Ein Iraker in Israel

Reise in das Herz des Feindes

Israel zu bereisen ist aus arabischer Sicht eine Ungeheuerlichkeit. Der Iraker Najem Wali hat es trotzdem gewagt und interessante Eindrücke gewonnen. Sein Buch ist eine Mischung aus historischen Rückblenden, Gesprächen und persönlichen Eindrücken.

Abu Gosh, früher ein kleines arabisches Dorf, ist eine Kleinstadt, etwa 13 Kilometer westlich von Jerusalem. Wegen seiner berühmten Quelle war Abu Gosh einst ein beliebter Ort für Pilger und Kreuzfahrer. Heute fährt man hier her nicht zuletzt wegen der Restaurants von Abu Schukri mit ihrem üppigen Hummus- und Falafel-Angebot. Der Restaurantbesitzer, ein Christ, bewirtet eine bunte Klientel und versteht sich bestens mit Juden und Arabern.

Friedliches Miteinander und Solidarität haben in Abu Gosh eine lange Tradition. Im Krieg von 1948 schlugen sich die arabischen Einwohner auf die Seite der Juden und widerstanden der Belagerung durch die palästinensischen 'Izzaddin-al-Quassam-Brigaden. Deshalb erlaubte ihnen später die israelische Regierung - im Unterschied zur palästinensischen Bevölkerung in anderen Dörfern -, auch nach dem Krieg in Abu Gosh zu bleiben. Niemand wurde vertrieben. Juden und Araber konnten weiterhin Tür an Tür wohnen und Geschäfte machen, und der "arabische Suq" entwickelte sich schnell zu einem Handelszentrum für die Juden der Region.

Die Geschichte von Abu Gosh als einer Geschichte friedlicher Koexistenz in Zeiten erbitterter politischer Konflikte, die erzählt Najem Wali in seinem neuen, viel diskutierten und heftig angefeindeten Buch mit dem Titel "Reise in das Herz des Feindes. Ein Iraker in Israel".

Ein Tabu gebrochen

Israel zu bereisen ist aus arabischer Sicht eine Ungeheuerlichkeit, ein Verbrechen: Hochverrat lautet die Anklage, Hinrichtung die Strafe. Denn Israel ist seit der Ausrufung als Staat am 14. Mai 1948 der Feind Nummer 1 für die arabische Welt und - als "angebliches Israel" und "Staat zionistischer Banden" tituliert, als "Abschaum" und "Krebsgeschwür" - permanent Gegenstand von Auslöschungsphantasien.

Najem Wali aber hat Israel besucht. Im Frühjahr 2007 reiste er zum ersten Mal in das "Herz des Feindes". Er war auf der Buchmesse in Jerusalem und später Teilnehmer einer Konferenz zum Thema "Quo vadis, Irak?" in Haifa. Damit - und mit dem jetzt erschienenen Buch - hat er ein Tabu gebrochen. Prompt wurde der seit langem im Berliner Exil lebende Iraker boykottiert und beschimpft, zum Verräter abgestempelt, der den Tod verdient und mit anonymen Videos bedacht, die zeigten, wie Terroristen im Irak Ausländer köpften.

Doch nicht nur seine ehemaligen Landsleute reagierten empört. Auch deutsche Freunde, weil, so Wali, er ihren Vorurteilen widersprach. "Wir müssen lernen, die jüdische Kultur ist auch ein Teil unserer Gesellschaft", sagt Wali im Gespräch. "Es ist quasi ein Buch über Israel, aber im Endeffekt ist es ein Buch für die Iraker, damit sie davon lernen, als Beispiel für einen neuen funktionierenden Staat."

Davon aber ist der Irak - ebenso wie die übrige arabische Welt - weit entfernt. Kein Vorbild, ein Feindbild ist Israel.

Hass, geschürt von Mächtigen

Woher rührt dieser tiefsitzende Hass? Warum fürchtet man einen Iraker in Israel? Weil dadurch, so Wali, eine "einfache Wahrheit" ans Licht käme: dass die eigenen wirtschaftlichen und sozialen Probleme nichts mit Israel zu tun haben. Der Israelhass sei bewusste Demagogie, geschürt von den Mächtigen und selbsternannten Revolutionsführern, um von eigenem Versagen abzulenken.

Die Wirtschaftskrisen, die Verschlechterung des Bildungsniveaus, die Ausbreitung des Islamismus haben mit dem Fehlen von Demokratie und den korrupten Herrscherfamilien, ihrer Prunksucht und ihrer Geringschätzung für ihre Völker zu tun - und nicht mit dem arabisch-israelischen Konflikt.

"Das ist eine historische Angelegenheit von Herrschern, Königsfamilien, Militärs", meint Wali, "die immer als Betäubungsmittel, als Opium, Palästina benutzt haben, um ihre Macht zu befestigen und zu sagen, wir müssen Palästina befreien. (...) Was heißt schon Armut, was bedeutet Demokratie, solange Palästina noch nicht befreit ist? Solche Argumente wurden immer benutzt, um abzulenken von dem Kernproblem."

Wechselnde Beeinflussung der Kulturen

"Reise in das Herz des Feindes" ist keine kritische Sozialreportage. Wali liefert keine tiefgehende politische Analyse des heutigen Israel, sondern eine Mischung aus Gesprächen, historischen Rückblenden und persönlichen Eindrücken. Die Reise nach Israel wird dabei auch zur Reise in die eigene Vergangenheit, in die irakische Geschichte, die immer wieder eines zeigt: Die jüdische Kultur war einst Teil der irakischen. Und: Die irakische Kultur bereichert heute die israelische. Hier scheint ihm das Experiment der Multikulturalität geglückt.

Wali berichtet über Jerusalem, über Tel Aviv und Jaffa, er zeigt Haifa als Modell einer friedlichen Koexistenz von Juden und Arabern, gefördert von einer Stadtverwaltung, die Mischehen unterstützt; er erinnert an bedeutende Literaten und große politische Schurken, schreibt über irakische Palmenexporte nach Israel und über eine israelisch-palästinensische Produktion von Schweinswürsten und macht sich Gedanken über die Zukunft des Kibbuz.

Angesichts schlafender Soldaten in einem Bus, die ihre Maschinenpistolen wie Babys halten, macht Wali sich Gedanken über die Humanität eines Glaubens, der sich von Menschenopfern Erlösung verspricht, der statt Frieden nur Unversöhnlichkeit stiftet, und hinterfragt den tödlichen Absolutheitsanspruch von Religionen.

"Es ist immer die Frage: Sind wir ein Teil der Religion oder ist die Religion ein Teil von uns?", so Wali. "Wenn jemand von uns es schafft, dass die Religion ein Teil von ihm ist, dann hat er einen großen Schritt gemacht."

Begegnungen, die zum Nachdenken anregen

Najem Walis Buch ist ein Buch der Erinnerungen und Reflexionen, der Stadtbesuche und Begegnungen. In Haifa lernt Wali den Taxifahrer Ezra kennen, einen aus dem Irak stammenden Juden, dessen Familie nach dem Militärputsch von 1958 ihr Vermögen verlor; er trifft die Wissenschaftlerin Liora Lukitz, eine aus Brasilien stammende Jüdin, die über die "irakische Identität" räsoniert; und befreundet sich mit Sasson Somekh, einem Spezialisten für arabische Literatur, der dem Reisenden ein Bett in seinem Bunker in Tel Aviv anbietet und ihm bewusst macht, dass der Bunkerbau in Israel ein wichtiger Wirtschaftszweig geworden ist, dessen Boom sich direkt proportional verhält zur wachsenden Zahl palästinensischer Selbstmordattentäter.

"Die berührendsten Begegnungen waren mit den irakischen Juden", erzählt Wali. "Das ist wirklich erstaunlich, welche Geschichten, welches Potenzial von Sehnsucht, Nostalgie sie haben (...) Ich habe alte Leute gesehen an einem Ort in der Nähe von Tel Aviv, man nennt ihn Kleines Bagdad, die saßen in einem Café wie in Bagdad, spielten Tabla, die sprechen nicht mal Hebräisch. Sie reden im alten Bagdadi-Dialekt. Das sind Begegnungen, die mich wirklich stark zum Nachdenken gebracht haben."

Sammelplatz der Minderheiten

Die berührendste Geschichte aber ist ohne Zweifel die von Su'ad, einer jungen schiitischen Frau aus dem Süden des Libanon, die mit 13 nach Israel gelangte, als sie mit dem Sohn ihres Onkels zwangsverheiratet werden sollte und vor dem ungeliebten Cousin und der heranrückenden Hisbollah aus ihrem Heimatdorf floh.

Heute lebt Su'ad in einem Frauenhaus in Jerusalem, finanziert ihr Zimmer, indem sie in Restaurants aufgesammelte Essensreste weiterverteilt, studiert Soziologie und hat einen jüdischen Freund aus Bosnien. Sie träumt von einer Reise nach Sarajewo und will von Religionen und Konfessionen nichts wissen. Geschichten wie diese zeigen: Israel - das ist für viele die Rettung, eine Heimat der Verfolgten, ein Sammelplatz der Minderheiten, an dem sich der Irak ein Beispiel nehmen könne.

Das Positive zeigen

Die "Reise in das Herz des Feindes" ist ein Buch, das spannend ist, informativ und manchmal auch ziemlich sentimental. Und nicht zuletzt: zum Widerspruch reizend. Der Autor sei naiv und realitätsblind und beschönige die Situation Israels, hat man Wali vorgeworfen. Und in der Tat: Zwar verschließt hier einer seine Augen nicht vor Granaten und Selbstmordattentaten, doch die bestimmen nicht sein Bild. Wali will das Positive zeigen - und sieht in Israel, als einzigem Land im Nahen Osten, einen demokratischen und multikulturellen Staat verwirklicht. Und das ringt ihm Respekt ab.

In der Knesset sitzen 13 arabische Abgeordnete, stellt Wali fest und fragt: Wie viele Kurden sitzen im syrischen Parlament, wie viele Schiiten im saudi-arabischen und wie viele Christen im Parlament der Hamas?

Najem Wali hofft, dass sein Buch Fronten aufzuweichen und Vorurteile abzubauen hilft. Er interpretiert Drohungen und Beschimpfungen als Zeichen einer ernsthaften Auseinandersetzung und wünscht sich einen neuen israelisch-arabischen Dialog - und einen mutigen Verlag, der sein Buch auch in seiner Muttersprache herausbringt. Damit auch seine irakischen Landsleute nachlesen können, wie man in Abu Gosh bei Hummus und Falafel friedlich nebeneinander lebt.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Najem Wali, "Reise in das Herz des Feindes. Ein Iraker in Israel", aus dem Arabischen übersetzt von Imke Ahlf-Wien, Hanser Verlag