Nicaragua - ein revolutionäres Experiment
Requiem für eine Revolution?
Am 19. Juli jährt sich der Einzug der siegreichen, revolutionären Sandinisten in Nicaraguas Hauptstadt Managua zum 30. Mal. Groß war der Anspruch das Land sozial(istisch) zu verändern, groß war auch die internationale Solidarität.
8. April 2017, 21:58
Am 19. Juli 1979 ziehen die Sandinisten in der Hauptstadt Managua ein. Die Revolution hat gesiegt, die blutige Diktatur des Somoza Clans ist beendet. Der Regierungsrat, bestehend aus drei Vertretern der Frente Sandinista und zwei bürgerlichen Oppositionellen, bekundet die Entschlossenheit ein soziales Systems zu errichten, das die Ausbeutung und das Elend abschafft.
Die Aussichten ein revolutionäres Experiment live mit verfolgen zu können zog nach dem 19. Juli 1979 zahlreiche Lateinamerikaexperten und solche die es noch werden sollten nach Nicaragua.
Die solidarische Ökonomie
Neben dem Prinzip des politischen Pluralismus war es vor allem die solidarische Ökonomie, auch gemischte Wirtschaft genannt, die die Sympathisanten aus Solidaritäts-Bewegung und Wissenschaft begeistert hat.
Sie war aufgebaut auf Eigentumstransformation, kollektivem Eigentum und Stärkung der Selbstorganisation. Gerade die sandinistische Wirtschaftspolitik der 1980er Jahre aber sei ein Paradebeispiel für divergierende Vorstellungen, von denen dann letztlich keine sauber durchgeführt wurde, erklärt der damals eindeutig prorevolutionär eingestellte Politologe an der Universität Innsbruck Wolfgang Dietrich. Man habe sich ein Jahrzehnt lang durch improvisiert. Mit ständigen Richtungswechseln sei viel Konzeptlosigkeit versteckt worden. Der Druck der USA tat ein Übriges, um eine blühende Wirtschaft zu verhindern.
Contra-Krieg
1981 erhöhen die USA mit dem Contra-Krieg, einem Bürgerkrieg mit über 29.000 Toten, den Druck auf das revolutionäre Nicaragua. Daniel Ortega wird zwar 1984 vom inzwischen politisierten Volk zum Präsidenten gewählt, die Wirtschaft aber ist ruiniert, die Hyperinflation beträgt bis zu 32.000 Prozent.
Eine bis dahin traditionell vernachlässigte Region wurde in den Contra-Krieg involviert, die kulturell vom Pazifik komplett verschiedene, von schwarzen Creoles und indigenen Mískito, Sumu und Rama bewohnte Costa Atlántica.
Sandinisten in der Mosquitia
Der größte innerstaatliche Fehler der sandinistischen Regierung war es, den kulturellen Hintergrund, die Andersartigkeit der Lebensweise und der Wertvorstellung der indigenen Bevölkerung der Karibikküste sowie die besondere Art der Beziehung zu ihrem Land nicht ausreichend in das politische Handeln einzubeziehen. Vielmehr stellten sie den Glauben an einen grundsätzlichen Klassenzusammenhalt über alle ethnischen und kulturellen Unterschiede.
Freies Vaterland? Autonomie!
Ein besonders trauriges Beispiel ist die Zwangsumsiedlung zahlreicher Mískito Dörfer von der Rio Coco Region an der honduranischen Grenze. Sie wurden zum Schutz vor der Konterrevolution achtzig Kilometer nach Süden gebracht und in Sammellager gepfercht, die "Tasba pri" ("Freies Vaterland" auf Mískito) getauft wurden.
Danach kehrten die Soldaten zurück, schlachteten das Vieh, zerstörten die Ernte und die Häuser, damit die konterrevolutionären Banden sie nicht benutzen konnten. Doch tausende Mískito waren zutiefst verstört ins Nachbarland geflohen. Seit 1987 gibt es ein von den Sandinisten eingeführtes Autonomiestatut für die nördliche und südliche Atlantikregion, das bis heute immer weiter ausgebaut wurde.
Positiver Effekt: Frieden bis heute!
Im Jahr 1989 beginnen schließlich die Verhandlungen mit den Contras. Das Jahr 1990 bringt den politischen Umschwung. Die Sandinisten verlieren entgegen den Prognosen die Wahl. Die bürgerliche Violeta de Chamorro wird von den kriegsmüden Nicaraguanern zur Präsidentin gewählt.
Im Gegensatz zu den Nachbarländern El Salvador, Honduras und Guatemala ist die Kriminalitätsrate in Nicaragua erstaunlich gering. Nicht zuletzt aufgrund dieser relativen Sicherheit fühlt sich auch die (österreichische) Entwicklungshelfer-Community seit mittlerweile mehr als zweieinhalb Jahrzehnten sehr wohl im Land der Vulkane. Nicaragua ist seit Mitte der 1980er Jahre Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit.
Daniel Ortega und die Macht
Seit Anfang 2007 ist Ex-Guerilla-Chef Daniel Ortega wieder Präsident Nicaraguas. Die anfängliche Euphorie schwand schneller als nach 17 Jahren konservativer bis neoliberaler Regierungen zu erwarten war.
Bereits im Sommer 2008 gab es Demonstrationen gegen die angebliche Ortega-Dikatur, gegen die ständigen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln und gegen das Fehlen ernst zu nehmender Projekte zur Verringerung von Armut und Arbeitslosigkeit.
Gegen das Votum des Parlaments werden Strukturanpassungsforderungen des Internationalen Währungsfonds verhandelt und akzeptiert, was zum Einfrieren der Löhne und zu Verteuerungen der Dienstleistungen führt. Daniel Ortega bewege sich geschickt in einem Machtslalom mit den konservativen Oppositionsparteien und verfolge ein Projekt, so der Politologe Wolfgang Dietrich, "das nur mehr wenig mit dem zu tun hat, wofür einst ein paar tausend Menschen gestorben sind. Und das ist sehr bedauerlich."
Hör-Tipp
Dimensionen, Donnerstag, 16. Juli 2009, 19:05 Uhr