Absage-Serie von Villazon
Wo sind die neuen Netrebkos?
Ihr Idealpartner Rolando Villazon ist Anna Netrebko abhanden gekommen, das Medienkarussell braucht neue Mitfahrerinnen. Aber wo sind die "neuen Netrebkos"? Die "Times" hat jüngst eine Liste mit den besten "Klassischen Divas" veröffentlicht.
8. April 2017, 21:58
Nino Machaidze in "Rigoletto"
Das "Traumpaar" ist tot - medial. Nachdem Rolando Villazon für 2010 zuerst den Don José in der Wiener Staatsopern-"Carmen", dann den für Paris im alten Palais Garnier geplanten Idomeneo in der Mozart-Oper, mit Emmanuelle Haim am Pult und in der Regie von Luc Bondy, abgesagt hat, sind in absehbarer Zeit keine gemeinsamen Auftritte von ihm und Anna Netrebko mehr in Sicht. (Anna Netrebko hat die Gelegenheit ergriffen und sich aus der Pariser "Idomeneo"-Produktion auch gleich zurückgezogen.)
Piotr Beczala, der Villazon demnächst an Netrebkos Seite bei der von Valery Gergiev dirigierten Tschaikowsky-"Jolanthe" im Festspielhaus Baden-Baden ersetzen wird, ist ein fabelhafter Sänger - er hat das nicht erst bei seinem Einspringen für Villazon an der New Yorker Metropolitan Opera bewiesen, in "Lucia di Lammermoor" mit Netrebko als Lucia. Was die von Rolando Villazon verwöhnten Medien wollen, ist er nicht: eine explosive Persönlichkeit.
Erfolge für Netrebko
Auch mit allmählich vollerer Stimme, bei der es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie den reinen Belcanto-Partien entwächst, und mit vollerem Gesicht - nach der Geburt von Tiago Arua - muss sich Anna Netrebko nicht im geringsten um ihre Karriere sorgen: Ihre Violetta in "La Traviata" in San Francisco ist wieder ein triumphaler Erfolg, in München (mit Dmitri Hvorostovsky) und Salzburg (mit Daniel Barenboim) stehen im Sommer Recitals an, bei der Ruhrtriennale und in der Pariser Salle Pleyel wird es Duo-Abende mit ihr und dem italienischen Tenor Massimo Giordano geben, für die MET schlüpft sie zum Jahreswechsel ins Kostüm der Antonia in "Hoffmanns Erzählungen" und die britische "Times" reiht sie auf Platz 1 der "20 Best Classical Divas" weltweit.
Elina Garanca rangiert bei dieser (fragwürdigen) Bestenliste übrigens nur auf Platz 18 - aber das war vor den Aufführungen von Bellinis "I Capuleti e i Montecchi" an Covent Garden, in denen Netrebko und Garanca bejubelt wurden. Eine "Traumpaar"-Variante?
Business braucht Stars
Auch wenn es einstweilen noch niemand direkt ausspricht: Das Klassik-Pop-Business könnte bereits eine "neue Netrebko" brauchen. Placido Domingo hat es ausgesprochen: Wie er als junger Sänger versucht hat, karrieremäßig Fuß zu fassen, wurde ein "neuer Corelli", ein "neuer di Stefano" gesucht, genauso wie später ein "neuer Pavarotti", ein "neuer Domingo". Immer definieren die gerade "regierenden" Star-Sänger die Hör-Erwartungen an die nachfolgende Generation, ohne dass aber die Stimm-"Erbfolge" im Endeffekt wirklich so ablaufen muss.
Unlängst in Turin, am Teatro Regio: eine von Michele Mariotti spritzig dirigierte Premiere von Donizettis "Don Pasquale", und als Norina - also in einer Rolle, in der New York in Otto-Schenk-Regie eine purzelbaumschlagende Anna Netrebko erlebt hat - eine junge Italienerin, die sich mit den schnellen Noten vielleicht noch leichter tut als die Sopranistin aus Krasnodar: Serena Gamberoni. Auffallend: der leicht nasale, "kopfige" Ton in ihrer Stimme - "à la Netrebko"!
Netrebko-Einspringerin Machaidze
Als Salzburger Netrebko-Einspringerin hat sich vor Jahresfrist Nino Machaidze einen Namen gemacht, in der Salzburger Festspiel-Premiere von Gounods "Roméo et Juliette". Bald kommt die 1983 im georgischen Tiflis geborene Sopranistin auch nach Wien, für die weibliche Hauptrolle von Rossinis "Il Turco in Italia" im Theater an der Wien. Diese Donna Fiorilla war vor Jahrzehnten eine der wenigen "komischen" Rollen, die Maria Callas gesungen hat - humorlos, wie die Legende besagt.
Vor allem aber hat die Fiorilla ein Koloraturfeuerwerk abzubrennen, bei dem jede Interpretin Farbe bekennen muss. Nino Machaidze hat es geschafft, sich nach dem Salzburger Festspielsommer 2008 dem Medienhype zu entziehen und ruhig Erfolg an Erfolg zu reihen: Noch einmal Juliette in Venedig, Gilda in "Rigoletto" in Parma mit seinem notorisch überkritischen Verdi-Publikum; ihre Auftritts-Termine 2009/10 kreisen um Adina im "Liebestrank" und die "Regimentstochter", in Mailand, München, Los Angeles, Berlin, Barcelona. Ein Plattenvertrag oder Stadion-Auftritte sind nicht in Sicht.
Sexy und clever
Warum die Lyric Opera Chicago Danielle de Niese für ihre Premiere von "Le nozze di Figaro" in der kommenden Spielzeit engagiert hat? Because "she's sexy, funny, clever, and sings like a dream". 1980 in Melbourne geboren, mit einem Schuss familiärem Blut aus Sri Lanka - daher der attraktive dunkle Teint - und einem anderen aus den Niederlanden - daher der Name -, hat sich Danielle de Niese vor allem mit Alter Musik einen Namen gemacht.
Sie ist ein Bewegungstalent (unlängst als Galatea in einer mit Ballett durchwirkten Premiere von Händels "Acis and Galatea" in London), man glaubt ihr die Verführerin (etwa als Cleopatra in Händels "Giulio Cesare" in Glyndebourne oder als Poppea in Monteverdis "L'incoronazione di Poppea"), man (Mann?) blickt ihr in die Augen und ist bezaubert - kein Wunder, hat Danielle de Niese doch schon in jüngsten Jahren für einen TV-Sender in Los Angeles eine Kultursendung für Junge präsentiert.
Stimme hält nicht immer mit
Die Stimme hält meistens mit, aber nicht immer. Ein rasch produziertes Händel-Recital überrascht mit schrillen Tönen, und bei Danielle de Nieses Theater-an-der-Wien-Auftritt in Händels "Ariodante" standen manche Phrasen vor dem Absturz. Susanna ist Danielle de Nieses meistgesungene Rolle aus dem konventionellen Opernrepertoire, auch Despina in "Cosi fan tutte", Lauretta in Puccinis "Gianni Schicchi" und Nannetta in Verdis "Falstaff" kann sie anbieten - Soubrettenpartien, nicht annähernd die Palette einer Anna Netrebko.
Wie war das gleich mit der Diven-Bestenliste der "Times"? "Abgeschlagen" auf den hinteren Rängen rangieren da eine Maesha Bruggergosman, demnächst Nikolaus Harnoncourts Grazer Bess in Gershwins "Porgy and Bess", Nicole Cabell, die Musetta im "Bohème"-Film mit Netrebko und Villazon, und auch Kate Royal, die von der EMI gepushte britische Sopran-Hoffnung. Abgeschlagen - noch! Vielleicht ist die neue Medien-Primadonna aber auch ein Mezzosopran? Joyce DiDonato, die bei den Salzburger Festspielen Villazons Händel-Konzerttermin übernimmt, stünde bereit.
Gheorghiu und Dessay
Hinter Anna Netrebko reiht die "Times" übrigens Angela Gheorghiu und Natalie Dessay. Beide beweisen, dass es ein künstlerisches Weiterleben auch außerhalb vom medialen "Auge des Taifuns" geben kann. In diesem Sinn: Auf noch viele Jahre mit "la bell'Anna"!
Hör-Tipps
Apropos Oper, Donnerstag, 25. Juni 2009, 15:06 Uhr
George Gershwin, "Porgy and Bess", Freitag, 3. Juli 2009, 19:00 Uhr
Links
Anna Netrebko
Agenzia De Amici - Serena Gamberoni
Operabase - Nino Machaidze
Danielle de Niese