen seiner Briefe in einem "Darwin-Lesebuch". Mit dabei auch das Kapitel "Kampf ums Dasein" aus der "Entstehung der Arten". Julia Voss hielt die altbekannte Übersetzung bei, einzig den zentralen Begriff "Struggle for existence" gab sie nicht als "Kampf ums Dasein", sondern als "Ringen ums Überleben" wieder.

Der Ausdruck "Kampf ums Dasein" ist nicht nur vielen Darwin-Interpreten heute ein Dorn im Auge. Auch Charles Darwin selbst war damit erwiesenermaßen nicht glücklich. Das beweist ein bisher unveröffentlichter Brief, der im Archiv des "Darwin Correspondence Project" in Cambridge liegt.

Interpretationsfehler

1869 schrieb Darwin, auf englisch, dem an der Universität Jena lehrenden Physiologen William Preyer: "Mein Deutsch ist leider nicht besonders gut. ... Was den Ausdruck "Struggle for Existence betrifft", hatte ich immer Zweifel. Ich würde annehmen, dass der Deutsche Ausdruck "Kampf" und so weiter nicht ganz die gleiche Idee vermittelt. Die Worte "Struggle for Existence" drücken, denke ich, exakt das aus, was "concurrency" ist."

Der Begriff "concurrency", den Darwin in seinem Brief verwendet, wird als "Gleichläufigkeit" oder "Nebenläufigkeit" übersetzt. Und das bedeutet etwas entschieden Anderes, als das deutsche Wort "Kampf" nahelegt. So schreibt Darwin weiter: "Auf Englisch ist es korrekt zu sagen, dass zwei Männer ums Überleben kämpfen, die, sagen wir, während einer Hungersnot dasselbe Tier jagen wollen; aber genauso, wenn nur ein Mann dieses Tier jagt. Oder man kann auch sagen, ein Mann, dessen Schiff gekentert ist, kämpft gegen die Wellen ums Überleben."

Überleben des Bestangepassten, und nicht des Stärksten

Dieser Brief an William Preyer wird vermutlich in dem nächsten Briefeband enthalten sein, den das Darwin-Correspondance Project im Juli 2009 veröffentlichen will. Er ist auch eine Bestätigung all jener, die sich eine Neu-Übersetzung der Darwin-Werke wünschen.

Noch ein zweiter Schlüsselbegriff aus Darwins Werk wurde und wird bis heute in vielen verschiedenen Zusammenhängen verwendet und oft genug falsch interpretiert: Survival of the Fittest. Der Ausdruck stammt ursprünglich gar nicht von Darwin selbst, sondern von einem seiner Bekannten, dem englischen Philosophen und Soziologen Herbert Spencer.

Survival of the Fittest ist das Überleben des Bestangepassten, und nicht des Stärksten oder gar des Rücksichtslosesten. Alfred Wallace, dem Mitentdecker der Evolutionstheorie, gefiel der Begriff so sehr, dass er Darwin in Briefen dazu drängte, diesen Ausdruck anstelle der "natürlichen Auslese" zu verwenden. Darwin stimmte zögerlich zu. Ab der vierten Auflage seiner "Entstehung der Arten" ersetzte Darwin die "natürliche Auslese" zwar nicht mit "Survival of the fittest", verwendete aber oft beide Ausdrücke gleichbedeutend.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 15. Juni bis Donnerstag, 18. JUni 2009, 9:05 Uhr

Alle Sendungen zu "Projekt Darwin" der kommenden und vergangenen 35 Tage finden Sie in oe1.ORF.at