Oberinspektor Chens fünfter Fall

Blut und rote Seide

Ein Serienmörder treibt in Shanghai sein Unwesen und Oberinspektor Chen hat wieder alle Hände voll zu tun. Der Plot ist aber nicht alles an Qiu Xiaolongs neuem Krimi, vor allem zeigt der Autor den Wandel Chinas von der Zeit Maos bis heute auf.

Eine makabre Geschichte, und eine die es so in der Volksrepublik China gar nicht geben dürfte: Ein Serienkiller wütet in Shanghai. Seine Opfer sind junge, hübsche Frauen, deren Leichen er des Nachts an öffentlichen Plätzen ablegt. Jedesmal sind sie in rote "qipaos" gekleidet - festlich-traditionelle, eng geschnittene und knöchellange chinesische Frauenkleider.

Veritable Probleme

Die örtlichen Parteifunktionäre sind in Aufruhr, und Oberinspektor Chen - Lesern und Leserinnen von Qiu Xialongs Kriminalromanen schon seit längerem bekannt - hat nicht nur die Mordserie, sondern auch noch einige andere veritable Probleme zu lösen. Als da wären: ein unmittelbar bevorstehender Gerichtsprozess über einen Korruptionsskandal im Wohnbauwesen von Shanghai, für den Chen - im Auftrag der Partei - den prominenten Anwalt der geschädigten Mieter "polizeilich überprüfen" soll, wie es heißt. Dazu kommt ein sich anbahnendes Burn-out-Syndrom beim literarisch gebildeten Chefinspektor, der just in dieser Situation sein abgebrochenes Studium der klassischen chinesischen Literatur - sozusagen als "Arbeiterstudent" - fortsetzen will.

Das alles kann nicht gut gehen, es folgt ein Nervenzusammenbruch, den Chen auf Vermittlung eines neureichen Freundes in einem Luxusressort auskuriert. Inzwischen wird weiter gemordet, auch ein "Lockspitzel" der Polizei fällt dem Serienkiller zum Opfer, und sowohl beim Polizeichef als auch bei den Parteioberen ist jetzt tatsächlich Feuer am Dach. Chen, der genug Zeit zum Grübeln hatte, kehrt zurück und löst - so viel kann verraten werden - den Fall, der seine Wurzeln in der Kulturrevolution Mao-Tse-Tungs hat, mehr oder minder in Eigenregie.

Sarkastische Scherze

Nur: Der sogenannte "plot" ist bei den Shanghai-Krimis von Qiu Xiaolong, der als Übersetzer, Sinologe und Schriftsteller seit dem Ende der 1980er Jahre in den USA lebt, maximal die halbe Miete. Was hier verlässlich mitgeliefert wird, sind Exkurse in die chinesische Literatur- und Kulturgeschichte, die gelegentlich auch ermüden können, sind folkloristisch-touristische Fußnoten über Shanghai und China und vor allem bissige Kommentare über ein Land und seine Regierung, die eine sozialistische Verfassung mit kapitalistischen Wirtschaftsmethoden zu vereinen versuchen.

Da mangelt es auch nicht an sarkastischen Scherzen, etwa, wenn es um den Import und die Umbenennung westlicher Getränke geht.

Coca-Cola hieß "köstliches Getränk"; aus Pepsi waren "Hundert schmackhafte Dinge" geworden; Sprite war "Reiner Schnee"; 7-Up "siebenfaches Glück" und Mountain Dew wurde zur "Erregten Woge"

Fehlt nur noch die moderne Umdeutung des Begriffs Genosse: Der, so steht's im Roman, "wurde inzwischen in Hongkongs und Taiwans Schickeria als Synonym für homosexuell gebraucht."

Zwiespältiger Eindruck

Qiu Xialongs Kriminalroman "Blut und rote Seide" wird im Klappentext als der "raffinierteste" Krimi dieser Serie angepriesen, tatsächlich hinterlässt er aber einen zwiespältigen Eindruck. Das liegt an überlangen Exkursen, an einer nicht wirklich überzeugenden Gesamtdramaturgie und an einer etwas zu konstruierten Auflösung der Mordserie.

Sein wirkliches Tempo gewinnt der Roman erst ab der Hälfte seiner gut 380 Seiten. Und dann gibt es ein Kapitel, das vieles wettmacht: der bizarre Showdown zwischen Oberinspektor und Mörder beim Abendessen in einem Restaurant, wo all das aufgetischt wird, was manche unter kulinarischem Genuss und die anderen unter regelrechter Barbarei verstehen: von gebratenen Spatzenzungen und geschmorten Ochsenaugen über die Gallenblase einer Schlange bis zu einer lebendig gekochten Schildkröte. Mahlzeit.

Wäre noch ein Satz hinzuzufügen, und der geht an die Adresse des Zsolnay-Verlags: Dem Buch mangelt es leider nicht an Setzfehlern, da wäre eine Spur mehr Sorgfalt geboten gewesen.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Qiu Xiaolong, "Blut und rote Seide. Oberinspektor Chens fünfter Fall", aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Hornfeck, Zsolnay Verlag

Link
Zsolnay Verlag - Qiu Xiaolong