Kulturpolitischer Protest gegen den Faschismus

Arturo Toscanini dirigiert

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt Arturo Toscanini als stärkster Kassenmagnet am Dirigentenpult. Ein Prestige, dessen Marktwert der Italiener nutzte, um durch Verweigerung und Annahme von Engagements gegen Diktatoren zu demonstrieren.

Noch vor Beginn des 20. Jahrhunderts traf im Archiv der Wiener Philharmoniker das Angebot eines Konzertagenten ein, der einen gewissen "Signor Toscanini" als Dirigenten vermitteln wollte, weil dieser von "ungewöhnlicher Genialität" sei! Vergeblich.

Philharmonische Bande

Die Beziehungen zwischen Toscanini und den Wiener Philharmonikern sollten erst Jahrzehnte später ihren Anfang nehmen. Dann allerdings begleiteten sie die Phase eines ungewöhnlichen kulturpolitischen Protestes, denn der Italiener war in den 1930er Jahren bereits zu einem der populärsten Pultstars beider Kontinente avanciert. Da konnte es vorkommen, dass etwa ein New Yorker, ohne jemals in einem Konzert oder in der Oper gewesen zu sein, einen gestikulierenden Verkehrspolizisten mit den Worten zurechtwies, "was glauben Sie eigentlich, Sie sind doch kein Toscanini!"

Die Weltkarriere

Zu dieser Zeit hatte der 1867 in Parma geborene Toscanini, nach den ersten Karrierejahren in Italien, einer beträchtlichen Zeit als Chefdirigent der Mailänder Scala vor und knapp nach der Jahrhundertwende, auch schon sieben Met-Jahre in New York hinter sich und nach dem ersten Weltkrieg eine weitere Scala-Periode bis 1926. Dann übernahm er die Chefposition der New Yorker Philharmoniker und trat bis zur Machtübernahme Hitlers mehrmals in Bayreuth auf.

Wirkungsvoller Protest

Dann änderte sich seine Laufbahn. Und der italienische Dirigent erwies sich mit einer in kulturpolitische Hinsicht weltweiten Signalwirkung als Gegner von Antisemitismus und Diktatur. Sie führte - nach seiner Verweigerung jeder weiteren Tätigkeit in Bayreuth - erstmals in seinem Leben ans Pult der Wiener Philharmoniker, wo Toscanini bis zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 80 Auftritte in Wien, Salzburg und auf Gastspielreisen absolvierte.

Orchestergründung

Als ein erklärter Gegner politischer Gewaltherrschaft wurde Toscanini schon Jahre davor, 1931 in Bologna, von Faschisten körperlich angegriffen, weil er sich weigerte, ihre Hymne zu spielen. Als er dann Salzburg mit Bayreuth vertauscht hatte, folgte als nächster Schritt einer kulturellen Demonstration gegen den Antisemitismus, seine tatkräftige Hilfe beim Aufbau des ersten, aus jüdischen Emigranten bestehenden Orchesters auf dem Gebiet des heutigen Israel.

Toscanini ging 1936 nach Palästina, um das erste, von Bronislaw Huberman organisierte Konzert des Palestine Symphony Orchestra (später: Israel Philharmonic) zu dirigieren. Dieses Gründungskonzert fand in Tel Aviv statt, aber der italienische Maestro dirigierte auch die Folgekonzerte in Haifa und Jerusalem, ja später sogar ein Gastspiel in Kairo und kam dann im darauf folgenden Jahr nochmals nach Palästina, um dort zu dirigieren.

Als Toscanini im Oktober 1937 Wien verließ - mit dem Plan, seine Salzburger Tätigkeit 1938 auf fünf Opernproduktionen zu steigern - zu Fidelio, Falstaff, Meistersinger und Zauberflöte sollte nun auch Tannhäuser hinzukommen - da konnte natürlich niemand ahnen, dass er nie mehr an das Pult der Wiener Philharmoniker zurückkommen würde.

Er selbst hielt seine Zusage bis zum 12. Februar 1938 aufrecht, dem Tag des zweiten Schuschnigg-Besuches auf dem Obersalzberg. Erst danach erteilte er Österreich eine Absage.

Ein neues Festival

Das unerwartete Vakuum in Toscaninis Terminplan und seinen unermüdlichen Protestwillen nutzte der Bürgermeister von Luzern, indem er mit einer kleinen Gruppe von Schweizer Honoratioren ad hoc ein Festival am Vierwaldstätter See ins Leben rief und den Maestro bat, das erste Konzert eines noch zu gründenden Orchesters zu übernehmen. Der sagte zu und dirigierte am 25. August 1938 einen Klangkörper, der ausschließlich aus Emigranten bestand - unter ihnen auch das Busch Quartett. Der Ort war ein Park nahe der Villa Tribschen, wo Wagner sechs Jahre seiner Emigration verbracht hatte, und das Programm bestand nicht nur, aber vorwiegend aus Werken Wagners - unter ihnen auch das Siegfried Idyll, das nahe dem Veranstaltungsort komponiert worden war.

In der Zwischenzeit hatte man - um Toscanini wieder stärker in das amerikanische Musikleben zu integrieren - in New York das NBC Symphony Orchestra für ihn gegründet, jenen Klangkörper, der nach den Wiener Philharmonikern zum letzten Instrument seines künstlerischen Ausdruckswillen werden sollte.

Damit begann die eigentliche Schallplattenkarriere Toscaninis, der das noch recht junge Medium zwar nicht gänzlich ignoriert, aber doch nur wenig genutzt hatte, um akustische Dokumente seiner Interpretationen zu hinterlassen. Das wurde nun grundlegend anders. Hunderte von Livemitschnitten entstanden mit dem neuen Orchester bis zu seinem Abschied vom Konzertsaal im Jahr 1954.

Amerikapremiere mit Signalwirkung

Die Geschichte von der amerikanischen Erstaufführung von Schostakowitschs 7. Symphonie gehört ebenfalls zum Kapitel von Toscaninis Selbstverständnis als kulturpolitischer Kämpfer gegen den Faschismus: Der russische Komponist hatte das Werk während der jahrlangen Belagerung Leningrads durch deutsche Truppen geschrieben. Und als die Noten schließlich auf abenteuerlichen Wegen nach Amerika kamen, bemühte sich Leopold Stokowski um das Recht der Erstaufführung.

Und es ergab sich ein Briefwechsel mit Toscanini, der seinem Kollegen antwortete, dass er als jahrelanger Kämpfer gegen den Faschismus ein älteres Recht auf die Erstaufführung gerade dieses Werkes hätte als Stokowski, der nur aus musikalischen Gründen daran interessiert sei. Toscanini setzte sich durch, sehr zum Leidwesen des Komponisten, der mit dieser Interpretation keineswegs zufrieden war.

Hör-Tipp
Musikgalerie, Montag, 3. August 2009, 10:05 Uhr