Turbomitteilungstrieb?

Berufsfeld Musikkritik

Der Vergleich macht sicher. Grundregel Nummer eins für alle angehenden Musikkritiker und Musikkritikerinnen: Hören-hören-hören-hören. Hungrig sein, nach Musik und Theater. Eine Umschau unter den Meistern ihres Fachs.

Auf die Frage warum er Musikkritiker geworden sei, antwortete Deutschlands altgedienter Starkritiker Joachim Kaiser, bei ihm sei der Mitteilungstrieb einfach absurd entwickelt. Wenn ihn jemand nach einer Theateraufführung frage, wie er das Stück gefunden habe, würde er eine Stunde auf ihn einreden, wie es ihm gefallen beziehungsweise missfallen habe. Und wenn niemand da sei, gehe er notfalls auf die Toilette und sage der Klofrau, warum er den "König" Lear missglückt gefunden habe.

Nikolaus Harnoncourt äußert sich über soviel Mitteilungsbedürfnis des "letzten Mohikaners" (so Kaisers Bezeichnung in seiner Biographie: Ich bin der letzte Mohikaner, Ullstein 2008) in einem Leserbrief:

Was Barenboim kann und was weniger, und was er über mich schreibt, ist niedergeschriebene Inkompetenz, unkorrekt zitiert und falsch (Vibrato hab ich nie gesagt, ah, noch ärger, er verwechselt mich mit Norrington - und meine "Meinung" kann wohl nur der wirkliche liebe Gott kennen).

Nicht geliebt

Sie sind nicht eben geliebt, weder vom Publikum, noch von den Interpreten und Interpretinnen. Vor allem dann, wenn ihr Schreiben als anmaßend und als Scharfrichtertum der Musik gegenüber empfunden wird. Doch scheint die Generation der weiblichen und männlichen Rezensenten ausgestorben, denen es Spaß macht, Störenfried zu sein und von oben herab Menschen, die auf der Bühne und im Konzert bemüht sind, ihr Bestes zu geben, in Grund und Boden zu schreiben.

Meinungsfreude und Mut zum Urteil ja, gemeiner Verriss und Bevormundung des Publikums nein.

Drei von Musik besessene Schlachtrösser

Eleonore Büning, geboren in Frankfurt am Main, aufgewachsen in Bonn am Rhein, lernte dort das Flöten und Geigen. Nach der Matura im Sommer 1970 kehrte sie heim in ihre Vaterstadt Berlin, wo sie Musik-, Theater- und Literaturwissenschaften an der Freien Universität Berlin studierte und mit dem Klavierspielen anfing.

Nach einem kurzen Intermezzo als Praktikantin in der angewandten Musiktherapie schloss sie das Studium mit einer Doktorarbeit über frühe Beethovenrezeption ab. 1978 begann sie zum Broterwerb über Musik zu schreiben: zunächst Aufsätze für Musikfachzeitschriften, dann Musikkritiken für verschiedene Zeitungen, später auch Musiksendungen für den Rundfunk.

Im Januar 1994 trat sie als Musikredakteurin in das Feuilleton der "Zeit" ein, seit dem 1. April 1997 ist sie Musikredakteurin der "FAZ" in Berlin. Eleonore Büning hat heute noch Premierenfieber und noch heute empfindet sie es als Privileg, ihr Hobby zum Beruf gemacht zu haben: "Das Schönste ist, und es kommt doch immer wieder vor, jedes zehnte-, zwölfte Mal, dass ich in einer Aufführung sitze und einfach nur glücklich bin, dass es so etwas Wunderbares gibt."

Musik hören ist wie amten

Ljubisa Tosic, seit vielen Jahren erster Musikkritiker des "Standard", mag an seinem Beruf am meisten, dass er - sein Instrument ist die Gitarre und seine bevorzugte Musikrichtung der Jazz - weiterpflegen kann, was immer schon seine Leidenschaft war. Sich nicht mit Musik beschäftigen wäre für ihn gleichbedeutend mit: jetzt hörst du auf zu atmen.

Auch Karl Harb, seit 32 Jahren bei den Salzburger Nachrichten, ist kein verhinderter Künstler - viel gebrauchtes Klischee -, sondern will seine Liebe, sein Brennen für Musik und Musiktheater mithilfe eines - für den Beruf unerlässlichen - Schreibtalents dem Publikum vermitteln.

Er hat am Klavier dilettiert, und hatte keine Lust, Etüden und Tonleitern zu üben. Aber mit nicht enden wollendem Enthusiasmus versucht er sein Lesepublikum zur Musik, zur Kultur überhaupt zu verführen.

Hör-Tipp
Apropos Musik. Das Magazin, Sonntag, 5. Juli 2009, 15:06 Uhr

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