Eine Nacht voller Begegnungen

Die Liebe einer Frau

Romain Gary ist einer der großen Vergessenen der französischen Literatur. Die für den Autor typische Mischung von religiöser Hingabe und eindeutig Irdischem, von größter Sensibilität und lakonisch klingendem Humor ist auch in diesem Roman zu finden.

Er war Kampfpilot im Zweiten Weltkrieg und ranghoher Diplomat des gaullistischen Frankreich, schrieb drei Dutzend Romane und Drehbücher unter fünf Pseudonymen und schaffte es, zweimal den prestigeträchtigen Prix Goncourt einzuheimsen, der pro Schriftstellerleben eigentlich nur einmal verliehen wird. Mit zwei berühmten Frauen war er verheiratet, mit zahlreichen anderen liiert. Von sich selbst sagte er, dass er eine gewisse seelische Stabilität nur der Sexualität und dem Schreiben von Romanen verdanke.

Die Rede ist von Romain Gary, einem der großen Vergessenen der französischen Literatur. Acht Jahre dauerte seine Ehe mit Jean Seberg, die durch Filme wie "Bonjour tristesse" oder "A bout de souffle" als eines der ausdrucksstärksten Gesichter der Nouvelle Vague gilt. Nach ihrer Scheidung im Jahr 1970 wurde es stiller um das vormals so schillernde Paar, Romain Garys Spätwerk wurde vom Pariser Feuilleton ignoriert.

"Blendend unterhalten"

Was so gut wie niemand wusste: Dem als ausgebrannt abgestempelten Schriftsteller gelang unter dem Pseudonym Émile Ajar 1975 das literarische Bravourstück, als erster und bisher einziger Autor ein zweites Mal mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet zu werden. Gary hatte die Eleganz, seinen Triumph über die verhasste Literaturkritik erst in einem posthum erschienen Band öffentlich zu machen, der mit den Worten endet: "Je me suis bien amusé. Au revoir et merci. - Ich habe mich blendend unterhalten. Danke und Auf Wiedersehen."

Fünf Jahre nach dem zweiten Goncourt setzte Gary seinem Leben ein Ende, eineinhalb Jahre nach Jean Sebergs Selbstmord. In seinem Abschiedsbrief schreibt der Autor lakonisch: "Keine Verbindung mit Jean Seberg. Liebhaber gebrochener Herzen werden höflich gebeten, sich anderswo umzusehen."

Es ist wohl müßig, über einen Zusammenhang der beiden Suizide zu spekulieren. Bekannt ist jedenfalls, dass Jean Seberg kurz vor ihrem Tod noch die Verfilmung von "Die Liebe einer Frau" gesehen hat, einem der letzten Romane ihres Exmannes, in den viele Details aus ihrem gemeinsamen Leben eingeflossen sind. Der Münchner SchirmerGraf-Verlag gibt ihn nun in einer überarbeiteten Fassung mit zahlreichen Fotos des prominenten Paares neu heraus.

Verbindendes Leid

Zwei an der Liebe Gescheiterte treffen zu Beginn der Handlung, die nur eine Nacht lang dauert, aufeinander. Michel, der schwer betrunkene Ich-Erzähler, kommt gerade vom Flughafen zurück. Er hat kurzfristig beschlossen, eine geplante Reise nach Venezuela doch nicht anzutreten. Aus dem Taxi steigend rammt er Lydia und hilft ihr danach, die auf dem Gehsteig verstreuten Einkäufe wieder aufzusammeln.

Es kommt zu einer Einladung auf einen Kaffee, die beiden offenbaren einander ihr Leid: Hier der tödliche Krebs von Michels Frau, da der Autounfall, bei dem Lydia Mann und Tochter verloren hat. Mit irritierender Direktheit fordert Michel die Zufallsbekanntschaft zu einem neuen gemeinsamen Leben auf, wenig später kommt es zu einer Liebesszene, die Michel folgendermaßen beschreibt:

Es spielte sich nicht zwischen uns beiden ab, sondern zwischen uns und dem Unglück. Eine Weigerung, sich unter die Räder zu werfen und Amen zu sagen.

Grotesker Karneval

Ihre ständigen Flucht- und Annäherungsmanöver während der folgenden Nacht führen Lydia und Michel in ein Cabaret, in dem eigenartige Tier-Dressurnummern gezeigt werden, sowie zu Lydias Schwiegermutter, einer jüdisch-russischen Aristokratin, die eine unnatürlich fidele Gesellschaft zum Geburtstagsfest des verunglückten Sohnes versammelt hat.

Es ist eine Nacht voller Begegnungen mit wunderlichen Gestalten, ein grotesker Karneval, bei dem Schimpansen mit rosa gefärbten Pudeln Paso Doble tanzen, ein Hundedompteur manische Angst davor hat, vor den geliebten Tieren zu sterben, und russische Zaristen absurde Gespräche über Kunsttheorie führen, während der Alkohol in Strömen fließt.

Immer wieder bremst Lydia den lyrischen Elan des gleichermaßen haltlos trauernden wie stürmisch um sie werbenden Michel, der in seinem Alkohol- und Trauerrausch bunt vermischt Tiefsinniges, Poetisches und Peinliches von sich gibt.

Nichts ist, wie es scheint

Nur schrittweise offenbaren die beiden ihre letzten Geheimnisse. So ist Lydias Mann nicht tot, er leidet aber seit dem Unfall an Aphasie. Lydia kann den hilflos Stammelnden seit dem Tod ihrer Tochter nicht mehr lieben und überlässt die Pflege ihrer Schwiegermutter.

Auch Michels Frau, um die er so leidenschaftlich trauert, ist zu Beginn des Buches noch am Leben. Sie hat angesichts ihrer unheilbaren Krankheit beschlossen, Selbstmord zu begehen und möchte nicht, dass Michel sie sterbend sieht. Er sollte in ihrer Todesnacht stattdessen verreisen und eine neue Frau finden, in der sie weiterleben will.

Keine "theoretische Frau"

Der als polnischer Jude geborene Gary verarbeitet hier ein Stück ostjüdischen Volksglaubens. Das Motiv des "Dibbuk", des Geistes eines Toten, der sich im Körper eines Lebenden einnistet, kommt in mehreren seiner Romane vor. Das Werben des betrunken Trauernden um Lydia bekommt vor diesem Hintergrund dämonische Züge. Doch Lydia verweigert die ihr zugedachte Rolle. Sie habe keine Lust, eine "theoretische Frau" zu sein und Michel zum Wiederkäuen seiner Erinnerungen zu dienen. Anders formuliert: "Ich habe keine Lust, ein Kultinstrument zu sein."

Lydias oft schroffe Antworten tun dem Roman gut, da sie das Pathos des betrunkenen Erzählers brechen und verhindern, dass der Text ins Mystische kippt. Im Morgengrauen, als Lydia und Michel endlich aufhören, einander mit "Madame" und "Monsieur" anzusprechen, weist sie ihn mit folgenden Worten zurück:

Deine Liebe ist mehr religiöse Inbrunst als Zuneigung zu einer Frau. Das ist zu hoch für mich, der Absturz droht aus zu schwindelnden Höhen. Du bist vom Unglück berauscht, und ich weiß überhaupt nicht, wer du wirklich bist. Fahr allein, komm in drei oder sechs Monaten zurück, und dann werden wir versuchen, einander kennenzulernen.

Letztendlich wird es Lydia sein, die abreist.

Poetisch und intensiv

Tatsächlich war Liebe nicht nur für den Erzähler Michel, sondern auch für den Autor Romain Gary eine Art Religionsersatz. Über sich selbst schrieb er: "Ich habe keinerlei religiöse Neigung. Genauer gesagt endet diese bei mir bei der Liebe, und zwar in ihrer irdischsten Form."

Die für den Autor typische Mischung von religiöser Hingabe und eindeutig Irdischem, von größter Sensibilität und lakonisch klingendem Humor trägt viel zum Reiz seines poetischen und intensiven Romans bei. So heißt es am Ende der ergreifenden Liebesszene voll Weltschmerz und Verzweiflung nüchtern:

Ich steckte meine Krawatte in die Tasche. Es sieht immer lächerlich aus, wenn man sich die Krawatte umbindet danach.

Mehr zu Romain Gary in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 2. August 2009, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Romain Gary, "Die Liebe einer Frau", Überarbung der deutschen Erstüberssetzung von Helmut Kossodo, SchirmerGraf

Link
SchirmerGraf - Romain Gary