"...niemals die Hoffnung auf die Kraft der Demokratie verlieren"

Feuerkraut

Die US-Historikerin mit Wiener Wurzeln, zählt zu den Pionierinnen der Frauenforschung. Ihre Erfahrungen mit Verfolgung und Emigration haben ihre Beschäftigung mit Frauenfragen nachhaltig beeinflusst. Jetzt hat die heute 89-Jährige ihre Autobiografie vorgestellt.

Eine elegante Dame setzt sich an den Tisch, höflich, ruhig und klar berichtet sie aus ihrem Leben. Liest vor, und zieht in ihren Bann: Gerda Lerner, Doyenne der Frauengeschichte, Antifaschistin, Jüdin, Kommunistin, Wahlamerikanerin, Post-Marxistin.

Das Private ist politisch

Gerda Lerner stellte ihr politische Autobiographie vor: Feuerkraut.
Sie erzählt ihre persönliche Geschichte, aber gleichzeitig auch die Geschichte Österreichs seit den 1920er Jahren, die Geschichte Europas vor und während des 2. Weltkriegs und danach die jüngste Nachkriegsgeschichte in den USA, Roosevelt, die McCarthy-Ära.

Das Politische wirkt ins Private

Als zorniges junges Mädchen beschreibt sie sich selbst. Aus bürgerlichem Haus stammend hat sie die Politik am elterlichen Esstisch erlernt: Im täglichen Kleinkrieg der Eltern, die nur noch formal verheiratet waren, aber dennoch durch ein für das Kind unverständliches Band verbunden - selbst noch im Exil und bis zum Tod wie sich herausstellen sollte: Die Mutter, Künstlerin, stets umgeben von anhimmelnden Verehrern und der Vater, gediegener, bürgerlicher Apotheker.

Mit 14 Jahren lernt sie Angst kennen, die sie ihr ganzes Leben nicht mehr verlassen sollte: zuerst nur indirekt, als die Familie es für gut befindet, bestimmte Bücher - die linker Theoretikerinnen und Theoretiker, aber auch sozialpolitische Romane - aus dem Regal zu nehmen und zu verräumen. Das ist der Anfang.

Die Jahre 1934 bis 1938

Dann folgen politische Kommentare, man spricht weniger. Gerda Lerner liest und verteilt verbotene kommunistische Zeitungen, versucht sich in politischer Bildung, indem sie den Schulkolleginnen und -kollegen spezielle Literatur aus der Schulbibliothek zu lesen nahe legt. Und dann, 1934, ruft der Vater an, sie sollten Wasser in der Badewanne sammeln und der Strom werde abgeschalten werden. Es ist Generalstreik in Österreich.

Bürgerkrieg. Die Artillerie dröhnt nur wenige 100 Meter entfernt im Karl-Marx-Hof. Und auch ins Nachbarhaus, ein Arbeiterheim, dringen bewaffnete Männer ein. Sie hören zwei Tage lang Schüsse, und Gerda weiß, dass im Karl-Marx-Hof Kinder und Frauen unter Beschuss kommen.

Sie liest in den geheimen, verbotenen kommunistischen Schriften von Arbeitslagern und Verfolgung, von Gewalt und Übergriffen. Sie träumt schlecht von diesen Geschichten und versucht am Familientisch die Eltern zu warnen: vor Hitler und dem Antisemitismus in Deutschland, und was passiert, wenn er nach Österreich komme.

Ihr Vater hat glücklicherweise vorgesorgt: Er hat schon Anfang der 1930er Jahre begonnen, eine Apotheke in Luxemburg aufzubauen. Ohne finanziellen Erfolg vorerst, aber als Sicherheit. Er bedarf nicht der Hinweise seiner pubertierenden Tochter.
1938, der "Anschluss". Demonstrationen auf der Straße für "Rotweißrot bis in den Tod" zuerst und einen Tag später die Demonstrationen für die neue Herrschaft: für Hitler, für "Großdeutschland".

Engagierte Historikerin

In ihrer politischen Autobiographie verquickt Gerda Lerner, die Historikerin, ihre Erinnerungen immer wieder mit wissenschaftlichen Fakten und gibt dadurch dem persönlich Erlebten einen allgemeinen Rahmen.

Gerda Lerner erzählt eine Geschichte, die sie geprägt hat, aber auch eine ganze Generation. Sie erzählt von Übergriffen und der Angst als Jüdin auf der Straße zu gehen. Sie erzählt die wenig glorreiche Geschichte Österreichs, des Austrofaschismus und seiner Folgen. Sie erzählt von den gesellschaftlichen Folgen des Zusammenbruchs der Demokratie und hat dennoch nie die Hoffnung auf die Kraft der Demokratie verloren. Demokratie ist und bleibt das wichtigste Gut, für das es sich immer einzusetzen gilt.

Als Vertriebene schafft sie es, in die USA zu kommen. Von der arbeitlosen Migrantin wird sie zur Wahlamerikanerin, wird Historikern. Ausgehend von diesen Erfahrungen wird sie sich auch in ihrer wissenschaftlichen Arbeit mit der verborgen Geschichte beschäftigen: mit der Geschichte der Frauen.

Pionierin der Frauenforschung

Sie hat das erste Graduiertenprogramm der Frauengeschichte am Sarah Lawrence College im Jahr 1972 gegründet und ein Doktoratsprogramm im selben, auch dort von ihr gegründeten Fach an der University of Wisconsin-Madison geleitet.

Von Gerda Lerner stammen mehrere Standardwerke zur Frauengeschichte und sie war eine der ersten, die schon in den 1960er Jahren auch die Geschichte schwarzer Frauen und ihrer Organisation festhielt. Das wissen mittlerweile viele. Ihre Autobiographie endet 1958, bevor ihre wissenschaftliche Karriere startet. Sie liefert die Grundlage auf der Gerda Lerner später aufbaut.

Buch-Tipp
Gerda Lerner, Feuerkraut, Czernin-Verlag

Die Veranstaltung Gerda Lerner im Gespräch mit Alfred Gusenbauer im Jüdischen Museum Wien am 15. Juni musste wegen Erkrankung Gerda Lerners abgesagt werden.

Links
Czernin-Verlag - Feuerkraut
Jüdisches Museum Wien