Ingenieur des Krieges

Wernher von Braun

Wernher von Braun war eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Weltraumfahrt in den USA. Von Braun war aber ein problematischer Held: Er war in Kriegsverbrechen in Nazi-Deutschland verwickelt. Nun liegt eine Biografie, von Michael Neufeld verfasst, vor.

Ein Thema zieht sich durch das Buch, weil es auch sein gesamtes Leben bestimmt hat: Wernher von Brauns Rolle während der Nationalsozialistischen Herrschaft. Er war Parteimitglied der NSDAP und bei der SS. Er sagte: "1939 wurde ich offiziell aufgefordert, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei beizutreten."

Sein Biograf Michael Neufeld deckt das als Lüge auf. Wernher von Braun stellte schon im Jahr 1937 einen Aufnahmeantrag. Das war zu jener Zeit, als er zum Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde bestellt wurde. Er war es auch, der Hitler von der Raketentechnik überzeugte, eine neue Technik, die Hitler erst nach langen Erklärungen in ihrer Tragweite erkannte. Von Braun bekam den Zuschlag: Er konnte die V2-Rakete, die erste Großrakete, entwickeln. Doch der Erfolg stellte sich nicht sofort ein: 1942 kam Himmler erstmals nach Peenemünde um die neue Wunderwaffe zu sehen, doch nach nur vier Sekunden stürzte die Rakete ab. Die SS verstärkte deshalb ihr Engagement und setzte Arbeitskräfte aus den Konzentrationslagern ein, schildert Michael Neufeld, der Chef der Abteilung für Geschichte der Raumfahrt im National Air und Space Museum der Smithonian Institution in Washington.

"Am Anfang hatte er eine Art offizielle Geschichte darüber, was im 'Dritten Reich' passiert war", so Neufeld im Gespräch. "Er konnte schließlich seine prominente Rolle im Nazi-Regime nicht leugnen, aber es gelang ihm trotzdem, seine SS-Mitgliedschaft und seine Rolle bei den Konzentrationslagern zu verheimlichen - davon wusste niemand. im Laufe der 50er/60er Jahre, als diese Geschichten von mehreren Stellen aufgedeckt wurden, musste er ein bisschen mehr preisgeben, nicht viel mehr, aber ein bisschen."

Tausende Tote bei Produktion der V2

In Mittelbau-Dora, einem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, wurde ein unterirdisches Werk errichtet. Tausende Zwangsarbeiter aus Polen, der Sowjetunion, Frankreich, aber auch deutsche Kommunisten sprengten Stollen in den Berg. Im Dezember 1943 starben wegen der unmenschlichen Bedingungen täglich mehr als zwanzig Gefangene.

"Er leugnete, jemals Zeuge von Prügeln oder Töten gewesen zu sein oder einen toten Häftling auch nur gesehen zu haben", sagt Neufeld. "Das Gegenteil lässt sich nicht beweisen. Überlebende versichern jedoch, dass er die Leichenberge im Stollen gesehen haben muss. Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen bei der Produktion der V2 starben. Es zeigt sich, dass es vermutlich 20.000 Tote im Mittelbau-Dora-Lager gab, 10.000 Tote müssen dem V2-Programm zugerechnet werden. Aber es gab noch viele andere Konzentrationslager, zum Beispiel in Österreich war das KZ Ebensee ins V2-Programm eingebunden."

Die V2 ist die einzige Rakete, bei der mehr Menschen bei der Produktion als durch Treffer starben. Wernher von Braun dürfte erst angefangen haben, über das Regime nachzudenken, als er 1944 von der Gestapo verhaftet wurde, ein Umstand, den er später immer wieder hervorkehrte, um sich als Kritiker des Regimes darzustellen.

Project Overcast

Von Brauns einzige Leidenschaft war die Rakete. Ob sie auf Häuser in London abgefeuert wurden oder auf den Mond flogen, war ihm egal. Er wollte sie einfach nur zum Fliegen bringen. Schuldgefühle hatte er keine. 1945 wurde er mit 350 anderen Raketeningenieuren aus Deutschland unter dem Decknamen "Project Overcast" in die USA geholt. Das sollte sich bezahlt machen: 1953 baute er die erste amerikanische Mittelstreckenrakete, die "Redstone".

"Er war nützlich", so Neufeld. "Er war der führende Ingenieur in einem sehr wichtigen Waffenprogramm, V2 hat zwar als Waffe versagt, sie war nicht sehr effektiv, aber sie ebnete den Weg für zukünftige Waffen, sie zeigte, dass ballistische Flugkörper der Weg der Zukunft sein könnten, ausgerüstet mit einem nuklearen Sprengsatz. Er war also eine wichtige Persönlichkeit."

Als Romanautor gescheitert

In den USA konnte Wernher von Braun rasch seine Karriere fortsetzen, er wurde in den 1960er Jahren Direktor des Marshall Space Flight Centers und 1970 schließlich stellvertretenden Direktor der NASA.

Zu verdanken hatte er das einer neuen Idee: Er wollte die Öffentlichkeit mit einem Science-Fiction-Roman von der Raumfahrt überzeugen. Im Buch "Das Marsprojekt" beschrieb er die erste Expedition zum Mars. Bevor das Buch jedoch zum Bestseller und zur Grundlage seines Rufes als Propagandist der Raumfahrt begründet, wurde es von 18 Verlegern abgelehnt. Begründung: seine Charaktere seien hölzern und er habe zu viel Detailinformationen eingebaut.

Dieselbe technische Detailverliebtheit muss man auch dem Biografen Michael Neufeld anlasten. Das Buch wirkt, als ob es von zwei Autoren stammen würde - von einem Raketenfan, der keine Rücksicht auf den Leser nehmen kann, und von einem Autor, der das Leben des Wernher von Braun interessant und spannend zu erzählen weiß. Das bremst das Lesevergnügen erheblich. Zudem steht die Behauptung im Raum, von Braun hätte eine außergewöhnlich charmante gewinnende Art gehabt. Im Buch merkt man davon wenig.

Ohne von Braun keine Mondlandung

Spannend verlief die weitere Biografie von Brauns jedenfalls, wenn auch nicht nur erfolgreich. Er wollte den ersten Satelliten ins All bringen, doch die Startgenehmigung wurde verzögert. Die Russen kamen ihm 1957 mit "Sputnik" zuvor - eine der größten Enttäuschungen für Wernher von Braun. Im Jahr darauf konnte er jedoch den Start des ersten amerikanischen Satelliten feiern.

Ohne von Braun hätte es auch die Mondlandung nicht gegeben. Als Neil Armstrong am 20. Juli 1969 seinen Fuß auf den Mond setzte, war zweifellos der Höhepunkt im Leben Wernher von Brauns. Auf die Frage, für wie wichtig er das Betreten des Mondes durch einen Menschen halte, antwortete von Braun: "Ich halte dieses Ereignis für ebenso wichtig wie jenen Augenblick im Ablauf der Menschheitsentwicklung, in dem das Leben aus den Meeren auf das feste Land kroch."

Wernher von Braun hatte bis zu seinem Tod 1977 Kontakt mit Albert Speer und seinen Kollegen aus dem "Dritten Reich". Von ihnen distanzierte er sich nie.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Michael Neufeld, "Wernher von Braun: Visionär des Weltraums, Ingenieur des Krieges", aus dem Englischen übersetzt von Ilse Strasmann, Siedler Verlag

Link
Siedler Vrlag - Wernher von Braun