Willi und Konsorten

Faule Literatur

Am Abend werden die Faulen fleißig, sagt ein Sprichwort. In Märchen werden Faulheit und Hässlichkeit sogar gleichgesetzt. In der Literatur sind Faulheit und Müßiggang jedenfalls ein großes Thema - von ablehnend bis fast bewundernd.

Willi ist faul. Zweimal ist er sitzengeblieben und er verschläft so allerlei in seinem Leben. Einmal zum Beispiel sein kurzes Intermezzo als Nachtwächter, gewöhnlich aber einfach nur den Tag, am liebsten in einer Rosenblüte. Einmal verpennt er sogar, wie diese gepflückt und mit Insektenspray behandelt und wie er schließlich glücklich aus dieser misslichen Situation gerettet wird. Willi, den faulen Bienenjungen, kennen alle, die mit Biene Maja im Fernsehen groß geworden sind, denn er ist ihr bester Freund.

Fett, frech und filosofisch

In der hohen der Kunst des Faulenzens hat es Garfield am weitesten gebracht. Er ist ein Kater mit hervorstechenden Eigenschaften: fett und faul vor allem, darüber hinaus frech und filosofisch. Wenn er nicht schläft, dann frisst er am liebsten seine Lieblingsspeise Lasagne. Der träge Garfield gehorcht dem Gewicht der Schwerkraft, das sich der Bewegung widersetzt.

In diesem Sinn ist Pippi Langstrumpf alles andere als faul. Zwar findet die Pippi der Fernsehserie Faulsein wunderschön, aber die Pippi Langstrumpf aus Astrid Lindgrens Bestseller ist unentwegt in Bewegung: Wenn die Arbeit warten kann, dann nur in Bezug auf fremdbestimmte Pflichten.

Und in Waldemar Bonsels Kinderbuch gibt es den faulen Willi noch gar nicht, erst Verfilmung und Comic haben ihn aufgenommen und der Faulheit auch im Kinderleben ihren Platz gegeben.

Gut und Böse

Vor der Erfindung der Fernsehcouch sind Kinder nahezu ausschließlich mit einem moralisierenden Begriff von Faulheit groß geworden, wie zum Beispiel in diesem Märchen:

Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere hässlich und faul. Sie hatte aber die hässliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mädchen musste sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen und musste so viel spinnen, dass ihm das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, dass die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen; sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab.

Das Märchen heißt, Sie haben es erraten, "Frau Holle", und da ist fleißig schön und wird am Ende mit Gold belohnt und faul ist hässlich und wird mit Pech übergossen.

Eine tiefenpsychologische Deutung dieses Märchens verweist in den philosophischen Bereich ethischer Fragestellungen nach Gut und Böse. Da ist das Böse synonym mit der Faulheit der Pechmarie: In untätiger Starrheit widersetzt sich diese dem Wirken in der Welt und verweigert sich damit der eigenständigen Entwicklung. Dazu genügt die Imitation des Weges der Goldmarie auf die Himmelswiese nicht, um am Ende zur Belohnung selbst mit Gold überhäuft zu werden.

Ein Platz am Fegefeuer

Im Laufe der Literaturgeschichte wird der Mythos zur Dichtung und da wird die Faulheit zunehmend in ein besseres Licht gerückt. In Dantes "Göttlicher Komödie" bekommt sie bereits einen Platz am Fegefeuer. In seinem vergangenen Leben hat der Faulpelz Belacqua als Instrumentenbauer in seiner Werkstatt lieber auf der faulen Haut gelegen, anstatt zu arbeiten. Zwar wird ihm deshalb das Paradies verwehrt, aber im Fegefeuer kann er immerhin mit Erlösung rechnen.

Dass Müßiggang aller Laster Anfang sei, widerspricht Henry Miller ein paar Jahrhunderte später schon ganz entschieden:

Es gab noch etwas anderes, dem ich aufrichtig misstraute: Arbeit. Arbeit, so schien es mir schon in früher Jugend, ist eine dem Dummkopf vorbehaltene Tätigkeit. Sie ist das genaue Gegenteil von Schöpfung, die Spiel ist, und eben darum, weil sie keine andere Daseinsberechtigung hat als sich selbst, die stärkste Antriebskraft des Lebens ist. Hat jemals jemand behauptet, Gott habe die Welt erschaffen, damit er selbst Arbeit habe?

Schließlich ist ja auch ein Literat ein Schöpfer, also ein kleiner Gott, so offenbar Henry Millers Überlegungen.

Romantischer Taugenichts

Faulheit, was ist das eigentlich: die Verweigerung von Arbeit? Eine Form des Protests, des passiven Widerstands mit gesellschaftspolitischer Dimension? Oder schlicht das Unvermögen, tätig zu sein, Bequemlichkeit als Antriebslosigkeit und eine Form der Depression?

In der Welt der Literatur tummeln sich unterschiedliche Exemplare von Faulpelzen, je nachdem, aus welcher Zeit und kulturellen Mentalität sie kommen. Seit Dante sind das aber Protestnoten gegen das Diktat der Vernunft, später dann gegen die beginnende Industrialisierung und frühkapitalistische Forderung nach effizienter Lebensgestaltung.

Joseph von Eichendorffs romantischer Taugenichts wird vom väterlichen Unmut über seine Trägheit in die Welt hinaus getrieben, ins Land der romantischen Sehnsucht, nach Italien, ins dolce far niente:

Du Taugenichts! Da sonnst du dich schon wieder und dehnst und reckst die Knochen müde und lässt mich alle Arbeit allein tun. Ich kann dich nicht länger füttern.

Doch der Eichendorffsche Taugenichts ist kein eigentlicher Faulpelz. Er entgeht der Gefahr des antriebslos-faulen Lebens, denn er ist auf seinem Aufbruch in die weite Welt in Bewegung, nur eben, wie Pippi Langstrumpf, abseits der Wege der Philister, er ist ein Müßiggänger, der sich der Konvention des 19. Jahrhunderts verweigert.

Der russische Faulpelz

Ganz anders der russische Fauzlpelz, der einige Jahrzehnte später am Himmel der russischen Literatur auftaucht und für das Klischee vom faulen Russen mitverantwortlich ist: Oblomow. Sein Name ist in der russischen Sprache ein stehender Begriff geworden, das Wort oblomovscina fehlt in keinem Wörterbuch, die "Oblomowerei" ist ein Synonym für Trägheit, Willenlosigkeit und Untätigkeit. So liegt Oblomow auch den lieben langen Tag auf seinem Sofa.

Ilja Iljitschs Hang zum Liegen war weder ein Erfordernis, wie es bei einem Kranken oder bei einem Menschen, der schlafen möchte, selbstverständlich ist, noch beruhte dieser Hang auf Zufall wie bei einem Müden, noch suchte er darin einen besonderen Genuss zu finden, wie ein Müßiggänger etwa: das Liegen war sein normaler Zustand. War er zu Hause - er war aber fast immer zu Hause -, so pflegte er zu liegen, und zwar stets in demselben Zimmer, ein Raum, der ihm gleichzeitig als Schlafzimmer diente.

Und so beginnt der Tag eines Faulpelzes, ganz entgegen bester Absichten, das versteht sich:

Kaum war er aufgewacht, als er auch schon die Absicht fasste, aufzustehen, sich zu waschen, und wenn er seinen Tee getrunken habe, gründlich nachzudenken, dies und das zu überlegen, Notizen zu machen und sich überhaupt ordentlich mit der Sache zu befassen.

So lag er etwa eine halbe Stunde da, quälte sich mit dieser Absicht, überlegte dann aber, dass er dies alles auch nach dem Tee machen könne; den Tee wollte er aber, wie gewöhnlich, im Bett trinken, umso mehr als einen ja nichts daran hindert, auch im Liegen zu denken.

Zwei Hälften Leben

Goncarov selbst hat für seinen Helden allerdings auch eine gewisse Sympathie. So lässt er ihn zwar seine Geliebte an einen tatkräftigen Deutschen verlieren, aber auch wieder eine neue finden, die ihm geduldig seinen Schlafrock flickt und ihn in seiner Bequemlichkeit verharren lässt.

Der antriebslose Oblomow ist Symptomträger seiner Zeit, Vertreter einer feudalen Klasse, die im Niedergang begriffen ist, weil ihr im autokratischen Regime des Zarenreichs keine Möglichkeit blieb, sich sinnvoll gesellschaftlich zu engagieren oder wenigstens Machtstreben und Ehrgeiz zu befriedigen. Die Welt der adeligen Gutsbesitzer war überflüssig geworden, Oblomows gesellschaftliche Klasse hat sich bereits vor der Revolution selbst aufgegeben.

Goncarovs Antipathie für die Geschäftigkeit des russischen Frühkapitalismus ist aber auch offensichtlich. So ist folgender Satz seines Protagonisten auch ein Stück weit sein eigener:

In seinen Augen zerfiel das Leben in zwei Hälften: die eine bestand aus Arbeit und Langeweile - für ihn waren das synonyme Begriffe -, die andere aus Ruhe und heitrem Behagen.

Lieber nicht

Faulheit auf Russisch, die ist ganz anders als Faulheit auf Amerikanisch. Vergleicht man Oblomow mit Bartleby, dem Schreiber aus Hermann Melvilles gleichnamiger Erzählung, so könnte die Qualität des Faulenzens in Sankt Petersburg und New York im 19. Jahrhundert unterschiedlicher nicht sein.

Bartleby ist für einen einzigen Satz berühmt geworden: "I would prefer not to." Ein Notar hat in seinem Büro in der Wall Street einen Schreiber eingestellt, der Arbeit, die nichts mit der vereinbarten Kopierleistung zu tun hat, glattweg ablehnt und jeder derartigen Aufforderung stereotyp entgegnet: I would prefer not to. "Gut abgegrenzt", würde man heute dazu sagen.

Soll ich es gestehen? Das Ende der ganzen Angelegenheit bestand darin, dass es in meinen Büroräumen zu einer feststehenden Tatsache wurde, dass ein bleicher junger Schreiber namens Bartleby dort ein Pult innehatte, dass er für mich gegen die übliche Bezahlung von vier Cents für die Folioseite kopierte, dass er aber dauernd der Verpflichtung entbunden war, die Arbeit nachzuprüfen, die er geleistet hatte, und dass darüber hinaus der besagte Bartleby niemals, unter keinen Umständen, zu den geringfügigsten Botengängen irgendwelcher Art abgeordnet werden durfte und dass, selbst wenn er gebeten wurde, etwas Derartiges zu übernehmen, allgemein angenommen werden musste, er "würde vorziehen, es nicht zu tun" - mit anderen Worten, dass er es rundweg ablehnte.

Bartlebys Faulheit ist passiver Widerstand mit gesellschaftspolitischer Dimension, auch wenn sich der autoaggressive Akt letztlich gegen ihn selbst richtet, denn am Schluss landet er im Gefängnis, isst nichts mehr und stirbt.

Der goldene Mittelweg

Eine europäische Synthese aus Oblomow und Bartleby, das ist Becketts Murphy: Wie Oblomow am Sofa liegt, so sitzt Murphy den ganzen Tag im Schaukelstuhl, an den er sich nackt mit einem Riemen gefesselt hat. Als seine Geliebte ihn auffordert, sich endlich Arbeit zu suchen, verzichtet er lieber auf sie, würde Arbeit doch das Ende seiner meditativen Freiheit bedeuten. Schließlich stirbt er wie Bartleby, allerdings in einer Irrenanstalt und indem er eine defekte Gasleitung zu Hilfe nimmt.

H. C. Artmann, scheint's, hat den goldenen Mittelweg gefunden. Verse, die ein gemütlicher Wiener über das Zeit-vergeuden" reimt, klingen so:

Schon faul ich jahrelang wie mein
ehemals weißer Zahn
Und dennoch blüht der gleiche schöne
löwen zahn
am feld in lieber zahl vom neuen
sonnen garn:
kaum dass ich mich bewegt war meine
zeit vertan

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 25. Juli 2009, 17:05 Uhr

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