Eine Stimme für Verdi
Carlo Bergonzi ist 85
Am 13. Juli 1924 ist Carlo Bergonzi im italienischen Vidalenzo als Sohn eines Käsemachers auf die Welt gekommen. Schon mit 16 hat er das Handwerk zugunsten der Gesangskunst aufgegeben und heute gilt er vielen als bedeutendster Verdi-Interpret des 20. Jahrhunderts.
8. April 2017, 21:58
Mehr als jeder andere Tenor verbindet Bergonzi Kraft, Schönheit, Intensität und Eleganz. (John Steane)
Wir befinden uns in einer von Korruption gekennzeichneten Situation, in der sich weder die Theater noch die Agenten und Dirigenten mehr um die Entwicklung, Pflege und Förderung von Stimmen kümmern, ja nicht einmal um die Gesangskunst selbst. (Carlo Bergonzi)
Authentische Verdi-Phrasierung
Im Jahr 2000 - mit immerhin 76 Jahren - war er zum letzten Mal zu Gast in Wien, bei einem Sommerkonzert in der Wiener Staatsoper: Carlo Bergonzi, "der größte Verdi-Tenor des 20. Jahrhunderts". Diesen Titel hat ihm das renommierte "Gramophone"-Magazin im gleichen Jahr 2000 verliehen, als Ehrenpreis für sein Lebenswerk.
Nicht umsonst hat ein berühmter Londoner Laryngologe einstens gefordert: "Jeder Tenor, der singen lernt, sollte es als einen obligatorischen Bestandteil seiner Ausbildung betrachten, sich so oft wie möglich Alfredo Kraus im französischen Fach und Carlo Bergonzi in Verdi-Partien anzuhören."
Der 2004 verstorbene italienische Musikologe und Stimmexperte Rodolfo Celletti konzedierte Bergonzi gar "die authentischste Verdi-Phrasierung seit den Tagen Pertiles (Toscaninis Lieblingstenor in den 1920ern), nicht nur bei Tenören, sondern ebenso bei Baritonen und Bassisten. (...) Er braucht nur den Mund zu öffnen und eine einzige Phrase zu singen, dann werden alle instinktiven Regungen, die ich mit Verdi verbinde, sofort lebendig."
Käsemacher oder Sänger?
Carlo Bergonzi stammt übrigens aus der gleichen Gegend wie Giuseppe Verdi, wo er vor 85 Jahren, am 13. Juli 1924 in Vidalenzo geboren wurde, nur wenige Kilometer entfernt von Verdis berühmter Villa von Sant´ Agata und ebenso nahe von Verdis Geburtsort Roncole bei Busseto. Und Busseto spielt im Leben Bergonzis bis heute eine ganz wichtige Rolle.
Nicht nur hat er dort ein weithin bekanntes Hotel und Restaurant namens "I due Foscari" gegründet (nach einer frühen Verdi-Oper benannt), das heute von einem seiner Söhne geleitet wird, in Busetto finden wir auch die "Accademia Verdiana Carlo Bergonzi" und ebenfalls in der Verdi-Stadt Busseto hatte Bergonzi mit sechs Jahren sein erstes Opernerlebnis - eine Aufführung von Verdis "Il Trovatore".
In der in der Provinz Parma gelegenen, heute rund 7.000 Einwohner zählenden Gemeinde hat seinerzeit aber auch seine quasi bürgerliche Berufsausbildung begonnen, denn ursprünglich sollte er wie sein Vater ein Käsemacher werden, ein durchaus traditionsreicher Beruf in der Provinz Emilia. Aber schon mit 14 war er entschlossen, doch lieber eine Gesangskarriere anzupeilen.
Vom Bariton zum Tenor
Sein erster Lehrer war der Bariton Edmondo Grandini, dann aber ist der Krieg dazwischengekommen, Bergonzi geriet als erklärter Antifaschist in deutsche Gefangenschaft, und so konnte er sein Studium erst nach Kriegsende fortsetzen und zwar am Boito-Konservatorium in Parma. Dort hat man ihn allerdings als Bariton klassifiziert, in diesem Fach hat er 1947 debütiert und eine Zeit lang durchaus erfolgreich gesungen, immerhin mit Partnern wie Beniamino Gigli, Tito Schipa oder Ferruccio Tagliavini.
Trotzdem hat er bald gemerkt, dass er sich in der Baritonlage eigentlich nicht ganz wohl fühlt, worauf er auf eigene Faust begonnen hat, sich zum Tenor umzubilden. In der Titelrolle von Umberto Giordanos "Andrea Chenier" stand er 1951 erstmals als Tenor auf der Bühne und in diesem Fach wurde er schließlich rasch weltberühmt: Fast 30 Jahre lang hat er an der MET gesungen, er war am Londoner Covent Garden ebenso umjubelt wie bei seinen leider nur sehr seltenen Auftritten an der Wiener Staatsoper, und man wird wohl kaum eine international wichtige Opernbühne oder einen Konzertsaal finden, wo er im Laufe seiner langen Karriere nicht aufgetreten wäre.
Opfer und Liebe
Doch was ist das Geheimnis seiner rund ein halbes Jahrhundert andauernden Karriere, abseits aller gesangstechnischen Finessen und einer natürlichen, insbesondere für Verdi notwendigen "gesanglichen Intelligenz"? In erster Linie die Bereitschaft, auf ein sogenanntes normales Leben zu verzichten, erklärte er in den 1980er Jahren der griechischen Musikjournalistin Helena Matheopoulos: "Das einzige, was das erträglich macht, ist die Liebe zur Arbeit und zur Musik. Wenn man diese Liebe nicht sehr stark fühlt, dann ist es völlig unmöglich, solche Opfer zu bringen. Es gibt viele Leute mit sehr schönen Stimmen, deren Karriere nur sehr kurz war, weil sie nicht bereit waren, Opfer zu bringen - und deshalb habe ich auch nie darauf bestanden, dass mein ältester Sohn, Maurizio, der eine gute Stimme hatte und jetzt Arzt ist, mit dem Singen anfing. Es ist etwas, das man mit jeder Faser in sich spüren muss. Wenn man sich wirklich als Sänger fühlt, dann stürzt man sich einfach auf diese Aufgabe. Und wenn man diese Leidenschaft und noch dazu eine gute Stimme hat, dann wird man auch erfolgreich sein. Das ist das ganze Geheimnis."