Nikolaus Harnoncourt zum 80. Geburtstag

Ohne Musik ist der Mensch kein Mensch

Unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt entstehen Aufführungen, die die interpretierten Werke ohne die Patina der Aufführungstraditionen vergangener Zeiten erlebbar machen. Am Samstag, 3. Dezember 2009 feiert Harnoncourt seinen 80. Geburtstag.

"Ich will nicht die historische Aufführung wiederholen oder historische Zustände wieder einführen." Im Gegenteil, allein wenn die Musik heutigen Hörerinnen und Hörern, Musikerinnen und Musikern etwas jetzt Relevantes zu sagen hat, fühlt sich Nikolaus Harnoncourt berechtigt beziehungsweise verpflichtet dazu, diese aufzuführen.

Den Werken nähert er sich dann mit wissenschaftlicher Akribie, nichts anderem als den Intentionen des Komponisten verpflichtet. So entstehen Aufführungen, die die Werke ohne den Staub, die Patina der Aufführungstraditionen vergangener Zeiten erlebbar machen.

Die Macht der Musik

Wer in ein Konzert geht, der muss riskieren, dass mit ihm etwas passiert, dass er sich verändert, und nicht, dass er gut unterhalten wird. "Eine g-Moll-Symphonie von Mozart vor lächelnd-kopfwiegenden Leuten zu spielen, wäre mir unerträglich, weil das einfach ein Werk ist, das die Seele aufreißt. Und wenn ich dann in einer Kritik lese, man habe 'Mozart-Glück' erlebt, dann muss man sagen: Was hat der da gehört?" (Nikolaus Harnoncourt, "Mozart-Dialoge", Residenz Verlag).

Musik entfesselt in uns Emotionen und steuert sie. Musik hat wie jede Kunst, die Macht, in uns etwas anzurichten, im Guten wie im Bösen.

Beschäftigung mit alten Instrumenten

Der am 6. Dezember 1929 in Berlin geborene und in Graz aufgewachsene Musiker hat schon während seiner Zeit als Cellist im Wiener Symphonischen Orchester den Klang von alten Gamben erforscht, diese gesammelt und mit handwerklichem Geschick restauriert. Im Wiener Gambenquartett (mit Alfred Altenburger, Alice Hoffelner und Eduard Melkus) wurden die Erkenntnisse erprobt. Die Instrumentensammlung wuchs.

Als Paul Hindemith 1954 in Wien Monteverdis Oper "L'Orfeo" auf der Zeit entsprechenden Instrumenten aufführen wollte, war Harnoncourts Sammlung gefragt. Um einen adäquaten Umgang mit den historischen Raritäten und Nachbauten in Bezug auf Spieltechnik und Klang zu gewährleisten, bestand der Musiker darauf, dass seine Spezialisten darauf musizierten.

"Ein Instrumentalensemble" stand auf dem Konzertprogramm. Das war sozusagen die Geburtsstunde des "Concentus Musicus Wien", der seinen ersten offiziellen Auftritt 1957 im Rahmen der Neueröffnung des Palais Schwarzenberg hatte.

Ausbildungsjahre

Noch nicht ganz 18 Jahre alt, am Beginn seines letzten Schuljahres, hörte Harnoncourt im Radio Beethovens 7. Symphonie mit Wilhelm Furtwängler am Dirigentenpult. Diese Musik hat ihn so fasziniert, dass ihn sein weiterer Lebensweg ein Jahr später an die Wiener Musikakademie geführt hat.

1990 begann er bei der Styriarte in Graz - das Festival wurde gegründet, um Harnoncourt in seine Heimatstadt zurückzuholen -, sich mit Beethovens Symphonien zu beschäftigen. Eine Auseinandersetzung, deren Resultat viele verstört hat, wie auch die erste Aufführung der Brandenburgischen Konzerte in Deutschland, der Monteverdi- und der Mozart-Zyklus in Zürich.

Uraufführungsgefühl

Diese Reihe könnte man beliebig fortsetzen. Auf die Symphonien folgten die Klavierkonzerte und die anderen Orchesterwerke Beethovens mit Klavier. Als Interpreten wählte er das Chamber Orchestra of Europe und Pierre-Laurent Aimard als Solisten, die sich den Werken zuvor noch nicht gewidmet hatten, so dass sich eine Art Uraufführungsgefühl ergab. 1994 waren alle Symphonien bei den Salzburger Festspielen zu erleben.

Als Ort für die Aufführung geistlicher Werke (Messen von Mozart und Haydn) wählte man bei der Styriarte ab 1989 die barock ausgestattete Pfarrkirche Stainz, die Teil des Stainzer Schlosses ist, das Erzherzog Johann einst erworben hatte und in dem die Mutter Harnoncourts, Urenkelin Erzherzog Johanns und auch in Stainz geboren, gelebt hat.

Opern in Graz

Die Styriarte wurde für Harnoncourt zu einem Festival, das ihm die Möglichkeit bot, jene Projekte zu verwirklichen, die ihm am Herzen lagen. Hier widmete er sich auch intensiv der Suche nach dem Schlüssel der Romantik. Robert Schumanns Oper "Genoveva" konnte man im Grazer Stefaniensaal erleben, bevor die Aufnahme auf CD erschien beziehungsweise das Publikum in Zürich das Musiktheaterwerk auf der Bühne sehen konnte.

Ähnliches gilt für die Opernaufführungen (Offenbach: "La Grande-Duchesse de Gérolstein", 2003, Bizet: "Carmen", 2005, Mozart: "Idomeneo", 2008, Gershwin: "Porgy and Bess", 2009), die er in einem Raum (Helmut-List-Halle) präsentiert hat, dessen akustische Eigenschaften nach seinen Wünschen konzipiert wurden.

Die Sprache des Unsagbaren

"Die Musik ist ein Rätsel, ein unerklärbares Geschenk aus einer anderen Welt, eine Sprache des Unsagbaren, die aber manchen letzten Wahrheiten und geheimnisvollen Erlebnissen wohl eher nahe kommt als die 'Sprache der Worte'." Diese Sprache zu entschlüsseln und mit ihr zum Publikum zu sprechen, hat sich Nikolaus Harnoncourt zur Lebensaufgabe gemacht, als er 17-jährig Beethovens 7. Symphonie gehört hat.

Mehr dazu in oe1.ORF.at
Nikolaus Harnoncourt warnt Veranstalter
Der Operndirigent Nikolaus Harnoncourt
Moretti inszeniert Haydn-Oper
Being Nikolaus Harnoncourt

Hör-Tipps
Apropos Klassik, Samstag, 5. Dezember 2009, 15:06 Uhr

Joseph Haydn, "L'infedeltà delusa", Samstag, 5. Dezember 2009, 19:30 Uhr

Matinee, Sonntag, 6. Dezember 2009, 11:03 Uhr

Aus dem Konzertsaal, Monteverdis "L'Orfeo", Sonntag, 6. Dezember 2009, 19:30 Uhr

Apropos Klassik, Samstag, 12. Dezember 2009, 15:06 Uhr,

Matinee, Bach: Weihnachtsoratorium, Freitag, 25. Dezember 2009, 11:03 Uhr

Purcells "The Fairy Queen", Dienstag, 29. Dezember 2009, 19:30 Uhr

TV-Tipp
Joseph Haydn, "Il mondo della luna", Samstag, Samstag, 5. Dezember 2009, 22:00 Uhr, ORF 2

Web-Tipp
Joseph Haydn, "Il mondo della luna", Samstag, Samstag, 5. Dezember 2009, 22:00 Uhr, Video-Stream in oe1.ORF.at unter oe1.ORF.at/videostream

CD-Tipp
Claudio Monteverdi, "L'Orfeo" Favola in Musica", Liverecording Wiener Festwochen 1954, Erste Aufnahme auf Originalinstrumenten, ORF Edition Alte Musik, Limitierte Auflage, Veröffentlichungstermin: 6. Dezember 2009

Links
Concentus Musicus
Nikolaus Harnoncourt
Theater an der Wien