Warum manche Menschen erfolgreich sind und andere nicht

Überflieger

Aus Nebensächlichkeiten verblüffende Schlüsse zu ziehen, das ist es, was den Erfolg Malcolm Gladwells ausmacht. Er gibt sich nicht mit Augenscheinlichkeiten zufrieden. In seinem neuen Buch "Überflieger" will er die Muster des Erfolgs erkannt haben.

Warum sind auffällig viele der kanadischen Eishockey-Stars im Jänner geboren? Mit dieser scheinbar banalen Frage beginnt Malcolm Gladwell seine Erkundungen in die Welt des Erfolgs.

Der Grund für diese statistische Häufung ist ein einfacher: Einmal im Jahr, Stichtag 1. Jänner, werden in Kanada die jungen Eishockey-Talente gesucht. Wer kurz nach diesem Stichtag für die Jugendmannschaften Geburtstag hat, der gehört im Jahrgang zu den älteren und körperlich weiter entwickelten Spielern. Er schafft es eher in die Auswahlmannschaft und trainiert dort doppelt so hart wie seine jüngeren Jahrgangskollegen in den Schülermannschaften. Aus einer Zufälligkeit - dem frühen Geburtstag - wird so ein Vorsprung, der auch in den folgenden Jahren kaum mehr aufzuholen ist.

Chancen und Möglichkeiten

Es sind oft scheinbare Nebensächlichkeiten wie diese, die entscheiden, ob man zum Überflieger oder doch nur zum Bruchpiloten wird. So lautet die Kernthese in Malcolm Gladwells "Outliers". Erfolg ist für ihn nur zum kleinen Teil eine Sache persönlicher Begabung:

"Ich glaube, ein Überflieger ist einfach jemand, der eine Reihe von Chancen und Möglichkeiten bekommen hat, die ihm erlauben, das Meiste aus seinen Talenten herauszuholen", so Gladwell im Gespräch. "Und diejenigen, die wirklich Außerordentliches leisten, sind Menschen, die auch außerordentliche Chancen bekommen haben. Ich meine, sie sind intelligent und kreativ, aber was sie zu jemandem Besonderen macht, ist eine Anhäufung von unglaublich glücklichen Umständen, die ihnen erlauben, sich vom Rest abzuheben."

Wann und wo man zur Welt kommt, unter welchen Bedingungen man aufwächst, welches kulturelle Erbe man mitbringt und vor allem wie die Gesellschaft darauf reagiert, all diese - oft zufälligen - Faktoren sind mindestens so bedeutend wie Intelligenz oder Begabung.

Hilfe zur rechten Zeit

Hätte etwa ein Überflieger wie Barack Obama vor 20 Jahren eine Chance gehabt, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, fragt Malcolm Gladwell. Wohl kaum, mein er, zuerst müsse das gesellschaftliche Umfeld stimmen. Neben dem Mythos vom Naturtalent entzaubert der Autor auch den amerikanischen Traum, jeder könne es allein durch persönliche Leistung "vom Tellerwäscher zum Millionär" schaffen. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich jede dieser Erfolgsgeschichten als eine Anhäufung glücklicher Umstände.

"Diese Geschichten sind verlogen", meint Gladwell. "Sie bringen uns dazu, die falschen Schlüsse zu ziehen, weil wir aus den Individuen Helden machen und wir die anderen Gründe vergessen, die zum Erfolg beigetragen haben. Die berühmteste "Vom Tellerwäscher zum Millionär"-Geschichte ist die von Andrew Carnegie - tatsächlich stammt diese Idee des amerikanischen Traums aus seiner Autobiografie. Als man sich später mit seiner Lebensgeschichte auseinandersetzte, entdeckte man, dass es dieser arme Junge nicht ganz allein geschafft hat, zum reichsten Mann der Welt zu werden. Er hatte zum Beispiel an einem Punkt in seinem Leben einen äußerst einflussreichen Gönner, der ihm Geld gegeben und ihm weiter geholfen hat. Diese Person kommt im Buch nicht vor."

Auch auf ein weiteres Detail in der Erfolgsgeschichte von Andrew Carnegie werde gern vergessen, sagt Malcolm Gladwell. Der spätere Stahlmagnat, der als Arbeiter in einer Spinnerei begann, hatte auch das passende Geburtsjahr, um ganz an die Spitze zu kommen.

"Die beste Zeit in der Geschichte der Menschheit - wenn man reich werden wollte - war, zwischen 1830 und 1839 geboren zu sein", so Gladwell. "22 Prozent der reichsten Menschen aller Zeiten wurden in diesen neun Jahren geboren. Andrew Carnegie wurde 1835 geboren - und das war der perfekte Zeitpunkt bezogen auf die Chancen, die er als Erwachsener haben würde."

10.000 Übungsstunden

Der Zeitpunkt der Geburt als Erfolgsfaktor: Malcolm Gladwell illustriert diese These an einem weiteren prominenten Beispiel, an Microsoft-Mitbegründer Bill Gates. Geboren 1955, im gleichen Jahr wie Apple-Mitbegründer Steve Jobs. Die beiden Computer-Pioniere haben außer ihrem Geburtsjahr noch etwas gemeinsam: Beide bekamen die Gelegenheit, schon als Teenager Erfahrung als Computerprogrammierer zu sammeln. In einem Interview schildert Bill Gates dem Buchautor, wie er - kurz gesagt - zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

Aber kein Erfolg ohne harte Arbeit: 10.000 Übungsstunden, die seien letztendlich der Schlüssel zum Erfolg, der aus einem Profi einen erfolgreichen Menschen macht, rechnet Malcolm Gladwell vor. Die 10.000-Stunden-Regel könne man auf alle Überflieger anwenden, auf Bill Gates ebenso wie auf die berühmteste Band aller Zeiten, die Beatles.

Sowohl die Beatles als auch Bill Gates bekamen schon in jungen Jahren die Gelegenheit, hart zu arbeiten. Ihnen bot sich die außerordentliche Chance, ihre Lieblingsbeschäftigung mehr als ihre Alterskollegen auszuüben. Bill Gates bekam im Jahr 1968 einen Computer, zu einem Zeitpunkt, als noch niemand einen hatte. Und schon gar nicht 13-Jährige. Und das ermöglichte ihm, seine 10.000 Übungsstunden zu absolvieren, noch vor jedem anderen in seiner Generation. Als dann die Computerrevolution begann, war er bestens vorbereitet.

Und die Beatles bekamen diese unglaubliche Chance, noch als Teenager als Clubband in Hamburg zu spielen, wo sie über Monate täglich acht Stunden - sieben Tage pro Woche - auf der Bühne standen - die unglaublichste Lehrzeit in der Geschichte des Rock 'n' Roll.

Ursachen für Misserfolg

Übung macht den Meister. Manche der Erkenntnisse in Malcolm Gladwells Buch klingen wie in die Jahre gekommene Binsenweisheiten. Aber auch die weiß der Bestsellerautor in spannende Lektüre zu verpacken.

Wie ein Detektiv spürt Gladwell auch den Ursachen für Misserfolg nach. Wieso etwa darf sich der klügste Mann Amerikas, ein gewisser Chris Langan, nicht zu den Überfliegern zählen? Und woran liegt es, dass gewisse Fluglinien mehr Bruchpiloten hervorbringen als andere?

Akribisch forscht Gladwell nach den kulturellen Hintergründen für den Absturz eines Flugzeuges der Corean Air, der südkoreanischen Fluglinie, im Jahr 1997. Nicht Materialfehler oder schlechte Witterung waren die Hauptursache, sondern die höfliche Zurückhaltung der Crew, die sich nicht traute, den Kapitän auf gravierende Fehleinschätzungen aufmerksam zu machen.

Kulturelle Hintergründe

Wie der Misserfolg hat auch Erfolg oft kulturelle Hintergründe. Warum schneiden asiatische Kinder bei internationalen Mathematik-Tests besser ab als amerikanische und europäische Kinder? Es ist ihre Arbeitsethik, sagt Malcolm Gladwell:

"Wenn wir asiatische Kinder hinsichtlich ihrer Einstellung zu Mathematik mit europäischen Kindern vergleichen, dann entdecken wir, dass sie ganz andere Vorstellungen haben. Sie sehen Mathematik als ein Fach, in dem man gut sein kann, wenn man hart arbeitet - als etwas, das mit Fleiß zu meistern ist - während westliche Kinder viel eher glauben, dass Mathematik eine Fähigkeit ist, die man besitzt oder nicht."

Kleine Ursache - große Wirkung

Wie bereits in den vorausgehenden Bestsellern "Blink - die Macht des Moments" und "Tipping Point" zeigt Malcolm Gladwell auch in diesem Buch, dass es oft die kleinen Dinge sind, die etwas zum Kippen bringen. Oder zum Abheben, je nachdem.

Der Autor schärft unseren Blick - weg von den persönlichen Erfolgsgeschichten hin zu den Voraussetzungen für Erfolg. Eines ist "Überflieger" aber sicher nicht: ein Lebenshilfebuch oder gar ein praktischer Leitfaden für den Weg nach oben.

"Mein Argument ist, dass das Individuum, wenn es um Erfolg geht, eine viel kleinere Rolle spielt als wir glauben", sagt Gladwell. "Also ist dieses Buch alles andere als ein Selbsthilfebuch - es geht überhaupt nicht um einen selbst. Es geht um die Gruppe. Es geht darum, was wir als Gesellschaft tun können, um Menschen zu helfen. Das mag wie ein klassischer 'Wie werde ich reich'-Leitfaden klingen, aber es ist alles andere als das, weil ich wirklich versuche, unser Denken in die Richtung zu lenken, wie wir auf gesellschaftlicher Ebene Chancen schaffen können."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Malcolm Gladwell, "Überflieger. Warum manche Menschen erfolgreich sind - und andere nicht", aus dem Amerikanischen übersetzt von Jürgen Neubauer, Campus Verlag

Link
Campus Verlag - Überflieder